Die Auseinandersetzungen um den Brexit treten diese Woche in die entscheidende Phase. Die Oppositionsparteien, verstärkt durch Rebellen in der konservativen Fraktion, wollen Premierminister Boris Johnson das Spiel aus der Hand nehmen. An diesem Dienstag, dem ersten Sitzungstag nach der Sommerpause, planen sie im Unterhaus eine Notstandsdebatte, in der sie zum einen verlangen, dass die Zwangspause aufgehoben wird und zum anderen Johnson gesetzlich eine Verlängerung des Austrittstermins in Brüssel beantragen muss. Sollte sich Johnson dagegen stemmen, droht ihm die Vertrauensfrage.
Regierung hat nur noch eine einzige Stimme Mehrheit
Rein rechnerisch könnte diese Strategie Erfolg haben, denn die Regierung hat nur noch eine einzige Stimme Mehrheit. Aber Johnson kalkuliert, dass es seine Gegner nicht schaffen werden, in wenigen Tagen das nötige Gesetz im Unterhaus und im Oberhaus zu verabschieden, bevor die von ihm verordnete parlamentarische Zwangspause ab kommender Woche bis zum 14. Oktober in Kraft tritt.
Neuwahlen wären Johnson recht
Die drohende Vertrauensfrage juckt ihn nicht besonders. Selbst wenn er sie verlieren sollte, rechnet er damit, dass sein sozialistischer Rivale Jeremy Corbyn keine Mehrheit für eine neue Regierung mit ihm als Chef bekommen würde. Neuwahlen wären ihm sogar recht, denn er glaubt, dass er die größere Siegeschance hat. Wenn diese Wahlen stattfinden, ist der Brexit, festgesetzt auf den 31. Oktober, bereits ein Faktum geworden.
Der Opposition geht es um Zeitgewinn
Der Opposition geht es in dieser dramatischen Woche nicht um eine Revision des knappen Volksentscheids für den Austritt, sondern um Zeitgewinn. So ist ein zweites Referendum oder gar die Zurücknahme der Kündigung der EU-Mitgliedschaft im Augenblick kein Thema.
Atmosphäre ist vergiftet
Gleichzeitig mit der Attacke im Parlament haben die Brexit-Gegner in Edinburgh, Belfast und London bei den höchsten Gerichten eine Klage gegen den Zwangsurlaub des Parlaments eingereicht. Da die Königin jedoch nicht verklagt werden kann, wird darüber verhandelt, ob Johnson ihr einen schlechten Rat erteilt hat. Wie vergiftet die Atmosphäre ist und wie tief auch der Brexit-Bruch durch die konservative Partei geht, zeigt, dass der ehemalige konservative Premierminister John Major als Nebenkläger gegen seinen Parteifreund Boris Johnson auftritt.
Heute beginnt die Hauptverhandlung in Edinburgh. Am Mittwoch folgt dann die Klageprüfung in London. Sollte Johnson unbeschadet aus dem Schlagabtausch im Unterhaus und vor Gericht hervorgehen, so wird die Auseinandersetzung zwischen Anhängern und Gegnern des Brexit auf der Straße gewiss eskalieren.
Premierminister erhöht den Druck
In der Unterhaus-Fraktion der Konservativen wächst der Druck auf potenzielle Abweichler von der Linie des Premierministers. Boris Johnson sagte kurzfrisitg ein für Montag anberaumtes Treffen mit parteiinternen Gegnern seines Brexit-Kurses ab. Wie britische Medien berichteten, wurde auf die Abgeordneten massiver Druck ausgeübt, bis hin zur Androhung des Ausschlusses aus der Fraktion. Die Tories verfügen zusammen mit der nordirischen DUP nur über eine Mehrheit von einer Stimme im Unterhaus.