Ist das die Rettung von vielen Leben in der Corona-Krise, in deren Folge mittlerweile mehr als 443.000 Menschen gestorben sind? Die Hoffnungen der Mediziner ruhen jetzt auf dem Wirkstoff Dexamethason. Das ist wie auch Kortison ein das Immunsystem dämpfendes Glucocorticoid, dass in vielen Medikamenten unter anderem gegen allergische und entzündliche Atemwegserkrankungen eingesetzt wird.

Medikament mit Dexamethason gegen schwere Fälle von Covid-19

Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) hat die Ergebnisse einer Studie der Universität im britischen Oxford zur Behandlung von Covid-19-Patienten mit dem schon lange bekannten Wirkstoff begeistert begrüßt. Es handele sich um einen "lebensrettenden wissenschaftlichen Durchbruch", erklärte WHO-Chef Tedros Adhanom Ghebreyesus laut der Nachrichtenagentur afp in Genf.
Demnach haben die Wissenschaftler herausgefunden, dass das entzündungshemmende Dexamethason die Sterblichkeit von schwerstkranken Covid-19-Patienten deutlich senken könne.

Experten: Zu früh für Euphorie

Doch Experten warnen laut der Deutschen Presseagentur vor einer verfrühten Euphorie. Eine finale Einschätzung zur Qualität des Medikaments sei erst möglich, wenn die Originaldaten ausführlich gesichtet seien, sagte Maria Vehreschild, Leiterin des Schwerpunkts Infektiologie am Universitätsklinikum der Goethe-Universität Frankfurt.
Zwar weisen vorläufige Ergebnisse der klinischen Studie darauf hin, dass die Sterberate bei Patienten, die künstlich beatmet werden und Dexamethason bekommen, um ein Drittel sinken könnte. Die Daten sind allerdings noch nicht in einem Fachjournal veröffentlicht und von anderen Experten begutachtet, sie wurden von der Universität Oxford lediglich in einer Mitteilung verkündet.

Nebenwirkungen von Corona-Medikament müssen untersucht werden

Wichtig sei unter anderem, die Nebenwirkungen noch weiter aus den Daten herauszuarbeiten, so Vehreschild. Zu prüfen sei auch, ob die beiden Patientengruppen - Dexamethason-Gruppe und Vergleichsgruppe - wirklich vergleichbar waren, erklärte der Pneumologe Tobias Welte von der Medizinischen Hochschule Hannover. „Bevor man das vollständige, durch unabhängige Gutachter beurteilte Manuskript gesehen hat, kann man die Wertigkeit der Studie nicht beurteilen.“
Zu bedenken sei bei den Ergebnissen auch, dass Dexamethason die Immunantwort gegen das Virus bremst und so dazu führen könnte, dass das Virus langsamer eliminiert wird, ergänzte Bernd Salzberger, Bereichsleiter Infektiologie am Universitätsklinikum Regensburg und Präsident der Deutschen Gesellschaft für Infektiologie. Laut Chefarzt der Infektiologie und Tropenmedizin am München Klinik Schwabing, Clemens Wendtner, muss geprüft werden, inwieweit der Mehrwert von Steroiden wie Dexamethason hinsichtlich der Sterberate mit schweren Infektionen anderer Art - sogenannten Superinfektionen - erkauft werden muss.

Das ist der Wirkstoff Dexamethason

Dexamethason gehört zu den sogenannten Glucocorticoiden, zu denen etwa auch Kortison zählt. Der Wirkstoff wird seit mehr als 50 Jahren in der Medizin eingesetzt. In der „Recovery“-Studie wird die Eignung verschiedener solcher schon länger zugelassener Medikamente als Mittel gegen Covid-19 geprüft. Der Dexamethason-Teil umfasste rund 2100 Patienten. Die Ergebnisse weisen darauf hin, dass bei der Behandlung mit Dexamethason im Mittel von je 8 schwerkranken Covid-19-Patienten 1 Todesfall verhindert werden könnte.

Medikament als Spritze oder Tablette

„Dexamethason ist kostengünstig, verfügbar und kann sofort eingesetzt werden, um weltweit Leben zu retten“, erklärte Peter Horby, einer der Leiter der „Recovery“-Studie. Auch Vehreschild von der Goethe-Universität Frankfurt sagte, dass sie keine grundsätzlichen Hürden bei der Verabreichung und Verfügbarkeit sehe, da der Wirkstoff bereits zugelassen und die Applikation über die Vene oder als Tablette möglich sei.
„Aus biologischer Sicht ist dieser Effekt nicht völlig überraschend, da insbesondere die schwer erkrankten Patienten unter einer überschießenden Immunreaktion leiden“, erklärte sie. Kortison sei ein klassischer Behandlungsansatz, um das Immunsystem zu unterdrücken. „Überraschend ist aber die Stärke des nachgewiesenen Effektes.“ Der Wirkstoff wird in der Neurologie, der Onkologie, bei Atemwegserkrankungen und in vielen anderen Bereichen genutzt.

Weiter Hoffen auf Impfstoff gegen Corona

Spannend werde sein, ob andere Interventionen gegen ein überschießendes Immunsystem wie der Einsatz von teuren Interleukin-1- oder Interleukin-6-Rezeptor-Blockern vergleichbare Effekte haben, erklärte Wendtner. „Angesichts des insgesamt nur kleinen, wenn auch signifikanten Herabsetzens der Sterblichkeitsrate durch Steroide bleibt die beste Medizin die Verhinderung der Covid-19-Erkrankung durch einen effizienten Impfstoff.“