Baden-Württembergs Kultusministerin Susanne Eisenmann will sich für die Wiedereröffnung zumindest von Grundschulen und Kitas ab dem 11. Januar einsetzen - auch wenn, wie erwartet, der Lockdown beim Corona-Gipfel am 5.1.2021 über den 10. Januar hinaus verlängert wird. „Ich gehe davon aus und werbe sehr dafür, dass wir Kitas und Grundschulen in jedem Fall wieder in Präsenz öffnen und auch Klasse 5, 6 und 7 sowie die Abschlussklassen im Blick haben - unabhängig von den Inzidenzzahlen“, sagte die CDU-Politikerin schon vor einigen Tagen.
Diese Forderung bekräftigte sie trotz einiger Kritik vor Silvester noch einmal: Einen entsprechenden Beschluss sollten Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und die Ministerpräsidenten beim Corona-Gipfel fällen, forderte die CDU-Politikerin.
Lockerung oder weiter Lockdown in der Schule?
SPD-Chefin Saskia Esken bewertete den Vorschlag Eisenmanns in einem Interview der Funke-Mediengruppe als „geradezu unverantwortlich“. Auch von anderen Seiten kam Kritik. Doch jetzt gibt es offenbar auch unter den vorsichtigen Politikern Stimmen, die begrenzte Lockerungen unter Umständen für möglich halten: So spricht sich der SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach, der eigentlich ein strikter Lockdown-Befürworter ist, unter bestimmten Bedingungen für eine Wiederöffnung von Kitas und Grundschulen ab der zweiten Januarhälfte aus.
Kinder ab 12 Jahren genauso ansteckend wie Erwachsene
„Voraussetzung wäre, dass alle anderen Klassenstufen geteilt würden und wechselnd Präsenz- und Digitalunterricht erhalten. Oder der Präsenzunterricht ganz ausgesetzt wird“, sagte Lauterbach der „Rheinischen Post“ (Samstag). Eine generelle Öffnung der Schulen lehnt er jedoch ab. Es sei wissenschaftlich erwiesen, dass Kinder ab zwölf Jahren genauso ansteckend seien wie Erwachsene.
So begründet Eisenmann die Schulöffnung „unabhängig von Inzidenzzahlen“
Doch Ministerin eisenmann will mehr. Was sind ihre Argumente für eine Lockdown-Lockerung unabhängig von der Inzidenz? Sie meint, gerade mit kleineren Kindern in der Grundschule sei digitaler Unterricht im Grunde nicht möglich. „Präsenzunterricht ist durch nichts zu ersetzen.“ Von einer Verlängerung oder Verschiebung der Weihnachtsferien halte sie gar nichts.
Bei den Schuleitern der Region stoßen diese Pläne auf ein geteiltes Echo, wie eine Umfrage in der Region ergab:
Schulpsychologen fordern: Schnell wieder Unterricht
Unterstützung bekommt Eisenmann von Schulpsychologen, die Experten dringen mit Blick auf die wachsende Zahl von Schulverweigerern auf eine rasche Öffnung der Schulen nach dem Lockdown. „Wir haben schon nach dem ersten Shutdown eine dramatische Zunahme der Fälle von Schulverweigerung bemerkt“, sagte die Vorsitzende des Verbandes der Schulpsychologinnen und Schulpsychologen Baden-Württemberg (LSBW), Nina Großmann. Schüler aller Altersgruppen gewöhnten sich zu Hause an das Nichtstun, vernachlässigten ihre Aufgaben und fühlten sich bei der Rückkehr auf die Schulbank überfordert. Auch während des Lockdowns stünden die Telefone nicht still, sagte Großmann der dpa.
Landesregierung BW pocht bei Schulöffnung auf Corona-Zahlen
Das Staatsministerium in Stuttgart bremste die Ministerin mit ihren Lockerungs-Bestrebungen jenseits der Corona-Zahlen in Baden-Württemberg bereits am Montag aus. Präsenzunterricht, gerade für die Jüngeren, sei sehr wichtig und nicht einfach zu ersetzen, schrieb die Landesregierung BW per Twitter. „Aber auch im Schulbereich hängen sämtliche Maßnahmen vom Infektionsgeschehen ab.“ Eisenmanns Pläne werden auf Twitter kritisch kommentiert. Ein User etwa schreibt: „Als Vater von 2 schulpflichtigen Kinder finde ich das unerträglich. So geht das nicht.“
Wie auch immer, Eisenmann hält mit ihrer Forderung an der Linie fest, mit der die Politik über viele Monate offene Schulen gerechtfertigt hat: „Schulen stehen nicht im Mittelpunkt des Infektionstreibens“, sagt sie. Das belegen aus ihrer Sicht auch bis zuletzt die Zahlen. Kurz vor dem Beginn des Weihnachts-Lockdowns waren nach Angaben des Kultusministeriums lediglich 7 der rund 4500 Schulen coronabedingt komplett geschlossen und 813 von rund 67.500 Klassen im Land vorübergehend in Quarantäne (Stand: 14. Dezember).
