Wer setzt Grenzwerte fest?
Das macht der Gesetzgeber, in dem Fall die EU – Parlament und Mitgliedstaaten. Sie haben den Richtwert für Stickstoffdioxid von der Weltgesundheitsorganisation WHO übernommen. Der Jahresmittelwert liegt bei 40 Mikrogramm pro Kubikmeter Luft. Er muss seit dem Jahr 2010 eingehalten werden. Beim Feinstaub verdoppelte die EU die Vorgaben. Der Gesetzgeber wägt ab zwischen möglichen gesundheitlichen Folgen, dem Aufwand wie den Kosten für alle Beteiligten und der Chance, die Vorschriften bis zu einem bestimmten Zeitraum einzuhalten.
Wie wird geforscht?
Die meisten Erkrankungen lassen sich nicht auf eine Ursache zurückführen. Dies gilt besonders für Luftschadstoffe. Um dennoch Ursachen für Krankheiten zu finden, vergleichen Epidemiologen jeweils tausende Menschen, die an verkehrsreichen Straßen wohnen mit Bewohnern unbelasteter Gebiete. Sie schließen Vorbelastungen wie Rauchen, besondere Essgewohnheiten sowie Faktoren aus, die als Risiken für bestimmte Erkrankungen gelten. Eine gängige Methode, um mögliche Ursachen für Erkrankungen zu finden.
Wie gefährlich sind Stickoxide und Feinstaub?
Die epidemiologischen Studien aus den USA, Europa und Asien zeigen, dass höhere Belastungen durch Feinstaub-Partikel und Stickstoffdioxid über Jahre hinweg das Risiko erhöhen, an Asthma, Lungenentzündungen, Bronchitis, Atemwegsinfekten, Lungenkrebs sowie höherem Blutdruck, Durchblutungsstörungen, Herzinfarkten, Schlaganfällen zu erkranken. Die Krankheiten tauchen bei Personen mit höherer Belastung in Bereichen von rund 1 bis 19 Prozent auf. Um 10 Mikrogramm pro Kubikmeter Feinstaub bessere Luft senke Risiken, in einem Fall bis zu 27 Prozent.
Welche Zweifel gibt es?
113 Lungenfachärzte halten diese Studien nicht für aussagekräftig. Die dort festgestellten höheren Risiken seien zu gering. Es würden unterschiedliche Regionen verglichen, in denen die Lebensart der Menschen zu stark voneinander abweiche. Zudem würden die Mediziner für die Schadstoffe keinen Schwellenwert angeben, die es für jedes Gift gebe.
Was sagen die meisten Ärzte?
Die Gesellschaft der Lungenfachärzte und der Kinderpneumologen kontert, es sei keine Wirkungsschwelle bekannt, unter der keine Gesundheitsgefährdung vorkommt. Die rund 70.000 Studien seit 30 Jahren belegten eindeutig den Zusammenhang zwischen Schadstoffen und Todesfällen. Auch toxikologische Experimente zeigten Entzündungsreaktionen in Lungen- und anderem Gewebe. Der Hals-Nasen-Ohren-Arzt und Umweltmediziner Michael Jaumann aus Göppingen betont: „Hoch giftig sind gerade die 20 Prozent der kleinen Feinstaub-Partikel aus den Verbrennungsprozessen. An diese lagern sich bis zu tausend Substanzen aus der schadstoffreichen Stadtluft an. Diese Partikel dringen in die Lungenbläschen ein. Sie werden nach sicheren Erkenntnissen vom menschlichen Organismus aufgenommen.“ Wegen dieser Sachverhalte müssten die gasförmigen Schadstoffe wie die Partikelzahlen dringend reduziert werden. Letztere verstärkten die Schädlichkeit der Gase erheblich.
Kann die Bundesregierung Grenzwerte aussetzen?
Nein. Die Grenzwerte sind EU-weit gleich. Sie sind ein Teil der EU-Luftqualitätsrichtlinie und europarechtlich verbindlich. Das bestätigen Juristen wie der auf Umwelt- und Verkehrsrecht spezialisierte Frank Fellenberg aus Berlin. Aber: Grenzwerte können geändert werden. Zurzeit prüft die EU-Kommission die bestehenden. Ende 2019 gibt es eine Bewertung. Falls das Ergebnis aussagt, dass es Änderungen geben muss, startet ein Revisionsprozess. Der dauert mehrere Jahre. Heißt: Bis Grenzwerte verändert werden, könnte noch viel Zeit vergehen.
Warum gelten am Arbeitsplatz höhere Werte?
Da beträgt der Grenzwert 950 Mikrogramm. Das hat laut Umweltbundesamt folgenden Grund: Die Belastung am Arbeitsplatz betrifft Arbeitende, die gesund sind – und sie ist auf eine bestimmte Zeit begrenzt. Von Stickoxiden auf der Straße sind empfindliche Personen rund um die Uhr betroffen. Kinder, Asthmatiker und Senioren können sich vor den Schadstoffen nicht schützen. Wenn sie an einer stark befahrenen Straße wohnen, sind sie diesen nonstop ausgesetzt.
Sind Rauchen und Silvesterraketen nicht viel schlimmer?
Dieser Vergleich führt in die Irre, sagen Mediziner wie die Professorin für Umweltepidemiologie am Uniklinikum Düsseldorf Barbara Hoffmann. Ja, es komme punktuell zu höheren Belastungen, der EU-Grenzwert ist aber ein Jahresmittelwert. Es geht außerdem darum, empfindliche Personen zu schützen. Raucher und Menschen, die Silvesterraketen abfeuern, entscheiden sich dazu. Kinder, die im Erdgeschoss am Stuttgarter Neckartor wohnen, nicht.
Kann die Bundesregierung den Grenzwert auf 50 Mikrogramm anheben?
Nein, sagt Jurist Fellenberg. „Aber das sieht der Entwurf zur Änderung des Bundes-Immissionsschutzgesetzes auch nicht vor“, erläutert er. Die 40 Mikrogramm sollen weiterhin gelten. Der neue Grenzwert ist nur eine Leitlinie für Gerichte. Städten soll der Druck genommen werden, wenn der Jahresmittelgrenzwert nur geringfügig überschritten wird. Die Hoffnung ist: Sie verhängen keine Fahrverbote, sondern greifen auf andere Maßnahmen zurück.