Als die Fußball-Bundesliga vor zwölf Monaten ins neue Jahr startete, war die Situation an der Tabellenspitze so spannend wie ein ausgeleiertes Gummiband. Angesichts der elf Punkte Vorsprung auf Schalke 04 stand 28. deutsche Meisterschaft des FC Bayern München praktisch schon fest. Am Saisonende betrug der Abstand 21 Zähler.
Jetzt stellt sich die Situation ganz anders dar. Die gejagten Münchnern, die morgen (20.30 Uhr/ZDF) bei 1899 Hoffenheim den Jahresauftakt bestreiten, finden sich in der Rolle des Jägers wieder. Borussia Dortmund führt die Tabelle mit sechs Punkten Vorsprung an. Erstmals seit 2012 könnte dieses Jahr ein anderer Name als der FC Bayern auf der Meisterschale eingraviert werden. Doch die Münchner wehren sich. „Wir wollen Meister werden. Die anderen interessieren uns nicht“, kündigt Torhüter Manuel Neuer an. Der Spannungsbogen ist deutlicher straffer als vor Jahresfrist. Aus dem Münchner Alleingang ist ein echter Zweikampf geworden. Borussia Mönchengladbach und RB Leipzig werden wohl nicht in den Titelkampf eingreifen können.
Genauso spannend wie die Frage nach dem neuen Meister ist, wie sich die Spitzenteams der Bundesliga längerfristig aufstellen. Beim FC Bayern kündigt sich der große Umbruch im Sommer an, wenn die Ära Franck Ribéry/Arjen Robben zu Ende geht. Der junge Kanadier Alphonso  Davies (18) ist schon da, Englands Talent Callum Odson-Hodi  (FC Chelsea, ebenfalls 18) soll kommen. Weiter sind die Dortmunder. BVB-Geschäftsführer Hans-Joachim Watzke hat im Laufe der Saison mit dem Argentinier Leonardo Balerdi (19/Boca Juniors), Abdou Diallo (22/Mainz) und Champions-League-Sieger Achraf Hakimi (20/Real Madrid) in die Zukunft investiert.
Ähnlich aufregend wie der Kampf um den Titel ist der gegen den Abstieg.  Mitten drin: der VfB Stuttgart. Wie im vergangenen Jahr überwinterte er im Tabellenkeller und hat  gar drei Punkte weniger aufzuweisen als zum gleichen Zeitpunkt des Vorsaison (17), als in der Rückrunde eine furiose Aufholjagd auf Platz sieben gelang. 34 Zähler holte das Team unter Tayfun Korkut in der Rückrunde – eine Marke,  die zu wiederholen nahezu utopisch ist.

Anspruch und Wirklichkeit

In zwei sieglosen Testspielen kassierten die Stuttgarter fünf Gegentreffer. Der Abwehr fehlt es an Stabilität, dem Mittelfeld an Ideen, im Sturm hapert es an der Chancenverwertung. Dazu kommen disziplinarische Probleme, nicht nur bei Anastasios Donis, der als einziger öffentlich gemaßregelt wurde.
Bei kaum einem anderen Klub klaffen Anspruch und Wirklichkeit  so weit auseinander als beim VfB. Präsident Wolfgang Dietrich hat mit der Ausgliederung der Profisparte in eine Aktiengesellschaft hohe Erwartungen geweckt, die sich bislang nicht erfüllten. Von europäischem Anspruch ist der Verein weit entfernt. Spieler wie Weltmeister Benjamin Pavard, der zum Rückrunden-Auftakt verletzungsbedingt fehlen wird, kann der Verein nicht halten. Der Franzose wechselt zur neuen Saison zum FC Bayern.
Das Dilemma des VfB verkörpert am treffendsten Holger Badstuber. Der 29-jährige, oft verletzte Innenverteidiger sieht sich selbst als Kandidaten für einen Champions-League-Klub, hat aber  seinen Stammplatz beim VfB verloren. Mehrmals vollzogen Badstuber und Manager Michael Reschke einen wahren Hexentanz um einen möglichen Vereinswechsel. „Dass beide Seiten mit dem letzten halben Jahr nicht zufrieden waren, ist offenkundig“, sagt Reschke.
Gestern nun erhielt Badstuber mit dem 18-jährigen Türken Ozan Kabak einen weiteren Konkurrenten vor die Nase gesetzt. Angeblich zahlt der VfB elf bis zwölf Millionen Euro Ablöse für das Talent an Galatasaray Istanbul. Es wäre die teuerste Neuverpflichtung in der Vereinsgeschichte des VfB Stuttgart.
Deutlich günstiger zu haben waren die Offensivspieler Alexander Esswein (Hertha BSC) und Steven Zuber (1899 Hoffenheim). Sie spielten bei ihren bisherigen Klubs in dieser Saison allerdings keine beziehungsweise nur eine Mitläuferrolle. Dennoch setzt der VfB große Hoffnungen auf die Neuen. „Wir haben einen deutlich breiteren und besser aufgestellten Kader als in der Hinrunde. Deshalb sind wir überzeugt, dass wir Platz 15 und den direkten Klassenerhalt schaffen“, sagt Reschke.

Gekommen, um zu liefern

Steven Zuber, will sich beim VfB Stuttgart möglichst schnell einen Stammplatz erarbeiten. „Natürlich bin ich hierher geholt worden, um etwas zu liefern“, sagte der 27 Jahre alte Schweizer Nationalspieler. Er wurde von Ligakontrahent 1899 Hoffenheim ohne Kaufoption bis zum Saisonende ausgeliehen.