Lena* ist eine kluge junge Frau. Die Schule hat sie locker geschafft, auch das erste Studiensemester bereitet ihr keine Probleme. Nur die theoretische Fahrprüfung war für die 19-Jährige eine hohe Hürde. Beim ersten Mal fiel sie durch, und auch beim zweiten Mal schaffte sie den Test nur mit Mühe. Ihre Erklärung: „Mit falschen Unterlagen gelernt, einfach Pech gehabt.“
Dass Lena sich bei ihrer Führerscheinprüfung schwergetan hat, kann tatsächlich Zufall sein. Aber statistisch gehört sie zu dem immer größer werdenden Teil von Jugendlichen und jungen Erwachsenen, der bei entscheidenden Prüfungen versagt. So haben im Jahr 2017 knapp 37 Prozent der Getesteten die theoretische Führerscheinprüfung nicht bestanden, innerhalb von acht Jahren eine Zunahme von fast einem Drittel. Ähnlich negativ ist die Bilanz beim Abitur: 3,8 Prozent des 2017er-Jahrgangs scheiterten, acht Jahre vorher waren es nur 2,4 Prozent. Solche Zahlen lassen vermuten: Die von Soziologen als verwöhnt beschriebene Generation X und die darauffolgende Generation Y, die alles hinterfragt, werden abgelöst durch eine neue Gruppe: die Generation „durchgefallen“.
Experten liefern für das Phänomen unterschiedliche Erklärungen. Oft scheiterten Jugendliche wegen überehrgeiziger Eltern beim Abitur, sagt der Präsident des Lehrerverbands, Heinz-Peter Meidinger. „Zu viele junge Menschen landen nicht mehr auf der Schulart, die eigentlich die richtige für sie wäre“, ist er überzeugt. Viele Bundesbürger sehen das ähnlich. Laut einer aktuellen Insa-Umfrage ist mehr als die Hälfte der Befragten der Meinung, dass zu viele Jugendliche Abitur machten.
Aktuelle Zahlen zeigen, dass tatsächlich ein immer größerer Teil eines Schülerjahrgangs die Abiturprüfung ablegt. Waren es vor acht Jahren noch 33 Prozent (Baden-Württemberg: 37 Prozent), so stieg die Quote 2017 auf 40 Prozent (Baden-Württemberg: 42 Prozent). Meidinger äußert sogar die Vermutung, dass die „ehrliche Zahl“ der Gescheiterten noch höher sein müsste. Denn oftmals werde bei der Prüfung ein Auge zugedrückt, um einen Schüler doch noch durchkommen zu lassen.
Andere sehen als Problem nicht die Menge der Jugendlichen, die zum Abitur drängen. Stattdessen verweisen sie auf eine allgemein nachlassende Konzentrationsfähigkeit vieler junger Menschen. Martin Korte, Hirnforscher an der Technischen Universität Braunschweig, hat dafür einen klaren Schuldigen identifiziert: den Computer. „Wenn Sie den Eindruck haben, dass Schüler sich nicht mehr gut konzentrieren können, dann hat das mit der Digitalisierung der Kinderzimmer zu tun“, erläutert er. Aber auch das ständige Spielen an Handys sei von Nachteil. Ein Blick des Schülers auf sein Mobiltelefon, und 60 Wörter des Lehrers seien durchgerutscht.
Sogar über einen sinkenden Intelligenzquotienten (IQ) wird spekuliert. Die „Zeit“ verweist dazu auf Untersuchungen der Universität Oslo und der norwegischen Streitkräfte. Die Wissenschaftler verglichen Daten, die von 1954 an bei der Musterung junger Männer erhoben wurden. Bis 1970 ging der IQ-Durchschnitt deutlich nach oben, dann verlangsamte sich die Kurve, bevor sie von 1994 an abfiel. Allerdings: Ob IQ-Tests tatsächlich das vollständige geistige Potenzial der Menschen abbilden, ist in der Forschung umstritten.
Beim Deutschen Jugendinstitut (DJI) sieht man zwei Gründe, weshalb sich immer mehr Jugendliche bei Prüfungen schwertun: zunehmenden Stress und zunehmende Unsicherheit. Viele Jugendliche hätten durch steigende Anforderungen in Schule und Beruf das Gefühl, dass sie „sowieso lebenslang lernen müssen“, sagt DJI-Mitarbeiterin Christine Steiner. Dass es die eine, alles entscheidende Prüfung gebe, werde von vielen gar nicht mehr so wahrgenommen.
Auch beim Kraftfahrtbundesamt rätselt man darüber, wieso die Durchfallerquoten bei der theoretischen Führerscheinprüfungen steigen. Eine in Auftrag gegebene Studie soll nun Aufklärung über die Gründe bringen, wie das Amt auf Anfrage der SÜDWEST PRESSE mitteilt. Interessant sind die deutlichen regionalen Unterschiede. Während in Berlin, Sachsen-Anhalt und Mecklenburg-Vorpommern mehr als 44 Prozent der Angetretenen den Test nicht bestehen, sind es in Baden-Württemberg nur 38 Prozent, in Niedersachsen sogar nur 34 Prozent.
Für die regionalen Besonderheiten kennt man zwar bei der Bundesvereinigung der Fahrlehrerverbände keine Gründe. Vorsitzender Gerhard von Bressensdorf hat aber beobachtet, dass sich gerade Menschen mit ausländischem Hintergrund schwertun. „Weil viele von ihnen nicht richtig Deutsch sprechen“, lautet seine Erklärung. Generell seien aber auch die Führerscheinprüfungen etwas schwieriger geworden, weil die Fragen zum Teil auf Filmszenen beruhen, die nicht so leicht zu beurteilen seien.
Lena ist inzwischen mit sich und der Welt des Autofahrens zufrieden. Denn nach intensiver – und diesmal auch konzentrierter – Vorbereitung hat sie nach dem theoretischen auch den praktischen Teil ihrer Führerscheinprüfung bestanden. Diesmal sogar auf Anhieb.