Ulm 1846 kann doch noch Fußball spielen! Die Schlagzeile kurz vor Weihnachten 1966 sagt eine Menge über Wunsch und Wirklichkeit bei den Spatzen, die von der höchsten Spielklasse, der Oberliga, tief abgestürzt waren.
Auch daran lässt sich ermessen, wie gut den Ulmern und ihren Fans jenes Freundschaftsspiel gegen den Bundesligisten Werder Bremen tat, bei dem es bis zur 80. Minute 1:1 stand. Am Ende verlor die Elf der TSG 46 gegen ein mit Nationalspielern wie Horst-Dieter Höttges und Sepp Piontek bestücktes Team zwar noch 1:3, aber die alte Fußball-Begeisterung flammte kurz auf wie eine Kerze im Advent. „Das hatten selbst die größten Optimisten nicht erwartet“, hieß es in der Schwäbischen Donau Zeitung.
Die SDZ, aus der die SÜDWEST PRESSE hervorging, berichtete mit einer Mischung aus Nostalgie und Sentimentalität: „Erinnerungen an große Fußballzeiten“ lautete eine weitere Überschrift. Unvorstellbar war lange Zeit gewesen, dass die ehemaligen Erstliga-Kicker der TSG 46 in der SDZ-Berichterstattung viel kleiner wegkommen würden als der 1. SSV Ulm 1928. Doch im August 1966 hatte sich die Gewichtung geändert: Der SSV war aufgestiegen in die 1. Amateurliga Nordwürttemberg, die Spatzen abgestiegen in die 2. Amateurliga. Sie waren also in einer ähnlichen sportlichen Situation wie heute: viertklassig.
Zu einer Stadt mit großem Einzugsgebiet und damals 92 000 Einwohnern (heute rund 118 000) wollte Viertklassigkeit so recht nicht passen. Auch deshalb gab es Ende des Jahres ein Sportforum, bei dem sich Vereinsfunktionäre und städtische Beamte austauschten, moderiert von der SDZ-Redaktion. „Am runden Tisch, bei Bier und kalter Platte, sind mutige Dinge, Erfreuliches und auch weniger Angenehmes gesagt worden“, war danach unter dem Stichwort „Resignation?“ zu lesen. Ein Problem wurde schnell ausgemacht: „Im Gemeinderat sitzen wenige Männer und Frauen, in deren Brust ein Herz für den Sport schlägt. Und so dringen die Argumente der 16 000 Mitglieder in Turn- und Sportvereinen nicht mit der Lautstärke an das Ohr des Stadtoberhauptes, wie das für eine Stadt wie Ulm notwendig wäre. Es muß ja nicht gleich so sein, wie in Heidenheim, wo der Oberbürgermeister geneigt ist, jedem Bürger den Anmeldeschein für einen Sportverein unterzuschieben. . .“
Als „Zwangsabstieg“ hatten viele Spatzen-Anhänger empfunden, was für die Ulmer von der Saison 1963/1964 an mit der neu geschaffenen Bundesliga kommen sollte. Als Tabellenachter der Oberliga hätte die TSG 46 den Klassenerhalt in der Süd-Gruppe souverän geschafft, nun aber würden sie den Status der Erstklassigkeit per Reform verlieren und künftig nicht in der Bundesliga, sondern eine Etage tiefer in der neuen Regionalliga Süd spielen. Weil den Spatzen das finanzielle Risiko in der eingleisigen Bundesliga als zu hoch erschien, hatten sie erst gar keinen Aufnahmeantrag gestellt. Werder Bremen dagegen war von Anfang an dabei.
Keiner konnte ahnen, dass es 36 lange Jahre dauern sollte, ehe die Ulmer als SSV 46 wieder für ein Jahr – in der Saison 1999/2000 – zur deutschen Eliteklasse zählen sollten. Nach dem Zweiten Weltkrieg hatten sie sich, mal in der ersten, mal in der zweiten Liga, konstant einen Namen gemacht. 11 000 Zuschauer im Durchschnitt kamen in der letzten Oberliga-Saison ins Stadion. Bald erinnerten sich die Fans mit Wehmut an die großen Duelle dieser Spielzeit: das 8:1 gegen den BC Augsburg, das 6:1 gegen Bayern München mit vier Treffern des pfeilschnellen Helmut Siebert. Davon sprach die Stadt, die Region, halb Sport-Deutschland.
Eine Schlagzeile wie „Ulm 1846 kann doch noch Fußball spielen!“ war zu Weihnachten 1966 schön wie ein Geschenk mit Schleife.