Gunter Erfurt einen Optimisten zu nennen, wäre untertrieben. Der 50-Jährige ist vom Erfolg der Energiewende in Deutschland zutiefst überzeugt. Das ist einerseits für den Chef einer Solar-Firma, des Schweizer Photovoltaik-Unternehmens Meyer Burger, nicht überraschend. Andererseits kann der studierte Physiker mit so viel Fachwissen, Witz und Leidenschaft vom bevorstehenden Boom der Solartechnik in Deutschland und der Leistungsfähigkeit hiesiger Ingenieurskunst schwärmen, dass er zu einem begehrten Gesprächspartner geworden ist, in dessen Betriebsstätten all jene vorbeischauen, die einen Blick in die Zukunft werfen wollen. Wir haben ihn per Videocall erreicht.

Wenn es um die Energiewende geht, wird meistens über die Windenergie geredet. Gerät die Solarenergie ins Hintertreffen?

Überhaupt nicht. Der Endmarkt Photovoltaik funktioniert so gut wie lange nicht mehr. Die Solarstrategie der Bundesregierung sieht vor, dass der jährliche Ausbau der Photovoltaik von zuletzt sieben Gigawatt binnen weniger Jahre verdreifacht werden soll.

Also laufen die Geschäfte derzeit glänzend?

Im vergangenen Jahr war die Lage bei jedem Unternehmen gut, das Solarmodul auch nur buchstabieren konnte. Wir waren ausverkauft, das lag aber auch an den Schwierigkeiten bei den Lieferketten. Jetzt normalisiert sich die Situation.

Bislang liegt der Solar-Anteil an der ­deutschen Stromerzeugung bei rund zehn ­Prozent. Das ist nicht so viel.

Ende 2022 hatten wir schon fast 70 Gigawatt Leistung aus der Photovoltaik, 2030 sollen es 215 Gigawatt sein. Es gibt tatsächlich Zweifel, ob der geplante Zubau von über 20 Gigawatt pro Jahr gelingen kann – obwohl gerade bei Genehmigungen viele Dinge ganz erheblich vereinfacht worden sind. Aber: In China wurden gerade 42 Gigawatt installiert. In vier Monaten!

Die Bedingungen sind doch nicht vergleichbar . . .

Genau, die sind in China nämlich in einigen Dingen sogar komplizierter als in Deutschland. Stichwort Netzverträglichkeit. Diese ist in China ein Riesenproblem, weil es dort kein so entwickeltes Netz gibt wie in Europa.

Photovoltaik braucht Platz. Wo ist der im dicht besiedelten Deutschland? Zumal sich nun auch Widerstand gegen „Mega-Solar-Parks auf unseren Äckern“ formiert.

Es gäbe in Deutschland genug Fläche, um den gesamten Stromverbrauch per Photovoltaik zu leisten, ohne irgendwelchen Zubau auf der grünen Wiese.

Das müssen Sie erklären.

Die Hälfte der Leistung könnten wir mit Solarparks als Agri-Photovoltaik erreichen, also der Doppelnutzung von Flächen durch Landwirtschaft und Solarenergie, ein knappes Drittel können wir auf bestehenden Gebäuden erzielen, der Rest verteilt sich auf Autobahnen, Bahnlinien, Lärmschutzwände. Wir brauchen die Debatte über riesige Solarparks, die nicht in bestehende Strukturen integrierbar sind, gar nicht.

Aber die sind natürlich kosteneffizienter.

Ja und nein. Wenn ich als Mittelständler mit einem Hektar Dachfläche mir eine Solaranlage draufsetze, habe ich genügend Strom für zehn Cent pro Kilowattstunde und verbrauche direkt.

Stichwort Dunkelflaute . . .

. . . dazu sage ich Ihnen als Ingenieur und Physiker: Ich halte das nicht für einen technischen Begriff, sondern für einen politischen. Diese Herausforderung ist viel kleiner als alle immer sagen.

Nachts oder im Winter scheint aber die ­Sonne nicht.

