Seit zwei Jahren ist Julia Vogler Profisportlerin – zumindest was den Trainingsaufwand betrifft. Denn von ihrem Sport leben kann die 20-Jährige aus Weilstetten nicht. Ganz im Gegenteil. In dieser Saison geht es für sie vor allem darum, eine Sportförderstelle bei einer Behörde zu bekommen, denn nur so lässt sich eine Biathlon-Karriere finanzieren. Ein wichtiger Meilenstein auf diesem Weg sind die Deutschen Meisterschaften, die am Wochenende am Notschrei stattfinden.
Der Weg zum Profisport ist steinig, doch für manche sind die Hürden besonders hoch. Julia Vogler fällt in diese Kategorie. Das fängt schon damit an, dass sie sich ausgerechnet ins Biathlon verliebt hat. „Für mich ist es einfach die spannendste Wintersportart“, sagt die 20-Jährige. Deshalb hat sie 2015 angefangen. Langlaufen konnte sie da schon: „Das hat mir Papa beigebracht.“

Zunächst geht es für Vater und Tochter zum SC Gosheim

Der Weg führte Vater und Tochter zum SC Gosheim. Beim Heimatverein von Simone Hauswald werden die Erfolge mittlerweile vor allem im Sommerbiathlon gefeiert. Crosslauf und Schießen – dazu braucht man keinen Schnee. Organisiert wird der kleine Ableger vom Deutschen Schützenbund. Julia Vogler hat das gut gepasst, denn sie war auch als Leichtathletin unterwegs. Schnell stellten sich Erfolge ein.
Zweimal die Woche fuhr Arman Yigitkurt seine Tochter zum Komplextraining – also Schießen und Laufen in Kombination. 30 Minuten hin, 30 zurück. „Dazu hab ich auch immer daheim trainiert. Mit Papa oder allein.“ Doch dann bremste sie eine Verletzung aus. „Ich hab‘ mir beim Weitsprung den Mittelfuß gebrochen“, erinnert sich Julia Vogler.
Das war im Dezember 2016, in ihrer letzten Saison in der Luftgewehrklasse. Erst danach, mit 15 Jahren, wird es „echtes“ Biathlon, mit Kleinkalibergewehr auf dem Rücken. Dann geht es darum, sich für Landeskader und Bundeskader mit Leistungen zu empfehlen. Es geht darum, in den Fokus der Bundestrainer zu kommen.
Daraus wurde für Julia Vogler erst einmal nichts. Der Fuß wollte nicht heilen, die Schmerzen gingen nicht weg. Im August 2017 entschied sie sich zur Operation. „Mit Leichtathletik war danach Schluss“, sagt sie. Aber auch im Biathlon musste sie zwei Jahre Wettkampf-Pause machen: „Im Winter 2018 war ich dann wieder Langlaufen. Sonst habe ich vor allem Oberkörpertraining gemacht.“
Biathlon-Training ist sowieso kein Zuckerschlecken. Viele Kilometer müssen geschrubbt werden, joggend, auf Skirollern oder Langlauf-Ski. Krafttraining, Körperstabilität. „Quälen muss man sich im Leistungssport immer“, sagt Julia Vogler dazu lapidar. Und die Fähigkeit, an den langen Einheiten Spaß zu finden, hat sie vielleicht von ihrem Vater geerbt. Arman Yigitkurt ist jahrelang Straßenradrennen für den RSV Geislingen gefahren.
Inzwischen widmet er sich einem neuen Hobby mit derselben Hingabe: Er ist Techniker beim Biathlon-Team Baden-Württemberg – er sorgt mit seinem Team dafür, dass die Ski bei Wettkämpfen schnell sind. „Ich kann gar nicht verstehen, wie man daran Spaß haben kann“, sagt seine Tochter, während sie in einem kalten Container die Langlaufski abzieht. Denn soweit geht der Service nicht. Acht Paar Ski muss sie vom Wachs befreien und vorbereiten. Auch das ist Oberkörpertraining. Unmittelbar vor dem Wettkampf wird getestet. Es geht darum, den schnellsten Ski für die Bedingungen zu finden.
Es ist eine Wissenschaft für sich, in die sich Yigitkurt akribisch eingearbeitet hat. So wie er immer an der Strecke steht, seiner Tochter die Zeiten durchgibt und hinterher die Listen mit den vielen Details analysiert. Laufzeit, Schießstandzeit, Schießzeit, absolute Geschwindigkeit. Am Ende aber zählt vor allem eins: Was auf den Ergebnislisten steht. Denn das entscheidet, wie die Karriere weitergeht. Zwei schlechte Tage am Schießstand, eine Magenverstimmung und schon kann alles vorbei sein.

