Bei der Bürgerschaftswahl in Hamburg hat die SPD nach Auszählung aller Landesstimmen ihre Position als stärkste Kraft klar verteidigt. Die Partei von Bürgermeister Peter Tschentscher büßte am Sonntag zwar an Stimmen ein, lag aber weit vor dem grünen Regierungspartner. Die Grünen unter ihrer Spitzenkandidatin Katharina Fegebank verdoppelten ihren Stimmenanteil annähernd. Damit hätte Rot-Grün eine komfortable Mehrheit in der Bürgerschaft. Die CDU büßte erneut an Stimmen ein, während die Linke leicht zulegte. Die AfD und wohl auch die FDP schafften ganz knapp den Wiedereinzug in die Bürgerschaft, die Liberalen müssen aber noch zittern.
Nach Angaben des Hamburger Landeswahlamts erreichte die SPD mit 39,0 Prozent wieder klar Platz eins (2015: 45,6). Die Grünen kamen auf 24,2 Prozent (12,3). Die CDU sackte noch einmal ab auf nun 11,2 Prozent (15,9). Die Linke gewann leicht auf 9,1 Prozent (8,5). Die FDP lag bei 5,0 (7,4), die AfD bei 5,3 Prozent (6,1). Für die Liberalen wird es erst am Montagabend endgültige Klarheit geben, wenn das amtliche Endergebnis bekanntgegeben wird.

In einem Hamburger Wahlbezirk wurden FDP-Stimmen möglicherweise verwechselt

Am Sonntagabend wurden in Hamburg zunächst nur die Stimmen für die Parteien auf den Landesstimmzetteln nach einem vereinfachten Verfahren ausgezählt. Am Montag sollen die kompliziert gestalteten Landesstimmzettel erneut ausgezählt werden, zusammen mit den Stimmen auf den Wahlkreisstimmzetteln.
Eine mögliche Verwechslung bei der Stimmerfassung im Wahlbezirk Hamburg-Langenhorn stellt den knappen Wiedereinzug der FDP in die Bürgerschaft infrage. In einem Wahllokal kamen die Liberalen nach der vereinfachten Auszählung am Sonntagabend auf 22,4 Prozent, die Grünen hingegen nur auf 5,1 Prozent. In ganz Hamburg war das Ergebnis umgekehrt ausgefallen. „Auffällig ist das auf jeden Fall“, sagte Landeswahlleiter Oliver Rudolf.
Sollte es eine Verwechslung der Zuordnung gegeben haben, würden auf die FDP 423 Stimmen weniger entfallen als bisher angenommen. Da die Partei insgesamt nach den vorläufigen Zahlen nur um 121 Stimmen über der Fünf-Prozent-Hürde liegt, könnte dies dazu führen, dass sie den Einzug ins Stadtparlament doch noch verpasst.

CDU erzielt ihr schlechtestes Ergebnis in Hamburg

Die CDU rutschte auf ihr bundesweit schlechtestes Ergebnis bei Landtagswahlen seit knapp 70 Jahren. Überraschend sah es am Wahlabend zunächst danach aus, dass die AfD erstmals aus einem Landesparlament hinausgeflogen sein könnte. Die Abstimmung in der Hansestadt ist nach derzeitigem Stand die einzige Landtagswahl in diesem Jahr.
Nach den ersten Ergebnissen betrug die Wahlbeteiligung 63,3 Prozent. Bei der Wahl vor fünf Jahren waren nur 56,5 Prozent der Hamburger an die Urnen gegangen, so wenige wie seit 1949 nicht. Knapp 3 Prozent der Stimmzettel waren diesmal nach vorläufiger Auswertung ungültig.
Das Landesparlament hat regulär 121 Sitze. Die Zahl kann durch Überhang- und Ausgleichsmandate sowie erfolgreiche Einzelbewerber steigen. Die Prognosen ergaben diese Sitzverteilung: SPD 51 (2015: 58), Grüne 35 (15), CDU 15 bis 16 (20), Linke 12 bis 13 (11) und FDP 7 (9).

Rot-Grün wahrscheinlich, Koalition zwischen SPD und CDU möglich

Die wahrscheinlichste Regierungsvariante ist die Fortsetzung der seit 2015 bestehenden rot-grünen Koalition - sowohl Tschentscher als auch seine bisherige Stellvertreterin Fegebank hatten dies als naheliegend bezeichnet. „Wir werden als erstes auch mit den Grünen sprechen, sondieren“, sagte Tschentscher im ZDF. Fegebank sprach sich ebenfalls für eine Fortführung der Zusammenarbeit aus. Die Grünen hatten allerdings lange gehofft, selbst stärkste Kraft zu werden und Fegebank zur Regierungschefin zu machen. Neben Rot-Grün wäre rechnerisch auch eine Koalition von SPD und CDU möglich, politisch ist das jedoch unwahrscheinlich.
Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD) erhofft sich vom überraschend guten Ergebnis der SPD einen Push auch im Bund. Er sei „super glücklich“ über das Hamburger Ergebnis, sagte der Vorgänger von Tschentscher. Grünen-Chef Robert Habeck nannte die starken Zugewinne der Grünen ein „fulminantes“ Ergebnis und Auftrag auch im Bund. Es sei historisch das zweitbeste Wahlergebnis auf Landesebene für die Grünen überhaupt. Zu verdanken sei das auch dem „Mut, Ja zu sagen, aus der Herausforderer-Position um Platz eins zu kämpfen“.

