Marc Oliver Kempf kann schon wieder lachen. Was sehr hilfreich sein kann, Lachen ist bekanntlich die beste Medizin. Sie hilft über die Schmerzen hinweg und kaschiert so manchen Schönheitsfleck. Die linke Backe ist noch leicht geschwollen, eine etwa zwei Zentimeter lange Narbe ziert den hinteren Unterkiefer, ein Draht die untere Zahnreihe: Bei genauerem Hinsehen werden die Folgen der Horrorverletzung sichtbar.
Rückblick: Am 1. Februar tritt der VfB Stuttgart beim FC St. Pauli an. Keine vier Minuten sind gespielt, als Ryo Miyaichi den Stuttgarter Kapitän in vollem Lauf zur Strecke bringt. Miyaichis Schulter gegen Kempfs Kiefer. Die Wucht des Zusammenpralls ist so stark, dass der massige 88-Kilo-Mann sofort auf die Bretter geht. Die Diagnose fällt genauso niederschmetternd aus: Doppelter Bruch im Unterkiefer, darunter ein kleinteiliger Trümmerbruch.
VfB-Kapitän vier Stunden lang operiert
„Es hat gut reingeballert“, beschreibt der 25-Jährige die Szene drei Wochen später mit einem leichten Lispeln. Im ersten Moment spürte er durch das Adrenalin kaum einen Schmerz. „Erst als es nass im Mund wurde und ich gemerkt habe, es ist Blut, wusste ich: Da ist wohl mehr kaputt.“
Miyaichi entschuldigt sich öffentlich und persönlich, zwei Tage später wird Kempf im Klinikum Stuttgart operiert. Vier Stunden lang flickt Kieferchirurg Dieter Weingart, der vor zwei Jahren schon Christian Gentners Knochenbrüche im Gesicht repariert hatte, den Knochen zusammen. Zwei Metallplatten von außen, zwei von innen, dazu ein Drahtgestell zur Stabilisierung der Zähne. Kempf hat keine Scheu, bei der Veranschaulichung der Hilfsmittel ins Detail zu gehen.
Kempf verliert nach OP drei Kilo Gewicht
Er hat wieder gut lachen; jetzt, da das Schlimmste überstanden ist. Wozu neben den Schmerzen noch etwas anderes gehörte: Die Sache mit dem Essen. In den ersten Tagen kann sich Kempf nur von Suppen, Brei und Babynahrung ernähren. Zwei bis drei Kilo sind schnell runter, was für einen Profisportler aber nur zur Folge hat, dass er die verlorene Muskelmasse neu aufbauen muss. Drei Wochen nach der Operation kann sich der Abwehrspieler wieder weiche Festnahrung wie Kartoffeln, Gemüse und Nudeln in den Mund schieben. Sein altes Kempf-Gewicht ist wiederhergestellt. So dramatisch und schmerzhaft die Gesichtsverletzung anmutet – der Genesungsprozess verläuft schneller als bei so manchem Muskelriss.
VfB-Profi Kempf wird keine Carbon-Maske tragen
Kempf fährt schon wieder Fahrrad und joggt, macht Stabilisations- und Krafttraining. Auch erste Übungen mit Ball stehen bald auf dem Programm. In dreieinhalb Wochen soll der Knochen ausgeheilt sein (die Metallplatten können nach sechs Monaten entfernt werden, müssen aber nicht), dann will sich der Verteidiger wieder ins Getümmel des Mannschaftstrainings stürzen.
Sofern der Kopf mitmacht. Kempf verhehlt nicht, dass ihm schon jetzt ein wenig bange vor der Rückkehr ist. „Normalerweise kann ich gut mit so etwas umgehen, aber eine Kopfverletzung ist eben eine sehr spezielle Sache“, sagt der in Verletzungsfragen erfahrene Kempf. Ein Meniskusschaden zwang ihn schon einmal zu einer halbjährigen Auszeit. Die Anfertigung einer speziellen Carbon-Maske wurde in Erwägung gezogen, aber schnell wieder verworfen. Sie müsste die komplette untere Gesichtshälfte umschließen, also auch den Mund. Was sich zwar für Skirennläufer realisieren, aber nicht mit 90-minütigem Ausdauersport vereinbaren lässt. Man bekommt schlicht zu wenig Luft.
Das Risiko spielt nach Horrorverletzung mit
Der Fußballprofi wird das Risiko letztlich selbst abwägen müssen. Erfahrungswerte gibt es kaum, Kieferbrüche kommen im Fußball eher selten vor. Für Ex-Mannschaftskamerad Gentner war die Gesichtsmaske nach seiner schlimmen Verletzung (Bruch von Augenhöhle, Oberkiefer und Nasenbein) auch psychologisch eine Stütze. Kopfverletzungen haben im Fußball stark zugenommen, da sich Tempo und Physis der Sportart stetig erhöht.
VfB-Kempf will nichts überstürzen: „Wenn ich wieder einsteige, will ich mich auch voll reinwerfen. Aber ich muss schauen, wie schnell ich das alles abhaken kann.“
Grüttners Rückkehr
VfB-Stürmer Nicolas Gonzalez arbeitet ebenfalls an seinem Comeback. Nach seinem Muskelfaserriss im Adduktorenbereich trainiert der Argentinier noch in der Reha-Welt des Klubs. Schon bald soll er jedoch auf den Platz zurückkehren, heißt es.
VfB-Trainer Pellegrino Matarazzo hat einen Startelf-Einsatz seines treffsichersten Stürmers Hamadi Al Ghaddioui im Heimspiel gegen Jahn Regensburg offen gelassen. Al Ghaddioui hatte zuletzt nach seiner Einwechslung das Siegtor für die Stuttgarter in Bochum geschossen und ist mit acht Pflichtspieltreffern bester Torschütze des Fußball-Zweitligisten.
Marco Grüttner freut sich auf die Partie am Samstag beim VfB. Der Stürmer von Jahn Regensburg stammt aus der Region, hat unter anderem beim SSV Ulm 1846, und war schon als Junge im Stadion. „Das wird ein großes Erlebnis“, sagt der 34-Jährige, der auch schon für den VfB II stürmte. Grüttner wird Jahn am Saisonende verlassen. Ziel unbekannt.