Eigentlich habe sie ein ganz normales Leben, sagt Marion S. (Name geändert). Sie arbeitet in einem Pflegeheim und macht es gerne. „Ich liebe die alten Menschen“, sagt die Mittfünfzigerin aus dem Alb-Donau-Kreis. Sie jobbt außerdem als Putzfrau – in erster Linie wegen des Geldes. „Aber es ist auch ein guter Ausgleich“, sagt sie. Ebenso wie das Stricken von Mützen und Kuscheltieren für Bedürftige und ihre Kinder.
Ihre Wohnung ist blitzsauber und gemütlich. Trotz allem ist sie unglücklich, und das aus einem einzigen Grund: „Was mich quält, sind meine Zähne“, sagt sie. Das schadhafte Gebiss mit einigen Lücken und die Tatsache, dass sie es aus Geldmangel nicht richten lassen kann, machten ihr bewusst, dass sie arm ist. Nötig wären einige Implantate, aber die könne sie sich nicht leisten. Sie ist sich ganz sicher: Auf Grund eines traumatischen Erlebnisses im Zusammenhang mit einer Reanimation würde eine Prothese im Mund bei ihr Brechreiz auslösen. „Ich habe schon viel ausprobiert, zum Beispiel eine Teilprothese, aber es geht einfach nicht.“
Die schlechten Zähne hätten ihr Verhalten verändert: Sie verbiete sich das Lachen, denn sie schäme sich fürchterlich, sagt die Frau. Soweit sie es in der Hand gehabt hatte, habe sie stets auf eine gute Mundhygiene geachtet. Deshalb vermutet sie, dass ihre Zähne bereits in ihrer Kindheit durch eine – damals nicht erkannte – Erkrankung schwer geschädigt worden sind.
„Meine Mutter war 17 Jahre als sie mich bekam und überfordert, der Vater war gewalttätig“, sagt sie. Das Leben hat ihr auch später zugesetzt. Der Vater ihres ersten Sohnes verließ sie früh. Auch ihr zweiter Partner ließ sie sitzen, nun war sie alleinerziehend mit zwei Kindern. Sie arbeitete nachts, bis sie aus gesundheitlichen Gründen aufhören musste.
Sie bekam eine Umschulung, fand aber trotz zahlreicher Bewerbungen keinen Arbeitsplatz. Stattdessen musste sie einen Ein-Euro-Job annehmen. Da der auch nach drei Jahren noch nicht in ein festes Arbeitsverhältnis mündete, beschloss sie, sich auf eigene Faust weiter zu qualifizieren. Sie schaffte es und arbeitet nun in der stationären Altenpflege. „Ich würde heute noch Hartz IV beziehen, wenn ich nicht gegenüber dem Arbeitsamt meinen Kopf durchgesetzt hätte.“
Der ältere Sohn hat einen Handwerksberuf gelernt und inzwischen selbst Familie, sein jüngerer Bruder studiert. Darauf ist Marion S. stolz. Sie hat immer darauf geachtet, dass die Kinder in ordentlichen Verhältnissen aufwachsen. Arm zu sein, heiße ja nicht, im Müll zu leben. „Man kann eine ordentliche Wohnung haben“, sagt sie, „und trotzdem nicht zurechtkommen“. Wohngeld habe sie nicht beantragt, weil das sonst auf die Ausbildungsförderung ihres Sohnes angerechnet würde. Deshalb habe sie versucht, für die Zahnbehandlung einen Kredit zu bekommen. Der sei ihr verwehrt worden mit dem Hinweis auf ihr Alter. Inzwischen hat sie eine private Zusatzversicherung abgeschlossen, um wenigstens für die Zukunft gewappnet zu sein. Für bereits bestehende Schäden kommt die Versicherung nicht auf – „aber wie hätte ich mir den Beitrag von Hartz IV leisten können?“, fragt Marion S. „Zähne sind so wichtig. Sie bedeuten Lebensqualität.“
Sie selbst traut sich kaum mehr unter Leute. Denn den meisten falle es schwer, jemandem mit schlechten oder fehlenden Zähnen ins Gesicht zu schauen. „Ich weiß, dass ich kein Einzelfall bin“, betont sie und hofft, dass Menschen in ihrer Situation geholfen werden kann. Auch wer arm ist, sollte ihrer Meinung nach die Möglichkeit haben, gepflegt zu erscheinen – und auch selbst dazu beitragen, „dass andere sich nicht vor einem ekeln.“
Gezielt für Gesundheit spenden
Direkte Hilfe Wer Menschen helfen möchte, die trotz Arbeit zu wenig Geld haben, um ihre Gesundheit zu finanzieren, notiert auf der Überweisung das Stichwort „Arm trotz Job“. Das Geld, das in diesen Topf fließt, soll dann ausschließlich für derartige Härtefälle verwendet werden.