Der aktuelle Wahlkampf ist der erste, bei dem das Internet auch in Deutschland massiv für Wahlwerbung eingesetzt wird – doch Ängste vor Manipulationen haben sich bislang eher nicht bewahrheitet. Das legt eine Studie der Universität Oxford nahe, die am Mittwoch in Berlin vorgestellt wird.
Die Untersuchung zeigt: Auf Twitter ist die AfD die stärkste Kraft. Fast jeder dritte Tweet zum Thema Bundestagswahl beschäftigt sich mit der Partei. Um das herauszufinden, haben drei Forscher der Oxford-Universität an zehn Tagen Anfang September analysiert, welche Inhalte zur Wahl bei Twitter verbreitet werden. Sie untersuchten fast eine Million Tweets, die von knapp 150.000 Nutzern stammen, und zeichneten auf dieser Grundlage ein Bild der politischen Landschaft bei Twitter.
Die CDU als zweitstärkste Kraft kommt demnach auf nur 18,2 Prozent, die SPD auf 8,9 Prozent. Ausreißer gab es lediglich am Abend des 3. September, als während des TV-Duells die Werte von der Union und der SPD in die Höhe schnellten. „Wer sehen will, wie digitaler Wahlkampf geht, der muss auf die AfD schauen“, jubelte die Partei am Mittwoch. Dabei verrät die Analyse nicht, ob die Tweets zustimmend oder kritisch sind.
Außerdem haben die Resultate zum Teil auch damit zu tun, dass 15 Prozent der AfD-Tweets automatisierte Inhalt sind – sogenannte Social Bots. Bei den anderen Parteien ist dieser Anteil teils deutlich geringer. Aus diesen Befunden lässt sich allerdings nicht erkennen, ob die AfD diese automatisierten Konten selbst eingesetzt oder gar programmiert hat. Noch im November 2016 hatte Kanzlerin Merkel im Bundestag vor solchen Social Bots gewarnt. Alle Parteien bis auf die AfD hatten daraufhin deren Einsatz ausgeschlossen. Die AfD erklärte, sie ziehe den Einsatz in Betracht, distanzierte sich aber später von dieser Aussage.
Wenige Tage vor der Wahl scheint also festzustehen: Im Vergleich zu den Präsidentschaftswahlen in den USA haben Bots eine eher geringe Rolle gespielt. Das gilt auch für sogenannte Fake News. Der Untersuchung zufolge werden bei Twitter überwiegend Nachrichten von professionellen Medien geteilt. „In Vergleich zu den USA ist in Deutschland der Einfluss von Junk News moderat“, erklärt Lisa-Maria Neudert, eine der Studienautorinnen. Das Forscherteam aus Oxford nutzt den Begriff „Junk News“, weil der gängige Begriff „Fake News“ in der Debatte zu ungenau genutzt wird. Die Wissenschaftler bezeichnen damit Inhalte, die nicht faktenbasiert berichten, sich aber als faktenbasiert ausgeben. Die Forscher haben noch eine gute Nachricht: „Während in den USA auf jede professionelle News-Seite eine Junk-News-Seite kam, stammte in Deutschland nur rund ein Fünftel von solchen Junk-News-Quellen.“
Neudert will trotzdem keine Entwarnung geben. „Junk News und Bots sind nicht nur öffentlich aktiv, sondern auch in geschlossenen Gruppen und in persönlichen Messengern wie WhatsApp“, erklärt sie. „Dieser Bereich entzieht sich der öffentlichen Betrachtung und auch der Wissenschaft natürlich komplett.“ Zugleich habe die Studie aber auch gezeigt, dass Junk-News-Inhalte im deutschen Raum etabliert sind – wenn auch in geringerem Maße als in den USA.
Den Unterschied zu den Vereinigten Staaten erklärt Neudert durch verschiedene politische Kulturen. „Ich denke, in den USA gab es zum Wahlkampf eine viel größere strukturelle Spaltung in der Nation, viel Unsicherheit und Skepsis gegenüber dem politischen Establishment und den Medien, was einen fruchtbaren Boden für Junk-News geboten hat“, sagt sie. Zugleich muss allerdings berücksichtigt werden, dass die Analyse andere soziale Netzwerke wie Facebook, das in Deutschland viel weiter verbreitet ist als Twitter, nicht berücksichtigt.