Eisenmann: Keine Verlängerung der Weihnachtsferien
Eisenmann lehnt auch eine Verlängerung der Weihnachtsferien über den 10. Januar hinaus strikt ab, wie sie etwa der Deutsche Kinderschutzbund vor kurzem gefordert hatte. „Davon halte ich gar nichts“, sagt sie. „Jeder Eingriff in die Ferien bringt neue Probleme mit sich, neue Herausforderungen für Eltern und auch für die Schulen.“ Eine Verlängerung der Ferien sei auch mit dem Bildungsanspruch nicht zu vereinbaren. Bildung müsse auch in Pandemie-Zeiten möglich sein. „Ich würde es für einen Fehler halten, analog zu März und April Schulen, Kitas und Kindertagespflege über viele Wochen hinweg komplett geschlossen zu halten.“
Kretschmann skeptisch mit Blick auf Öffnung der Schulen
Doch Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) hatte sich Mitte Dezember skeptisch gezeigt mit Blick auf die Öffnung von Schulen. „Wo wir sind am 11. Januar, wird man sehen“, hatte der Regierungschef gesagt. „Keine Maßnahmen erfolgen unabhängig von den Infektionszahlen.“ Die Ministerpräsidenten wollen am 5. Januar über das weitere Vorgehen entscheiden. Denkbar ist, dass der Lockdown verlängert wird, sollten die Zahlen nicht deutlich sinken.
Hohe Corona-Fallzahlen in Baden-Württemberg
Baden-Württemberg ist trotz des harten Lockdowns in den vergangenen Wochen neben den Bundesländern Bayern und Sachsen zu einem der Hotspots der Corona-Pandemie in Deutschland geworden - mit hohen Zahlen an Neuinfektionen und Toten sowie einer Inzidenz, die bisweilen an die 200 für den gesamten Südwesten heranreichte. Langsam sinken die Zahlen wieder, doch das könnte auch damit zusammenhängen, dass über die Weihnachtsfeiertage und rund um Silvester weniger getestet wurde und dass manche Gesundheitsämter nicht gemeldet hatten.
Kultusminister wollen über Schulöffnung beraten
Die Kultusminister der Bundesländer wollen in den kommenden Tagen darüber sprechen, wann und wie es nach dem Lockdown an den Schulen weitergeht. „Am 5. Januar treffen sich die Ministerpräsidentinnen und Ministerpräsidenten mit der Bundeskanzlerin. Wir als Kultusministerkonferenz werden vorher noch mal beraten“, sagte die scheidende Präsidentin der Kultusministerkonferenz (KMK), Stefanie Hubig (SPD), im Podcast „Die Schulstunde“ des Redaktionsnetzwerks Deutschland (RND). Dabei müsse in den Blick genommen werden, wie sich die Infektionszahlen bis dahin entwickelt hätten.