Hamburger SPD versuchte sich vom negativen Trend der Bundespartei abzukoppeln

CDU-Generalsekretär Paul Ziemiak sprach von einem bitteren Tag. „Die Ereignisse in und um Thüringen haben nicht geholfen, dass die CDU in Hamburg auf ihre Konzepte, auf ihre Pläne für Hamburg hinweisen konnte“, sagte er mit Blick auf die dortige Regierungskrise. Hamburgs FDP-Chefin Katja Suding machte die Vorgänge in Thüringen ebenfalls mitverantwortlich.
AfD-Spitzenkandidat Dirk Nockemann sprach nach dem möglichen Ausscheiden seiner Partei aus der Bürgerschaft vom „Ergebnis einer maximalen Ausgrenzungskampagne“.
Für Tschentscher war es die erste Wahl. Er hatte den Bürgermeisterposten 2018 von Scholz übernommen, der damals an die Spitze des Bundesfinanzministeriums wechselte. Für 40 Prozent der Wähler war Tschentscher laut ARD der wahlentscheidende Faktor - ein extrem hoher Wert.

Spitzenkandidaten aller Parteien erklären sich in Berlin

Schon an diesem Montag zieht es die Sieger und Verlierer nach Berlin. Bürgermeister Tschentscher (SPD) will sich am Vormittag in der Berliner Parteizentrale feiern lassen. Vorgesehen ist auch eine Erklärung der SPD-Vorsitzenden Saskia Esken und Norbert Walter- Borjans. Feiern können auch die Grünen, wenn Spitzenkandidatin Katharina Fegebank am Mittag mit der Bundesvorsitzenden Annalena Baerbock vor die Presse tritt. Für Hamburgs CDU-Spitzenkandidaten Marcus Weinberg wird der Gang härter, wenn er mit der CDU- Bundesvorsitzenden Annegret Kramp-Karrenbauer vor die Presse tritt. Auch die Spitzen von Linke, AfD und FDP beraten über das Ergebnis der Hamburg-Wahl.
Im Wahlkampf hatte die SPD in der Wirtschaftsmetropole stark versucht, sich vom negativen Trend der Bundespartei abzukoppeln. Die beiden neuen Parteivorsitzenden Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans waren nicht zu Auftritten eingeladen. Gleichwohl verschafft das Hamburger Ergebnis dem Duo, das alle Aufmerksamkeit auf die Lage der CDU zu lenken versucht, etwas Erleichterung.

CDU und FDP stehen unter Druck

Christdemokraten und FDP stehen seit der Regierungskrise in Thüringen stark unter Druck. Beiden Parteien könnte die dortige Wahl des FDP-Politikers Thomas Kemmerich mit Stimmen von CDU und AfD geschadet haben. CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer hatte in Folge der Erfurter Krise vor wenigen Tagen ihren Rückzug angekündigt. Das Hamburger CDU-Debakel dürfte in seinen Auswirkungen auf die Bundespolitik dennoch begrenzt sein.
FDP-Spitzenkandidatin Anna von Treuenfels-Frowein machte ebenfalls die Ereignisse in Thüringen als schwere Hypothek für ihren Wahlkampf aus: „Die Schwierigkeiten lagen für uns natürlich daran, dass wir hier ein Kopf-an-Kopf-Rennen zweier Bürgermeisterkandidaten hatten, die die kleineren Parteien einfach schon ein bisschen an die Seite gedrängt haben und dann kam natürlich Thüringen hinzu.“

Klimaschutz, Mieten und Verkehr bestimmten den Wahlkampf in Hamburg

Tschentscher hatte im Wahlkampf massiv das Thema Klimaschutz besetzt, das traditionell eher mit den Grünen verbunden wird: „Grüner wird's nicht“ war einer seiner Slogans. Daneben bestimmten lange die Themen Mieten und Verkehr den Wahlkampf.
Mehrere Parteien sagten ihre Wahlkampfabschlussveranstaltungen nach dem Anschlag von Hanau am Mittwochabend ab. Die anderen Parteien hatten die AfD indirekt mitverantwortlich gemacht.