Auf dem Foto, das die Privatperson an die Forstliche Versuchs- und Forschungsanstalt (FVA) in Freiburg geschickt hat, blickt der junge Wolf neugierig in die Kamera. Er steht am Rand eines Feldwegs in einer Obstplantage bei Überlingen am Bodensee. Nach Auskunft von Micha Herdtfelder, Wildtier-Experte bei der FVA, ist das Foto von einem Fahrzeug aus gemacht worden. „Wölfe bringen Fahrzeuge nicht so leicht in Verbindung mit Menschen“, sagt er. Deshalb stehe das Tier ruhig da. Dass es ein Wolf und kein Hund ist, sei an der „Gesamtsumme der Merkmale“ erkennbar. Dazu gehören unter anderem  die Hochbeinigkeit, die lange Schnauze, die typische Gesichtszeichnung, der dunkle Rückensattel und die Proportionen von Kopf und Ohren.
Micha Herdtfelder vermutet, dass das Tier aus dem Alpenraum stammt. „Eher aus den Alpen als aus einer osteuropäischen Population.“  Das nächstgelegene Wolfsrudel lebe in der Schweiz bei Chur, sagt Herdtfelder. Das ist das so genannte Calanda-Rudel, das sich beim Calanda-Massiv, im Grenzgebiet zwischen den Kantonen Graubünden und St. Gallen angesiedelt hat. Dieses Rudel vermehrt sich offenbar prächtig. Das allerdings führt dazu, dass die jungen Wölfe abwandern und sich ein eigenes Revier suchen. Der Wolf, der am Mittwoch gegen 17.30 Uhr bei Überlingen gesichtet wurde, könnte aus diesem Rudel stammen.
Seit Mittwochabend habe es keinen Hinweis mehr auf das Tier gegeben, sagt Herdtfelder. Auch seien bislang keine Risse gemeldet worden. Damit die Tierhalter der Region gewarnt sind, wurden sie umgehend von der Sichtung unterrichtet. „Falls es Übergriffe auf Nutztiere gibt.“ Auch seien Jäger und Förster sensibilisiert worden. Herdtfelder hofft darauf, dass eine Kotprobe gefunden wird. Dann könnte über die Genetik herausgefunden werden, woher das Tier stammt.  „Wenn der Wolf wieder bei uns eine Heimat fände, wäre dies ein Gewinn für die Artenvielfalt im Land“, sagte Umweltminister Franz Untersteller gestern. Die Viehhalter sehen das anders. Seit Jahren tauchen im Land immer wieder Wölfe auf und sorgen für Aufregung vor allem unter den Schafhaltern.

Land beteiligt sich an Fonds

Bereits 2014 hat das Land mit allen Beteiligten, auch Natur- und Umweltschutzverbänden, Jägern und Schafhaltern, den „Handlungsleitfaden Wolf“ erarbeitet. Er regelt unter anderem die Zuständigkeiten und Kommunikationswege. Sollte ein Wolf ein Nutztier reißen,  bekommt der Tierhalter eine Entschädigung aus dem Wolfsausgleichsfonds. Den haben Naturschutz- und Jagdverbände eingerichtet. Das Land beteiligt sich maßgeblich an diesem Fonds.
Außerdem finanziert es mit 200 000 Euro ein Projekt des Landesschafzuchtverbands und des Naturschutzbundes (Nabu). Dabei geht es darum, einen geeigneten Herdenschutz  für Schafe und Ziegen zu finden, „um Übergriffe des Wolfes in der Freilandtierhaltung zu verhindern“, informiert das Umweltministerium.  Bei 50 Wolfsrudeln allein in Deutschland und einer wachsenden Wolfspopulation in den Alpen sei es nur eine Frage der Zeit gewesen, bis wieder ein Tier im Land auftaucht, sagte Untersteller. Sein Ziel ist ein „sinnvolles Miteinander von Mensch und Wolf“.

Immer öfter im Land

In Ost- und Norddeutschland, in Italien, Frankreich und in der Schweiz haben sich die Wölfe bereits etabliert. In Baden-Württemberg gibt es noch keine Population, doch immer öfter tauchen Wölfe im Land auf. Im Juni 2015 wurden auf der A5 bei Lahr, im November 2015 auf der A8 bei Merklingen zwei Jungwölfe überfahren. Im Mai 2016 zeigte sich auf der Baar ein Jungwolf, der ebenfalls von einer Privatperson fotografiert wurde. Der Wolf humpelte damals. Seitdem fehlt von ihm jede Spur. wal