Bei einem der schwersten Zugunglücke der vergangenen Jahrzehnte sind im Osten Indiens mindestens 238 Menschen ums Leben gekommen. Zudem wurden rund 900 Menschen verletzt, wie die Behörden des Bundesstaats Odisha am Samstagmorgen gegenüber der Deutschen Presseagentur (dpa) mitteilten. Die Rettungsarbeiten wurden während der Nacht erschwert - es sind weiter steigende Opferzahlen zu befürchten.
Zugunglück in Indien: Ursache Signalprobleme
Der Unfall ereignete sich am Freitagabend in einer ländlichen Gegend im Bezirk Balasore, gut 200 Kilometer südwestlich von Kolkata. Drei Züge waren laut Behörden daran beteiligt. Erste Erkenntnisse zur Unfallursache deuten auf ein Signalproblem hin, wie örtliche Medien, darunter die «India Today», berichteten. Die Untersuchungen dauern an. Örtlichen Berichten zufolge soll ein Passagierzug zuerst entgleist sein, ein anderer Passagierzug soll in dessen liegengebliebene Waggons gerast sein. Auch ein Güterzug soll beteiligt gewesen sei.
Mit Tagesanbruch am Samstag wurde das Ausmaß des Desasters besser sichtbar. Etwa ein Dutzend havarierte Waggons lagen auf und neben den Gleisen, mit den Rädern in die Höhe ragende Stahlkolosse, einige mit aufgerissenen Abteildecken, die Fenster zerschmettert. Auf und neben den Waggons versuchten Dutzende Helfer in Zivilkleidung und Rettungskräfte mit orangefarbenen Schutzanzügen verzweifelt, verletzte Passagiere unter den tonnenschweren Trümmern zu retten. Es seien dazu auch Kräne und Bulldozer herangebracht worden, hieß es.
Ein Augenzeuge sagte dem örtlichen Fernsehsender NDTV, er sei aus dem Schlaf gerissen worden, als sein Zug plötzlich entgleiste - und das Chaos losbrach. „10 bis 15 Menschen fielen auf mich“, erzählte er dem Sender. Er selbst sei mit Verletzungen am Hals und an den Händen davongekommen, habe dann aber überall Leichen und abgetrennte Körperteile erblickt.
„Es war ein ohrenbetäubender Lärm, ich spürte den Boden unter meinen Füßen erzittern. Unser Zug wurde vor- und zurückgeworfen“, wurde ein Fahrgast von der Zeitung „Times of India“ zitiert. Dann habe er aus dem Fenster geschaut und die entgleisten Waggons gesehen, mit darunter eingeklemmten Menschen. „Es war dunkel und ich konnte Schreie hören.“ Ein anderer Mann schilderte, wie völlig Aufgelöste später in einem Feld Verstümmelter nach Angehörigen suchten. „Der Anblick war zu schrecklich, um ihn zu beschreiben.“
Marodes Bahnsystem
Indien hat ein großes und historisch gewachsenes Bahnnetzwerk. Angesichts von vielen alten Zügen und überholungsbedürftigen Gleisanlagen gibt es häufig Unfälle. Doch derart hohe Opferzahlen sind selbst im bevölkerungsreichsten Land der Welt mit 1,4 Milliarden Einwohnern äußerst selten. Der Unfall schockte viele im Land und entfachte wieder Diskussionen um Sicherheit bei der Bahn.
In Indien wurde in den vergangenen Jahren zwar viel in die Bahn investiert, aber Probleme dauern an. Die Regierung von Odisha machte den Samstag zu einem Tag der Trauer. Viele Züge fielen aus oder wurden umgeleitet.
Die Hilfsbereitschaft nach dem Unglück war groß. Stunden danach gab es Berichte, wonach viele Menschen in Krankenhäusern Blut für die Verletzten spenden wollten. „Ich hoffe, dass das einige Leben rettet“, sagte ein Spender der indischen Nachrichtenagentur ANI. Odishas Verwaltungschef Pradeep Kumar Jena sagte, er habe viele Anfragen von Blutspende-Interessierten erhalten.
Bahnminister Ashwini Vaishnaw sagte der Nachrichtenagentur ANI, er habe eine Untersuchung zur Ursache der Zugkatastrophe angeordnet. Am Samstagmorgen traf er an der Unfallstelle ein, um sich ein Bild vom Ausmaß der Tragödie zu machen. Premierminister Narendra Modi zeigte sich erschüttert und schrieb auf Twitter: „In dieser Stunde der Trauer sind meine Gedanken bei den trauernden Familien.“
Das Büro des Premierministers kündigte - wie dies in Indien bei Unfällen in Zusammenhang mit der Infrastruktur üblich ist - schon kurz nach dem Unglück eine Entschädigung für die Angehörigen der Toten von je 200 000 Rupien (etwa 2300 Euro) an. Verletzte sollen etwa 50 000 Rupien bekommen.