Natürlich sind Sonne und auch Wind volatil. Ein Blick auf die Daten zeigt aber: Der Windanteil ist im Winter immer höher als im Sommer, bei der Solarenergie ist es umgekehrt. Zusammengenommen ist das sehr konstant und erstaunlich komplementär. Das Problem schrumpft auf einige Tage, vielleicht Wochen im Jahr. Die müssen wir klären.

Die Industrie ist aber auf eine verlässliche Grundlast angewiesen.

Das ist auch so ein Begriff, der meiner Meinung nach irreführend ist. Viele denken dann an Atomkraftwerke. Das ist aber eine Erzeugungsform, die mit Marktverhalten nicht viel zu tun hat. Die Atomkraftwerke laufen auch nachts, aber dann braucht niemand den ganzen Strom. Was machen wir dann mit der Power? Nein, wir müssen die Energie dann verfügbar haben, wenn wir sie brauchen. Und da sehen wir: Die Hauptlast liegt stets um die Mittagszeit – und das korreliert zumindest im Sommer schon sehr gut mit dem Angebot von Solarenergie.

Trotzdem muss die Speicherfrage gelöst werden.

Die Elektromobilität wird einen Riesenbeitrag leisten, auch mit neuen Geschäftsmodellen. Zum Beispiel per App: Sie bekommen dann ein aktuelles Angebot – beispielsweise zehn Euro von Ihrem Energieversorger dafür, das E-Auto am Stromnetz zu lassen. Da werden viele Leute sagen: Na klar, dann fahre ich heute mit dem Bus. Und dann haben wir die sogenannten Redox-Flow-Batterien, die werden bereits in großen Seecontainern angeboten. Völlig verkannt wird die Speicherung in Wärme, das können Sie in Gebäuden machen oder in Warmwasser. Und ja, es wird auch künftig in Norwegen oder der Schweiz Wasserkraft-Speicher geben. Und noch was wird übersehen.

Nämlich?

Wir haben in Europa die weltweit einmalige Situation eines tollen Verteilnetzes von Portugal bis in die Ukraine. Drei Zeitzonen, das heißt, drei verschiedene Hauptlastzeiten. Die Energie kann immer dorthin, wo sie gebraucht wird.

So optimistisch wie Sie sind nicht viele.

Wir tun immer so tun, als handele es sich um philosophische Fragen. Dabei geht es um Daten, Fakten, Zahlen. Die sind alle da, es gibt die Pläne, es ist machbar. In zehn Jahren werden wir zurückschauen und uns wundern, wie einfach es war. Wir müssen aufhören, darüber zu reden, dass in 30 Jahren doch die Kernfusion kommt und uns rettet.

Sie glauben also an den Erfolg der Transformation?

Ich bin ja nicht mit allem einverstanden, was der Kanzler sagt. Aber seine These, dass uns die grüne Umwandlung unserer Wirtschaft ein neues Wirtschaftswunder bescheren kann, unterstütze ich voll und ganz.

Das beliebteste Argument, um zu begründen, warum etwas nicht geht, ist der Fachkräftemangel. Auch in Ihrer Branche?

Das war tatsächlich ein Thema, aber die Lage hat sich normalisiert. Das Ende des Baubooms sorgt dafür, dass für den Solarausbau wieder mehr Personal zur Verfügung steht.

Und was ist mit der Abhängigkeit von ­Rohstoffen?

Die gute Nachricht in der Photovoltaik ist: Es gibt keinerlei strategische Abhängigkeit von Rohstoffen. Alles, was wir brauchen, bekommen wir in Europa. Und das dringend benötigte Silizium wird in Deutschland in großen Mengen produziert. Abhängig sind wir aber bei den Wertschöpfungsstufen.

Was heißt das?

Es gibt in Europa, genauer gesagt in Norwegen, noch zwei Firmen, die Wafer auf den Markt bringen. Das sind die Scheiben, aus denen die Solarzellen hergestellt werden. Bei Solarzellen ist unsere Firma weltweit die einzige außerhalb Asiens, die so etwas in nennenswerter Stückzahl produziert. Im Solarmodulbereich ist die europäische Situation ein wenig besser. Aber insgesamt sind wir in Europa fast vollständig von China abhängig.

Und deswegen wollen Sie mehr staatliche Förderung für Ihre Branche?