Die Ministerien, die Schulaufsicht und die Schulen hätten sich im Corona-Jahr „enorm angestrengt“, so Hubig. „Aber klar ist auch: eine Eins ist das nicht“, räumte die rheinland-pfälzische Kultusministerin ein. „Das können Sie auch nicht schaffen in so einer Situation. Da können Sie die Dinge nicht perfekt regeln.“
Eisenmann: Nicht nur auf Virologen hören
Bildung und Betreuung müssten endlich eine Sonderstellung in der Lockdown-Debatte haben, fordert Eisenmann. „Ich fand ganz schwierig, mit welcher Leichtigkeit in der Diskussion gesagt wurde: Dann schließen wir halt mal die Schulen“, sagt die CDU-Politikerin. „Es ist wichtig, dass wir Schulen anders behandeln als Baumärkte - bei aller Wertschätzung für die Baumärkte“. Eisenmann betonte auch immer wieder Betreuungsprobleme für Eltern als Folge von Schulschließungen - und Probleme für schwächere Kinder, die durch Fernunterricht noch mehr abgehängt würden. „Manchmal ist es auch hilfreich, nicht nur auf Virologen zu hören, sondern auch auf Kinderpsychologen und Kinderärzte, die eine ganz klare Haltung haben zu Schulschließungen.“
Lernen am Bildschirm kann aus ihrer Sicht den Lehrer im Klassenzimmer nicht ersetzen. „Ausschließlich digital zu lernen, war und ist nicht Teil der Gesamtkonzeption Schule. Homeschooling ist in Deutschland eigentlich verboten. Das gibt es nur, weil es die Pandemie von uns gefordert hat“, sagte Eisenmann. Nur wenige, begabte Schüler kämen mit so einer Art des selbstorganisierten Lernens gut zurecht. „Der Großteil hat damit ein Problem“, sagte Eisenmann. „Fernunterricht ist immer die schlechtere Alternative zum Präsenzunterricht, zur Struktur, zum Arbeiten vor Ort, mit der Lehrkraft und in der Gruppe.“
Die CDU-Spitzenkandidatin für die Landtagswahl sieht die Mehrheit der Lehrer in ihrem Streben nach mehr Präsenzunterricht an ihrer Seite. „Die Unterstellungen, die man manchmal hört, sind zutiefst ungerecht und falsch“, sagte sie mit Blick auf Vorwürfe, Lehrer wollten sowieso lieber daheim bleiben. „Die allermeisten Lehrer sind engagiert und wollen überwiegend auch in die Schule.“
Die Bildungsgewerkschaft GEW betont, dass auch die Lehrkräfte so viel Präsenzunterricht wie möglich wollten. „Doch sie würden auch gerne einmal den Satz hören: „Soviel Sicherheit wie möglich für 130.000 Lehrerinnen und Lehrer!“, teilte GEW-Geschäftsführer Matthias Schneider mit.
Unterstützung von der FDP, deutliche Kritik von der SPD
Auch die FDP unterstützt das Bestreben nach Präsenzunterricht. „Präsenzunterricht ist nicht zu ersetzen, auch um die Schülerinnen und Schüler nicht zu verlieren, die zu Hause nicht über die technischen Möglichkeiten und die notwendige Präsenz der Eltern verfügen“, sagte FDP-Fraktionschef Hans-Ulrich Rülke. Die Bilanz von Eisenmann während der Corona-Zeit sei dennoch mangelhaft. „Die Digitalisierungsmöglichkeiten der Schulen bleiben weit hinter den Anforderungen zurück, die digitale Lernplattform selbst bleibt Flickwerk und die Schulen sind nicht ausreichend gerüstet, etwa mit Luftfiltergeräten oder passenden Masken.“
SPD-Chef Andreas Stoch hält überhaupt nichts von einer Wiedereröffnung von Schulen unabhängig von Inzidenzzahlen, wie sie Kultusministerin Susanne Eisenmann (CDU) fordert. „Da fliegt jedem das Dach weg, der nur im Entferntesten mit Medizin oder Bildung zu tun hat“, sagte Stoch der Deutschen Presse-Agentur am Montag.
Eisenmann stelle sich damit radikal gegen jede wissenschaftliche Empfehlung, sagte Stoch. Die Inzidenzen seien immer noch viel zu hoch, die Infektionsketten nicht kontrollierbar. Es gebe mehr Möglichkeiten als die komplette Öffnung und die komplette Schließung von Schulen. Stoch fordert Stufenmodelle mit Wechselunterricht und zusätzliche Raummöglichkeiten wie Turnhallen und Foyers für jüngere Schüler.
Wann öffnen die Schulen wieder? Kultusminister beraten über Corona-Lage
Die Menschen in Deutschland müssen wegen der Corona-Pandemie mit noch längeren Einschränkungen ihres Lebens und weiterhin geschlossenen Schulen nach den Weihnachtsferien rechnen. Bildungsministerin Anja Karliczek (CDU) sagte den Zeitungen der Funke-Mediengruppe (Montag), eine vollständige Rückkehr zum Präsenzunterricht in allen Jahrgängen sei aufgrund der derzeitigen Infektionslage „nicht vorstellbar“. Weniger eindeutig scheint die Lage bei Grundschulen und Kitas, über deren Wiederöffnung die Meinungen stärker auseinander gehen als bei weiterführenden Schulen. Am Montag beraten die Kultusminister der Länder über die Lage, am Dienstag dann Kanzlerin Angela Merkel (CDU) und die Ministerpräsidenten. Sorge bereitet insbesondere eine Mutation des Coronavirus.
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