Was ist bloß dran an diesem Mann? Diese Frage stellen sich die Meinungsforscher spätestens seit den Umfrageergebnissen des vergangenen Wochenendes: Martin Schulz, Kanzlerkandidat und Hoffnungsträger der SPD, hat die Sozialdemokraten zum ersten Mal seit sechs Jahren wieder in die Poolposition der Parteienlandschaft katapultiert. Das Institut Insa sieht die SPD einen Punkt vor der Union. Historisch – so eine schnelle Aufholjagd, da sind sich die Experten einig, habe es bisher in der Bundesrepublik noch nie gegeben. Einige schränken aber direkt wieder ein: Dieses Strohfeuer halte nicht bis zur Bundestagswahl im September.
Nun hat das vergangene Jahr viele Meinungsforscher rund um den Globus und deren Prognosen Lügen gestraft. Und es sieht so aus, als träfe das auch auf den Mann aus Würselen und dessen Erfolg zu. Denn die Sozialdemokratie hat nicht nur einen – zumindest im eigenen Land – scheinbar unverbrauchten Kandidaten ins Rennen geschickt. Nein, Martin Schulz trifft offensichtlich die Seele der von manchem bereits abgeschriebenen Partei. Fast macht es den Eindruck, als wirke der Rheinländer mit seinem markanten Dialekt wie eine Verjüngungskur auf die Genossen und vor allem jene Wähler, die sich in den vergangenen Jahren enttäuscht von der SPD abgewandt hatten.
Woran liegt das? Wohl kaum an der inhaltlichen Positionierung des gelernten Buchhändlers Schulz. Im Internet kursieren bereits Zusammenschnitte seiner Reden, in denen er gebetsmühlenartig wiederholt, für die „hart arbeitenden Menschen“ in diesem Lande zu kämpfen. Wie, mit welchem Ziel, wen er denn genau meint – das alles bleibt der ehemalige Bürgermeister bisher schuldig. Dafür packt er die Zuhörer mit Wärme, er umarmt sie emotional und macht vor allem aus seinem Siegeswillen keinen Hehl. Als er in seiner ersten Rede bereits ausrief, die SPD wolle wieder stärkste Kraft im Lande werden, belächelten ihn viele Politikexperten. Inzwischen lacht niemand mehr.
Damit steht Schulz in der Tradition des letzten Kanzlers, den die SPD stellte. Der Legende nach rüttelte Gerhard Schröder bereits in seiner Juso-Zeit nach einer Kneipentour am Eingang des Bonner Kanzleramtes: „Ich will da rein!“ Siegeswille, die Fähigkeit zu simplifizieren und auf Gefühl statt auf Fakten zu setzen: Das verbindet die Fußballfans Schulz und Schröder, das erreicht die SPD-Seele. Ganz im Gegensatz zu ihren Vorgängern Steinmeier und Steinbrück, die zwar inhaltlich überzeugten, aber nie die Menschen bewegten.
Dieser SPD-Kandidat trifft nun auf eine Kanzlerin, die zwar eine saubere politische Bilanz präsentieren kann, aber inzwischen blass und verbraucht wirkt. Es wird nicht ausreichen – wie vor vier Jahren – den Gegner zu ignorieren, in Diskussionen nicht einmal seinen Namen zu nennen und auf die eigenen Stärken zu vertrauen. Unerwartet und erfreulicherweise hat die SPD Angela Merkel einen ebenbürtigen Gegner entgegengesetzt. Das ist gut für unsere Demokratie, das ist gut für dieses Land.