Wir müssen uns in Europa die Karten legen, so wie es die USA jetzt machen, wie es China seit 15 Jahren macht, wie es auch die Inder inzwischen machen. Wir müssen uns strategisch aufstellen.

Ist die deutsche Wirtschaft zu kleinteilig?

Im Gegenteil. In den vielen kleinen und mittleren Firmen steckt ungeheure Innovativkraft. Die komplexe Systemkopplung, die Verbindung von erneuerbarer Energie mit allen Bereichen der Wirtschaft und des gesamten gesellschaftlichen Lebens – das wird der Exportschlager des Landes.

Deutschland war schon häufiger führend bei Innovationen, Stichwort MP3 oder eben ­Solarindustrie. Das große Geld haben dann andere verdient.

Das ist ein wunder Punkt. Einen Kardinalfehler sehe ich darin, dass es bei uns großartige Planungen und viel Geld für die Forschung gibt. Aber wenn die Entwicklung da ist, überlässt man alles dem Markt.

Was ist daran falsch?

Gibt es bei uns Mineralwasser aus Indien, das bestimmt viel billiger wäre? Darf hier jede Airline der Welt landen? Nein, wir haben Kontrollen. Bei der Autoindustrie greift der Staat mit Abwrackprämien ein. Und China pumpt eben hunderte Milliarden Euro in die erneuerbaren Energien. In den USA gibt es für sie ebenfalls eine massive Förderung. Nur wir glauben noch an „den Markt, der alles regelt“. Und das vor allem bei den Erneuerbaren.

Sie wollen also so etwas wie den IRA (Inflation Reduction Act), ein Programm, bei dem die USA mehr als 700 Milliarden Dollar ausgeben, um Investitionen für Klimaschutz und Erneuerbare Energien zu fördern?

Im Grundsatz ja. Die Förderung müsste für die gesamte EU gelten und schon deswegen würde sie anders aussehen als in den USA. Außerdem wurde in Europa die Industrieproduktion nie in dem Umfang aufgegeben wie in Amerika. Aber es muss in die Richtung gehen, wenn das strategische Ziel der EU, nämlich mindestens 30 Gigawatt voll integrierte Fertigung wieder anzusiedeln, gelingen soll.

Ihre Firma fährt zweigleisig. Sie investiert in Ostdeutschland und in den USA. Bleiben Sie überhaupt hier?

Wenn es nach uns geht, unbedingt. Wir haben uns beispielsweise im Solar Valley in Sachsen-Anhalt in großem Umfang Immobilien gesichert, um expandieren zu können. Ich bin optimistisch, dass in der EU bald die richtigen Entscheidungen getroffen werden. Aber bis dahin fassen alle Unternehmen aus der Branche die USA bei Investitionen zumindest ins Auge.

Könnte Ostdeutschland künftig einen Standortvorteil wegen der grünen Energieversorgung haben?

Das ist jetzt schon so. Schauen Sie sich Intel oder Tesla an. Da war die Versorgung mit Strom aus erneuerbaren Energien mit ausschlaggebend für die Standortentscheidung. Und außerdem gibt es in Ostdeutschland noch Flächen, auf denen man neue Industrien ansiedeln kann. Die grüne Transformation ist eine Riesenchance für den Osten.

Zur Person

Gunter Erfurt wurde 1973 in Karl-Marx-Stadt geboren (heute Chemnitz). Er hat ein Diplom für Physikalische Technik an der „Westsächsische Hochschule Zwickau“ erworben und ein Physik-Diplom an der TU Bergakademie Freiberg. Dort promovierte er in Physik. Er war danach als Entwicklungsingenieur und Laborleiter bei der Deutschen Solar AG in Freiberg tätig. Später übernahm er dort die Projektleitung für Planung und Investitionen. Von 2006 bis 2009 leitete Erfurt den Aufbau einer Solarfabrik in den USA. Seit 2020 ist er CEO (Chief Executive Officer/Geschäftsführer) in der Meyer Burger Technology AG. Gunter Erfurt ist verheiratet, hat zwei Kinder und lebt in Freiberg. Er engagiert sich bei „Freiberg für alle“ und „Gesicht zeigen“.  abo