Die Schuhe sind einen Tick zu klein. Ausgeliehen. Das Trikot streift sie sich an der Seitenlinie über. Hastig. Zeit für die Kabine bleibt nicht. Petra Linder muss aufs Feld. Alternativlos. Es läuft die Verlängerung im Relegationsspiel. Der TSV Frommern ist wenige Minuten vom Aufstieg in die Verbandsliga entfernt. Nach einem bösen Foul an ihrer Spielerin muss sich die Trainerin einwechseln. Ausgerechnet hinten links. „Überhaupt nicht mein Ding“, sagt die 47-Jährige, „Es war das Horrorspiel meines Lebens.“ Und einer ihrer größten Erfolge.

Auf dem Spielberichtsbogen

Petra Linder ist Trainerin und Teilzeitkickerin. Manchmal Physiotherapeutin, immer Kümmerin. Ihr Versprechen an die Mannschaft: „Wenn‘s je brennt: Ich lasse euch nicht hängen.“ Und so landet ihr Name, obwohl gut zwei Jahrzehnte älter als die meisten ihrer Spielerinnen, öfters mal auf dem Berichtsbogen. Auch an jenem Tag im Sommer.
Einige Monate später sitzt Petra Linder auf einer dieser schmalen glatten Holzbänke, die man aus dem Sportunterricht kennt. Das Training findet in der Festhalle im Schulzentrum Frommern statt, ein schwerer blauer Vorhang verdeckt die Bühne. Linder hat die langen braunen Haare zu einem Pferdeschwanz gebunden. Sie trägt Jogginghose und eine Smartwatch am Handgelenk. Die 47-Jährige könnte jederzeit aufstehen und mitspielen, winkt aber mit einem Lachen ab: „In der Halle stehe ich meist nur im Tor.“
Seit ihrem Einsatz im Relegationsfinale, das der TSV Frommern mit 5:4 im Elfmeterschießen gewann und den Fußballerinnen den Aufstieg in die Verbandsliga bescherte, ist viel passiert. Petra Linder wurde von einer Expertenjury und in einem Online-Voting im Dezember zur „DFB-Amateurin des Jahres“ gewählt. Es ist der letzte Titel, den sie 2022 holt. Ihre Tochter und eine Mitspielerin hatten die Bewerbung eingereicht. Heimlich. „Als ich es erfahren habe, hatte ich schon Tränen in den Augen“, sagt Linder. Es folgten Video-Drehs, Medienanfragen und Interviews, reichlich Rampenlicht. „Das war etwas Einmaliges. Meine Spielerinnen würden sagen: Man hat sich fame gefühlt.“ Auf den Titel ist sie stolz. Viele Nachrichten haben sie seitdem erreicht.
Petra Linder zeigt, was möglich ist. Mit neun oder zehn Jahren, so genau weiß sie das nicht mehr, nimmt ihr Vater sie mit auf den Sportplatz. Im Nachbarort gibt es eine Mädchenmannschaft, der schließt sie sich an. Als ihre Ausbildung zur Bauzeichnerin ansteht, muss sie sich zwischen Volleyball, Leistungsturnen und Fußball entscheiden. Ihre Wahl ist eindeutig. Noch nicht volljährig trainiert sie ihre erste Mannschaft, F-Jugend-Jungs, später folgen Mädchen. „Früher hat man das schon alles noch belächelt und gefragt, was wollen denn die Weiber da?“, sagt die heutige Jugendleiterin und erinnert sich: „Ich habe viel kämpfen müssen. Man muss aber auch hinstehen und die Dinge einfordern.“

Aushängeschild im Zollernalbkreis

Das Engagement hat sich gelohnt. Die vielen ehrenamtlichen Stunden, die auch heute noch ihren Tag bestimmen. Im Zollernalbkreis sind die Fußballerinnen des TSV Frommern mittlerweile eines der sportlichen Aushängeschilder. Bei den Juniorinnen sind ab der E-Jugend alle Altersklassen besetzt. Bei den Mädchen ist der Zulauf gerade groß. „Mal sehen, wie lange der Boom anhält“, sagt Linder, die auf mehr als 600 Spiele – eine Schätzung – und über 30 Jahre Vereinsarbeit zurückblicken kann. Eigentlich gibt es keine Aufgabe oder Funktion, die sie nicht schon einmal innehatte. Sich zu engagieren, das gebe ihr „eine gewisse Zufriedenheit“, sagt sie: „Und man ist stolz darauf, was man alles erreichen kann.“
Ein bisschen weniger dürfte es aber von Zeit zu Zeit trotzdem sein. Dass die Aufgaben meist an einer Person hängen bleiben, sei schade. „Man ist ja nicht nur Trainerin“, sagt die zweifache Mutter. „Es gehört auch das Menschliche dazu.“ Das Zuhören, wenn es mal Probleme oder Sorgen gibt, auch Vorbild sein. Der Ball knallt gegen die Wand. Nicht mehr lange, dann geht es für die Spielerinnen raus aus der Halle und rein in die Vorbereitung auf die Restrunde.
Was eine Fußballerin des Jahres eigentlich macht, wenn sie nicht auf dem Sportplatz steht? „Dann bin ich froh, wenn ich zu Hause bin“, sagt Petra Linder. „Oder bei einem Spiel zuschauen kann, wo ich mal keine Aufgabe habe.“ Ganz ohne einen Ball in der Nähe geht es also nicht.

Die Auszeichnung „DFB-Amateur“

Der Deutsche Fußball-Bund kürt jährlich eine Amateurin und einen Amateur für besondere Verdienste im Amateurfußball.  Bei den Männern gewann Simon Seyfarth aus Thüringen den Preis. Bei den Frauen siegte Petra Linder, die aktuell Jugendleiterin und Trainerin der Verbandsliga-Mannschaft des TSV Frommern ist. In der Saison 2021/22 führte sie die U23 zum Aufstieg und machte vier Tage später mit dem Pokalsieg das Double perfekt. Kurz danach folgte das Relegationsspiel und der Aufstieg der ersten Mannschaft.