Die Gewinner und Verlierer der Corona-Krise scheinen eigentlich ganz klar zu sein. Doch ganz so einfach ist es nicht. Die Hersteller von Klopapier etwa beklagen sich derzeit zwar nicht, der Absatz verdreifachte sich. Doch ob der momentan unter Volldampf arbeitende deutsche Marktführer Essity tatsächlich langfristig profitieren wird, ist offen. Schließlich stapeln sich wohl zum Ende der Pandemie in vielen Haushalten Klopapierrollen. Diese müssen dann danach nicht mehr gekauft werden. Essity konzentriert die Produktion zurzeit auf weniger Artikel, um den Ausstoß zu erhöhen.
Selbst beim Medizinprodukte-Hersteller Hartmann ist die Situation nicht eindeutig. Zwar findet vor allem Desinfektionsmittel einen reißenden Absatz. Bundesweit schnellte die Nachfrage bei Herstellern um 700 Prozent nach oben. Aber laut eines Sprechers sind medizinische Kunden wie Krankenhäuser wichtig – und dort wird die Zahl der Operationen gerade deutlich zurückgeschraubt. Beim Konkurrenten Wigol sind Inhaltsstoffe wie Ethanol knapp und die Produktionsmöglichkeit entsprechend begrenzt.
Wenn derzeit überhaupt etwas gekauft werde, dann im Internet, sagt Kai Hudetz, Geschäftsführer am Institut für Handelsforschung IFH. Von Amazon heißt es: „In Ihrer Region kommt es teilweise zu verlängerten Lieferzeiten.“ Wer aber denkt, dass Paketdienste durch zunehmenden Online-Handel grundsätzlich Krisengewinnler sind, täuscht sich ebenfalls. DPD etwa klagt über ein geringeres Paketaufkommen. Denn Firmen verschicken weniger.

Lebensmitel-Lieferdienste

Auch bei Lieferdiensten von Lebensmitteln ist die wirtschaftliche Situation nicht eindeutig. Michael Gerling vom Handelsforschungsinstitut EHI sieht Serviceanbieter wie Rewe nicht unbedingt als Profiteure. „Sie haben nicht die Kapazitäten, um ihr Liefervolumen schnell auszubauen.“ Rewe bestätigt dies und gibt an, dass es derzeit vereinzelt zu Wartezeiten von wenigen Tagen kommen kann.
Aber es gibt auch eindeutige Gewinner und Verlierer.

Supermärkte

Rund jeder dritte Verbraucher in Deutschland hat in der vergangenen Woche angesichts der Corona-Krise seine Lebensmittelvorräte aufgestockt. Die Nachfrage nach lang haltbaren Lebensmitteln, Konserven und Drogerieartikeln steige, erklärte eine Sprecherin. Dies bestätigt das Forschungsinstitut GfK: Bei haltbaren Lebensmitteln und Konserven werden Steigerungen von mehr als 100 Prozent erreicht. Allgemein gelten Supermärkte und Drogerien als Gewinner. Der Lebensmitteleinzelhandel habe in der vorigen Woche ein Plus von 14 Prozent verzeichnet. Lieferando, Picnic, Domino’s und andere Lieferdienste gelten ebenfalls als Profiteure der Krise. Restaurants bringen ihr Essen so zu Kunden. Die Tiefkühlkost-Hersteller Eismann und Bofrost erleben einen Boom. Beide machen derzeit rund doppelt so viel Umsatz. Es kommt zu Hamster-Bestellungen.

Online-Dienste

Der Streaming­-Dienst Netflix verzeichnet so viele Zugriffe, dass die Qualitätsstufe europaweit herabgesetzt wurde, bei Youtube sogar weltweit. Hersteller von Software profitieren an den vermehrten Videokonferenzen in Folge von Heimarbeit. Das Unternehmen Teamviewer schreibt etwa 60 Prozent mehr Umsatz im ersten Quartal. Bei Herstellern von Business-Laptops kommt es teilweise zu Lieferschwierigkeiten.

Reisen

Große Verlierer der Krise sind dagegen nach einer Studie der Unternehmensberatung Boston Consulting Group (BCG) unter anderem die Luftfahrt und der Tourismus. Praktisch jedes bayerische Hotel und Gasthaus ist nach Angaben ihres Verbandes durch die Corona-Krise inzwischen in Existenznot. Lufthansa muss 95 Prozent der Flüge streichen. Die deutsche Reisebranche ist verzweifelt und startet die Kampagne „Wer Reisen liebt, verschiebt.“ Wenn Reisen in Absprache mit dem Reisebüro, Reiseveranstalter oder Gastgeber nicht abgesagt, sondern auf einen späteren Termin verlegt werden, bliebe die jetzt dringend benötigte Liquidität in den Unternehmen. Hotels versuchen, Geschäftsreisende anzulocken, die sie noch beherbergen dürfen. Bars liefern gemixte Cocktails in Flaschen und Tüten nach Hause. „Aber das ist nur ein kleines Kompensationsgeschäft“, sagt Nils Wrage, Chefredakteur des Fachmagazins „Mixology“. Der Handelsverband HDE warnt allgemein, dass „viele Einzelhändler nicht länger als vier Wochen aushalten“.

Industrie

In einer kritischen Situation befinden sich laut BCG ferner die Bereiche Auto, Chemie/Pharma, die Elektrotechnik und Kunststoffindustrie. Nicht nur ausbleibende Aufträge, auch unterbrochene Lieferketten machen Unternehmen zu schaffen, vor allem wenn sie globalisiert und personalintensiv sind. Lieferketten dürften nach Corona grundlegend neu geordnet und dezentraler werden, glauben die Wirtschaftsberater. Grundsätzlich wird es für die Industrie schwierig. Es wird mit Insolvenzen und Übernahmen gerechnet. Der bereits angeschlagene Zulieferer Leoni steht kurz vor der Pleite. Auto-Experte Ferdinand Dudenhöffer rechnet mit einer „Schneise der Verwüstung“.

Selbstständige und Mittelstand

Ob Kulturschaffende oder Messebauer, wer sich alleine oder in einem kleinen Unternehmen durchschlägt, hat es nun meist besonders schwer. Freiberufler und Solo-Selbstständige sollen vom Staat ein Hilfsprogramm von mehr als 40 Mrd. € bekommen. Der Mittelstand befürchtet wegen der Corona-Krise eine riesige Pleitewelle und hat eine „Taskforce Liquidität für den Mittelstand“ gegründet.

Alteingesessenen Läden droht die Pleite

Das Hilfspaket der Regierung für Unternehmen könnte aus Sicht des Handelsverbands HDE für viele Einzelhändler zu spät kommen. HDE-Geschäftsführer Stefan Genth sieht „weiterhin die Gefahr, dass die Kreditbewilligung durch die Banken zu lange dauert“. Wenn die Regierung nicht nachbessere, drohe eine Pleitewelle in Innenstädten etwa unter alteingesessenen Schuh- und Bekleidungsgeschäften. Außerdem laufe etwa jeder sechste Händler aufgrund seiner mittleren Größe Gefahr, zwischen Förderprogrammen durchzufallen. Auch Unternehmen mit mehr als zehn Mitarbeitern, die nicht von Soforthilfen profitierten, müsse der Staat helfen.