Es sind üble, brutale Szenen, die sich da am helllichten Tag mitten in Stuttgart abspielen: Dutzende Männer werfen Steine und Flaschen auf Polizisten, gehen mit Latten auf die Beamten los. Sie schreien laut herum. Eine Gruppe jagt einen Beamten, der einen von ihnen festsetzen will. Es werden zu viele für den Polizisten - er muss flüchten. Am Samstag kommt es zu massiven Ausschreitungen in der Landeshauptstadt, 24 Polizisten werden verletzt, zwei davon schwer. Das berichtete ein Polizeisprecher am Samstagabend. Er korrigierte damit die Zahl nach oben. Zunächst war von zehn verletzten Beamten die Rede gewesen. Vier Menschen werden festgenommen.
Es ist eine Art Stellvertreter-Konflikt auf den Straßen Stuttgarts: Gegner des Regimes in Eritrea stehen gegen Anhänger der Diktatur - und die Gewalt entlädt sich vor allem gegen die Polizei.
Ausschreitungen bereits im Juli in Gießen
Es ist nicht das erste Mal: Im Juli war es im hessischen Gießen zu Ausschreitungen bei einem Eritrea-Festival mit mindestens 26 verletzten Polizisten gekommen, als Gegner der Veranstaltung Sicherheitskräfte mit Stein- und Flaschenwürfen attackierten und Rauchbomben zündeten. Die Organisatoren des Events in Gießen standen der umstrittenen Führung des ostafrikanischen Landes nahe. Die Gewalt machte bundesweit Schlagzeilen. Und in Stockholm kam es im August bei einem Eritrea-Festival zu gewalttätigen Ausschreitungen mit mehr als 50 Verletzten.
Nun also die Schwabenmetropole Stuttgart. 200 Menschen versammeln sich am Samstagnachmittag im Römerkastell zu einer Veranstaltung des Verbands eritreischer Vereine in Stuttgart und Umgebung, wie ein Polizeisprecher berichtet. Es sei eine Infoveranstaltung. Die Vereine sympathisierten mit der Regierung in Eritrea, so der Polizeisprecher.
Regime-Gegner attackieren Teilnehmer und Polizisten
Gegner des Regimes treffen sich nach Angaben der Polizei in Kleingruppen am Bahnhof Bad Cannstatt und am Stuttgarter Hauptbahnhof und machen sich auf zum Veranstaltungsort. Dort eskaliert die Lage schnell. Bis zu 200 Personen greifen Polizisten an, werfen mit Steinen, schlagen mit Holzlatten zu. Wer den ersten Stein geworfen habe, müsse noch ermittelt werden, aber der Anziehungspunkt sei die Veranstaltung gewesen, sagt der Polizeisprecher.
Die Beamten wehren sich gegen die Angreifer mit Schlagstöcken und Pfefferspray und versuchen, die Gruppen zu separieren, die Angreifer draußen zu halten, während die Veranstaltung im Gebäude noch läuft. Die Straßen um das Römerkastell werden gesperrt. Einsatzkräfte werden mit Hubschrauber eingeflogen und aus umliegenden Präsidien hinzugezogen. Stundenlang berichtet die Polizei von Scharmützeln und einer unübersichtlichen Lage. Am Abend heißt es, die Lage sei weitgehend stabil. Die Polizei kesselt 170 Männer ein, um Personalien aufzunehmen. Sie alle werden des schweren Landfriedensbruchs beschuldigt.
Das afrikanische Land Eritrea ist international weitgehend abgeschottet. Es handelt sich um eine Ein-Parteien-Diktatur, ohne Parlament oder unabhängige Gerichte. Immer wieder kommt es auch in Europa zu Konflikten zwischen Anhängern und Gegnern des Regimes.
Veranstalter: Polizei hat Lage unterschätzt
Aus Sicht der Veranstalter des Stuttgarter Eritrea-Treffens hat die Polizei die Lage unterschätzt. „Wir haben Polizeischutz gefragt und gesagt, zu was diese Leute fähig sind“, sagt Salomon T., der die Veranstaltung organisiert hat und nicht mit vollständigem Namen zitiert werden möchte. Bei der Veranstaltung habe es sich um ein „Seminar mit Informationen über Eritrea“ gehandelt. 70 Leute hätten während der Angriffe in der Halle ausharren müssen, sagt Salomon T.
Ein Polizeisprecher entgegnet, es habe in der Vergangenheit bei solchen Veranstaltungen schon immer Störungen gegeben, aber man habe keinerlei Erkenntnisse gehabt, dass sie so massiv und intensiv sein würden. Aber so schlimm wie in Hessen sei die Lage nicht gewesen: „Von einem Gießen 2.0 sprechen wir ausdrücklich nicht.“
Valentino Tosto betreibt ein Eiscafé direkt an der Ecke des Geschehens. Er zeigt sich am Abend schockiert. „Das ist sehr schlimm für uns“, sagte er. Die Krawallmacher hätten Stühle und Aufsteller weggenommen. Er sagt: „Es war sehr gefährlich.“