Bssssssst – und schon ist der Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer auf seinem Elektrotretroller über die Gänge des Ministeriums gesaust. Was auf den Marmorwegen noch wie eine nette Spielerei erscheint, wird bald Realität. Der CSU-Mann ist begeistert von den neuen Möglichkeiten. Doch das gefällt nicht allen. Einen Aufschrei gab es bei einem Verkehrsteilnehmer, der medial kaum in Erscheinung tritt, aber in Städten am häufigsten anzutreffen ist: beim Fußgänger. Wenn bald E-Scooter mit bis zu 12 Stundenkilometern über die Gehwege brausen, wo bleibt dann der Fußgänger?
Die Sorgen sind berechtigt: Fußgänger sind statistisch betrachtet die Verkehrsteilnehmer, die am meisten gefährdet sind. Pro zurückgelegtem Kilometer verunglückten sie im Vergleich zu Rad- und Autofahrern sowie anderen Verkehrsteilnehmern am häufigsten, zeigt eine Studie der Allianz-Versicherung. Fußgänger werden schnell übersehen – auf der Straße und von der Politik. Sie können nichts verkaufen und besitzen keine starke Lobby, die für sie kämpft. Zugleich wird der Raum in den Städten wird immer enger. Gastronomen machen sich auf Gehwegen breit, Autos weichen wegen mangelnder Parkmöglichkeiten auf diese aus. Verbände befürchten daher künftig nicht nur mehr verletzte Fußgänger, sondern fragen auch: In welcher Art Stadt wollen wir leben?
Mehr Geld für Sicherheit auf Fußwegen nötig
„Herrn Scheuer ist der Fußgänger völlig gleichgültig. Er ist ein Feind des Fußverkehrs“, sagt Roland Stimpel von der Interessensvertretung FUSS, die 500 Mitglieder zählt. Der Umgang mit den E-Tretrollern sei ein Beispiel dafür. Allerdings: Es ist noch unklar, wie gefährlich die elektrischen Gefährte tatsächlich sind. Studien gibt es in Europa keine. Klar ist aber, dass Fußverkehr beim CSU-geführten Ministerium seit Jahren eine untergeordnete Rolle spielt. Einer Kleinen Anfrage des Berliner Grünen Stefan Gelbhaar zufolge gibt die Bundesregierung einen mageren Cent pro Jahr und Einwohner für den Fußverkehr in Deutschland aus. Das sind zusammengenommen etwa 800.000 Euro. Für die Straße werden im Jahr 2019 elf Milliarden, für die Schiene 5,6 Milliarden und die Bundeswasserstraßen 1,3 Milliarden Euro im Haushalt bereitgestellt.
„Es braucht aber mehr Geld für Sicherheit und bessere Wege“, fordert FUSS-Vertreter Stimpel. Vorschriften, die Fußgänger schützen, gibt es nicht. So existiert kein Gesetz, wie breit ein Bürgersteig sein muss. Es gibt lediglich Empfehlungen. 2,50 Meter sollte er laut Verkehrssicherheitsrat mindestens messen. „Da hält sich aber keine Stadt dran“, sagt Stimpel. Maximal seien Fußflächen 1,60 Meter breit. Auf einem solchen Weg kommen zwei handelsübliche Rollstühle von 770 Zentimetern zwar aneinander vorbei – aber das ist dann Millimeter-Arbeit. Auch sichere Ampelschalten sind selten. Dazu kommt, dass es aufgrund der zahlreichen Vorschriften „bis zu drei Jahre dauert, bis ein Zebrastreifen auf den Asphalt gemalt wird“, moniert der FUSS-Vertreter.
Kongress für Fußverkehr 2020 in Baden-Württemberg
Ganz so negativ sieht das Katrin Dziekan vom Umweltbundesamt (UBA) nicht. Sie ist Fachgebietsleiterin für Umwelt und Verkehr und spricht von ersten guten Ansätzen. Seit dem vom UBA organisierten Fußverkehrskongress in Berlin im Oktober hätte sich ein bisschen was bewegt. So könnte bei der nächsten Tagung 2020 in Baden-Württemberg auch Bundesverkehrsminister Scheuer dabei sein. Außerdem ist der Fußverkehr im Bundesministerium zusammen mit dem Radverkehr nun in einem Referat als Aufgabe benannt. Erst am Dienstag betonte Scheuer in Berlin, dass ihm die Sicherheit aller Verkehrsteilnehmer wichtig sei – auch die der Fußgänger.
Doch solche zaghaften Bekundungen reichen vielen nicht. Die Kommunen müssen selbst ran: So fordert Baden-Württembergs Verkehrsminister Winfried Hermann (Grüne) Städte dazu auf, rigoroser gegen Falschparker vorzugehen. Wer sein Auto auf dem Gehweg abstellt, muss 20 bis 35 Euro zahlen. Viele Ordnungsämter verteilen aufgrund der Platznot Strafzettel aber eher spärlich. UBA und FUSS fordern, dass die Strafen auch verhängt werden. Darüber hinaus wollen sie eine Änderung des Bußgeld-Katalogs. Nach dem Motto: Wer viel blecht, sucht sich lieber das nächste Parkhaus – oder lässt sein Auto daheim. Ob diese Verschärfung der Sanktionen kommt, ist fraglich. Die Regierung argumentiert, dass es keine wissenschaftlichen Erkenntnisse über die Wirkung höherer Bußgelder gäbe. Auf der Verkehrsministerkonferenz in Saarbrücken vergangene Woche forderten Länder das BMVI zum wiederholten Male auf, die Überarbeitung des Katalogs zu prüfen. Getan hatte sich bislang nichts.
Generell innerorts Tempo 30?
Auch den zweiten Vorschlag der Fußlobbyisten sieht der Verkehrsminister skeptisch. Die Verbände FUSS und UBA befürworten, die Regelgeschwindigkeit innerorts auf 30 Stundenkilometer zu senken. „Das würde viele Probleme lösen. Den Verkehr entschleunigen, Lärm reduzieren und Fußgänger schützen“, sagt Umweltbundesamts-Expertin Katrin Dziekan.
Derzeit ist eine Senkung der Regelgeschwindigkeit auf Tempo 30 nicht geplant, heißt es aus dem Bundesverkehrsministerium. Es befürchtet: Wenn die Regelgeschwindigkeit herabgesenkt wird, „ginge der Geschwindigkeitsvorteil dieser Hauptstraßen verloren und der Verkehr würde sich in Wohnnebenstraßen verlagern.“
Viele gute Ansätze sieht Lobbyist Stimpel in einigen Bundesländern. Baden-Württemberg und Berlin seien mit ihren Fußgängerkonzepten vorbildlich. Im Südwesten etwa werden Fußverkehrs-Checks durchgeführt, in denen der Bürger direkt mitreden kann. Doch nun müsse auch der Bund aktiv werden.
„In unserer Straßenverkehrsordnung heißt es, wer zu Fuß geht, soll die Straße auf dem direktesten Weg queren. Heißt im Klartext: Weg da, ihr stört“, klagt Stimpel. Seit 1937 steht es da so geschrieben. Höchste Zeit, meint der Lobbyist, endlich in einer neuen Mobilitäts-Welt anzukommen. Dazu gehören Autos, Räder, Fußgänger – und in Zukunft auch E-Roller.
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