Training am Bundesstützpunkt bei Roman Böttcher

Bislang finanziert Julia Vogler den Sport selbst, Sponsoren hat sie nicht. Nach dem Abitur am Gymnasium Balingen 2020 ist sie nach Freiburg gezogen. Dort trainiert sie am Bundesstützpunkt bei Roman Böttcher in der „Freiburger Gruppe“. Zu der gehören auch Benedikt Doll und Roman Rees. „Das macht die Gruppe so besonders, dass Junioren und die erfahrenen Weltcup-Athleten, egal ob männlich oder weiblich, zusammen trainieren. Wir Jüngeren können uns da ein paar Dinge abschauen“, sagt die 20-Jährige. Auf der Strecke sind einige Konkurrentinnen: „Wir sind aber auch gute Freunde und halten zusammen. Gerade wenn es bei einer nicht so gut läuft und man Aufmunterung braucht.“
Am Notschrei geht es nicht nur um Titel, sondern auch um Startplätze bei internationalen Rennen und um Bundeskaderplätze, Bedingung für eine Förderung. Die vorherigen Rennen in Südtirol liefen gut, vor allem der Sprint, als Julia Zweite wurde. Acht Biathletinnen im Weltcup-Kader, acht im Anschluss, acht im Junioren-Kader. So sind die Richtwerte im Deutschen Ski-Verband. Nach einem Loch hat der Nachwuchs im internationalen Vergleich aufgeholt. Die Konkurrenz bei den Jahrgängen 2000 bis 2005 ist groß.
10 000 bis 20 000 Euro kostet eine Saison. Je nachdem, wie viel Material man braucht, wo die Wettkämpfe und Trainingslager sind. Denn all das muss Julia Vogler selbst bezahlen oder es ist zumindest eine Eigenbeteiligung bei den Lehrgängen des Landesverbandes fällig. „Ich hab‘ einen Minijob bei einer Tankstelle, um mir was dazu zu verdienen“, sagt sie. Mehr ist bei täglich zwei Trainingseinheiten nicht drin.
Eine Einkleidung, also eine Ausstattung vom Rennanzug bis zum Winterstiefel, bekommen nur Bundeskader-Athleten sowie Sportler, Trainer und Funktionäre bei internationalen Einsätzen – für sie wird auch alles andere bezahlt.
Aber Jammern hört man von Julia Vogler nie. Das liegt ihr einfach nicht. Meistens lacht sie, ist ein rundum positiver Mensch. „Die volle Konzentration am Schießstand und das komplette Auspowern auf der Strecke, das macht für mich den Reiz und die Besonderheit unserer Sportart aus“, schwärmt die 20-Jährige. Das soll am Wochenende wieder gelingen. Damit ihr Traum weitergehen kann.

Behördenplatz als Grundlage

Biathleten sind auf einen Behördenplatz angewiesen. Zoll, Bundespolizei und Bundeswehr sind die Möglichkeiten in Baden-Württemberg. Plätze gibt es wenige. Bayern tun sich leichter, sie können auch bei der Landespolizei unterkommen. Bei den Behörden sind die Sportler angestellt, machen aber keinen regulären Dienst. Eine Überbrückung kann auch ein Bundesfreiwilligendienst am Olympiastützpunkt Freiburg sein.
Das meiste Geld fließt ins Material. Ski, Schuhe, Skiroller, Stöcke, die Munition, die in Training und Wettkampf verschossen wird. Start- und Wachsgeld, Übernachtungen kommen obendrauf. Ohne den Teil der Kosten, die der Landesverband ohnehin trägt, wäre es nicht zu machen.