Der Wecker klingelt, es ist Samstagmorgen, 8 Uhr. Ein flaues Gefühl geht mir durch den Magen. Und jenes Gefühl erinnert mich an einen Freitag im Sommer 2003. Damals standen die Bundesjugendspiele in der Schule auf dem Stundenplan – heute ist es das deutsche Sportabzeichen, das ich in Honhardt ablegen will. In den vier Kategorien „Ausdauer“, „Kraft“, „Schnelligkeit“ und „Koordination“ muss ich jeweils eine sportliche Prüfung absolvieren. Zusätzlich muss ich beweisen, dass ich mich 15 Minuten lang über Wasser halten kann. In jeder Disziplin kann man in unterschiedlichen Altersklassen Bronze, Silber und Gold erreichen. In der Theorie hört es sich einfach an. Die Praxis wird mir zeigen, dass es das nicht ist.
Ähnlich schlecht vorbereitet wie als junger Schüler mache ich mich bei wohltemperierten Außenverhältnissen auf den Weg zum Sportplatz neben der Sandberghalle in Honhardt. Heiner Kraft, der durch das Programm führt, begrüßt mich vor Ort freundlich und bietet mir umgehend das „Du“ an.
„Wir sind doch alle Sportler“, sagt er. „Wenn er wüsste“, denke ich mir und werfe einen Blick über den Sportplatz. Wieder werden Erinnerungen an 2003 wach. Stoppuhren liegen auf einem Biertisch, bunte Hütchen stehen auf dem Gelände verteilt, Medizin- und Schleuderbälle liegen zum Abwurf bereit.
1. Disziplin: Medizinballwerfen
Es geht los. Nach kurzem „Fachsimpeln“ mit den anderen Teilnehmern und Helfern der Veranstaltung finde ich mich an der ersten Station wieder. In der Kategorie „Kraft“ habe ich mich für Medizinballwerfen entschieden. Im Werfen konnte ich schon zu Schulzeiten glänzen – ein wenig das Selbstvertrauen zu pushen, scheint mir nicht verkehrt. Beim ersten, etwas zaghaften Wurf landet die braune Kugel an der Zehn-Meter-Marke. Schon ganz gut, die benötigte Weite für Bronze (9,75 Meter) wäre erreicht. Zum ersten Mal an diesem Tag spüre ich so etwas wie Ehrgeiz. Da geht noch mehr. Der zweite Wurf sitzt: 14,80 Meter. Gold!
2. Disziplin: Schleuderball
Hoch motiviert mache ich mich auf den Weg zur Station „Koordination“: Schleuderball steht an. Die Vorgabe für Bronze in meiner Altersklasse – 25 bis 29 – liegt bei 32,50 Metern, Gold glänzt bei 41,50 Metern. Erster Wurf aus dem Stand: Der Ball landet abgeschlagen bei 25 Metern. „Also gut“, denke ich mir, „versuch es doch mal mit mehr Schwung.“ Eine weise Entscheidung. Der Ball fliegt fünf Meter weiter und kratzt die 30-Meter-Marke. Von der benötigten Weite bin ich allerdings noch ein Stück entfernt.
Nach dem Hoch, kommt nun das Tief. Ernüchterung macht sich breit. Mit einem goldenen Abzeichen rechne ich schon nicht mehr. 2003 ist wieder allgegenwärtig. Zahlreiche Trockeneinheiten und Versuche vergehen – mal zu flach, mal zu weit links oder rechts – ehe ich es doch noch schaffe und den Schleuderball auf 35 Meter befördere. Naja, immerhin die Bronzenorm erfüllt.
3. Disziplin: 100-Meter-Lauf
Weiter geht es mit meiner Horrordisziplin: 100 Meter in der Kategorie „Schnelligkeit“. Dort gehörte ich schon zu Schulzeiten zu den Langsamsten. Das flaue Gefühl vom Morgen kehrt zurück. Ich bin froh, wenn ich hier die geforderten 16,3 Sekunden für Bronze erreiche.
Auf die Plätze, fertig, dann ein Klatschen: Ich komme gut los, fühle mich erstaunlich schnell. Die Ziellinie kommt näher, die Kräfte schwinden. Doch am Ende hat es gereicht: 15,34 Sekunden zeigt die Stoppuhr an.
4. Disziplin: 3000-Meter-Lauf
Nun also noch der 3000-Meter-Lauf. Das Motto: durchkommen, irgendwie die Bronze-Norm von 17:10 Minuten erreichen. Zehn Runden à 300 Meter gilt es zu überstehen. Die ersten Runden verlaufen nach Plan, zumindest habe ich das Gefühl. Doch nach und nach spüre ich jeden Muskel – sofern vorhanden – die Atemzüge werden kürzer. Nach der Hälfte der Strecke muss ich von Laufen auf Gehen umstellen. Die erste Überrundung steht an. Kein schönes Gefühl, dennoch motiviert es mich und ich setze wieder zum Laufen an.
Zwei Runden später: Seitenstechen. Gehen ist wieder angesagt. Mein „Mitläufer“ überrundet mich ein weiteres Mal und läuft über die Ziellinie. Das Ganze droht in einem Desaster zu enden. Doch ich raffe mich auf und versuche die Geschichte mit Würde zu Ende zu bringen. Durch die tatkräftige Unterstützung meines Kumpanen, der bereits im Ziel ist und kurzer Hand beschließt, mit mir die letzten beiden Runden zu laufen, schaffe ich die geforderte Norm und sacke glücklich im Ziel zusammen.
Allmählich komme ich wieder zu Kräften und realisiere, dass ich es geschafft habe. Gut, die Mission Gold rückte im Laufe des Tages in weite Ferne und verwandelte sich in die Mission pures Überleben – das Schwimmen steht noch aus – aber für heute bin ich fertig. Plötzlich kommt dieses Gefühl aus dem Sommer 2003 wieder: Freitagnachmittag, 12 Uhr, die Bundesjugendspiele sind vorbei, die Teilnehmerurkunde ist mit Ach und Krach erreicht. Endlich Wochenende!