Eine gewisse Ironie liegt schon darin. Noch vor einer Woche sagte Bundesbildungsministerin Anja Karliczek bei einer Bildungskonferenz: „Gute Bildung braucht gute Lehrerinnen und Lehrer. Lehrer haben eine Schlüsselrolle im ganzen Konstrukt Schule.“ Nur wenige Tage später müssen die Schüler wegen der Corona-Krise auf ihre Lehrer verzichten. Landesweit haben fast alle Schulen geschlossen. Zu allem Überfluss muss aber auch Ministerin Karliczek zu Hause bleiben. An der Konferenz hatte eine Frau teilgenommen, die mit dem Virus infiziert war.
Corona stellt das Schulwesen komplett auf den Kopf. Und die Schulen haben Mühe zu reagieren. Die Krise legt offen, wie groß die Lücken in der digitalen Versorgung der Schulen und auch wie groß die Unterschiede zwischen den Schulen immer noch sind. „Die Schulen in Deutschland sind nicht flächendeckend darauf vorbereitet, Fernunterricht zu erteilen“, warnte Ilka Hoffmann von der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) schon vor den ersten Schulschließungen. Die Erfahrung gab ihr recht: Während der ersten Tage sind die digitalen Lernangebote in vielen Ländern wegen Überlastung nur schwer nutzbar. Den Schulen bleibt nichts anderes, als ihre Schüler um Geduld zu bitten.

Die Mittel des Digitalpaktes werden kaum abgerufen

Damit war zu rechnen. Denn auch wenn die Digitalisierung der Schulen seit Jahren eines der wichtigsten Themen der Bildungspolitik ist, kommt sie in der Praxis nur langsam voran. Beispiel Digitalpakt: Nach jahrelangem Gerangel wurde das 5,5-Milliarden-Euro-Paket im Sommer vergangenen Jahres endlich beschlossen. Viel Geld ist allerdings noch nicht geflossen. Der Branchenverband Bitkom hat vor kurzem aufgelistet, welche Länder bislang Förderungen in welcher Höhe abgerufen haben. Hamburg liegt mit 116,1 Millionen Euro klar an der Spitze, vier Ländern wurden noch gar keine Mittel bewilligt. „Die Bundesländer haben von den fünf Milliarden Euro überhaupt erst einen Bruchteil abgerufen“, sagt Bitkom-Präsident Achim Berg.
Das liegt allerdings nicht nur an den Schulen, sondern auch daran, dass die Anträge unterschiedlich schnell bearbeitet werden. Und dazu kommt: Ein großer Teil der Mittel für den Aufbau digitaler Infrastrukturen kommt gar nicht vom Bund, sondern von den Ländern, Schulträgern und auch von Fördervereinen. Das hat dazu geführt, dass zwischen den einzelnen Schulen die Unterschiede sehr groß sind: Während einige wenige sehr gut vorbereitet sind und fast mühelos auf Unterricht zu Hause umstellen können, sind andere faktisch gezwungen, den Beginn der Osterferien erst einmal vorzuverlegen.
Fraglich ist allerdings, ob eine bessere digitale Infrastruktur überhaupt etwas bringen würde. Denn auch bei den digitalen Kompetenzen steht Deutschland nicht gerade gut da. Schüler, Eltern und Lehrer haben erheblichen Nachholbedarf, was die kritische Nutzung digitaler Medien angeht. Das ergab im November eine breite Untersuchung der Universität Paderborn. Länder wie Dänemark, Finnland und Südkorea stehen demnach deutlich besser da. Zudem ist das Bildungssystem hierzulande auch in diesem Bereich besonders ungerecht. Nur in wenigen Ländern sind die Unterschiede zwischen den Besten und den Schlechtesten so groß wie in Deutschland. Und die Corona-Krise könnte dazu führen, dass diese Unterschiede weiter wachsen.

Vorschläge aus der Opposition zur Corona-Krise an Schulen

Was also tun? Der bildungspolitische Sprecher der FDP-Fraktion Thomas Sattelberger hatte im Gespräch mit dieser Zeitung bereits vergangene Woche ein schnelles Handeln der Bildungsminister in Bund und Ländern verlangt, damit aus der Corona-Krise keine Schulkrise wird. Er schlug vor, einen niedrigen dreistelligen Millionenbetrag zur Verfügung zu stellen, um schnell bereits bestehende Angebote für alle verfügbar zu machen. „Wir haben heute schon sogenannte EdTech-Unternehmen wie Moodle und Sofa Tutor, und die haben teils schon mehr als eine Million Nutzer im Monat“, sagte er. „Dort gibt es Lernmaterialien in Hülle und Fülle.“
Das allerdings kann auch zum Problem werden, nämlich wenn keiner mehr im Dschungel der Angebote durchblickt. Genau an dieser Stelle will die Bundestagsfraktion der Grünen mit einer „Bundeszentrale für digitale und Medienbildung“ ansetzen. Diese soll als gemeinsames Projekt von Bund und Ländern organisiert werden und als Online-Plattform einen Überblick über bestehende Angebote geben. Auch die pädagogische Beratung und Weiterbildung der Lehrer soll über die Zentrale stattfinden.

Am Ende hilft nur kreativ werden

Bildungsexpertin Margit Stumpp glaubt, dass das schon in dieser Situation eine große Hilfe wäre. „Die neue Bundeszentrale könnte für Reichweite sorgen, Angebote bündeln, Qualität sichern und so Sicherheit schaffen“, sagt die Grünen-Politikerin, von der die Initiative für den Antrag ausging. Stumpp hat als Berufsschullehrerin selbst IT unterrichtet und sagt: „Die Idee kommt aus meiner praktischen Erfahrung.“ Technisch könnte sie sogar schnell umgesetzt werden, organisatorisch allerdings nicht. „Das ist in drei bis fünf Wochen nicht zu meistern.“ Nur: Organisatorisch kann der Bund ohnehin nicht viel erreichen. „Wir müssen jetzt aus der Situation lernen. Ganz schnell kann der Bund nichts machen, das sollte sich dringend ändern.“
Vielen bleibt deshalb gar nichts anderes übrig, als erst einmal das Beste aus der Situation zu machen. Das heißt: Die Lernplattformen nutzen, wenn es geht, Lernmaterialien per E-Mail empfangen, Bildungsangebote des öffentlich-rechtlichen Fernsehens nutzen, online nach Angeboten und Lehrfilmen schauen - und allzu oft auch: kreativ werden.