Ihre Stimme bricht ab. Tränen laufen über ihre Wangen. Eva Franz muss sich sammeln, schaut auf die Tischplatte, dann erzählt sie weiter. Für zwei Stunden nahm sie die Zuhörer im Saal mit in ihre schmerzhafte Vergangenheit. Zurück in eine Zeit, als sie den Terror der Nazis am eigenen Leib zu spüren bekam.
Denn Eva Franz gehört der Minderheit der Sinti und Roma an und wurde im Alter von fast drei Jahren ins Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau deportiert. Was sie dort erlebte, berichtete die heute 77-Jährige rund 70 Schülern zweier 11. und einer 12. Klasse der Berufsschule Neu-Ulm bei einem Zeitzeugengespräch.
Eva Franz wurde am 31. August 1940 in Gablonz an der Neiße im Sudetenland (heute Tschechien) geboren. Von dort wurde sie 1943 zusammen mit ihren Eltern Anna und Emil Christ und ihrer acht Jahre älteren Schwester nach Auschwitz-Birkenau gebracht. Auch die Familie ihres Vaters in Fulda fiel der „Säuberung“ zum Opfer: 36 Familienangehörige, darunter auch Kinder, wurden in Lastwagen von der SS abgeholt. Nur Eva Franz’ Großmutter blieb zurück, denn sie wurde als „arisch“ eingestuft. Deren elf Kinder und ihr Mann starben – vom Schicksal der übrigen Familienangehörigen weiß Eva Franz nichts. Nur sie, ihr Vater und eine Tante kamen zur Großmutter zurück.
Rauchende Schornsteine
An die Zeit in Auschwitz-Birkenau hat Eva Franz nicht viele Erinnerungen. Aber einzelne Bilder sind ihr im Gedächtnis geblieben, wie beispielsweise die Tätowierung der Häftlingsnummer: „Das hat sehr weh getan, ich war sehr klein und habe nicht still gehalten.“ Die Nummer 4167 trägt sie noch heute am linken Arm. Auch die großen Schornsteine im Lager, aus denen der Rauch kam, sieht sie noch vor sich. „Ich sagte zu meiner Mama: ‚Schau mal, da ist Feuer.’ Und meine Mama antwortete: ‚Da wird Brot gebacken für uns’.“ Erst später fand sie heraus, dass dort Menschen verbrannt worden waren.
Von den schrecklichen Lebensumständen im Lager erfuhr Eva Franz vor allem durch die späten Erzählungen ihres Vaters: hunderte Stockbetten in einer Baracke, Kälte, Dreck, wenig Essen. Ihre Schwester Franja starb auf Grund der schlechten Bedingungen. Der verzweifelte Vater Emil Christ schlich sich nachts zur Baracke eines Häftlings, der in der Küche arbeitete und ihm Essen zusteckte. „Es ging ein paar mal gut – dann haben sie ihn erwischt“, sagt Eva Franz. Am nächsten Tag wurde ihr Vater auf dem Appellplatz ausgepeitscht. Beim Erzählen laufen Eva Franz Tränen über die Wangen. Leise sagt sie: „Die Narben hat er mitgenommen, bis ins Grab.“ Auch einige Schüler wischen sich verstohlen die Tränen aus den Augen. Es ist still im Saal.
Eva Franz und ihre Mutter kamen später ins Frauen-KZ nach Ravensbrück und dann ins KZ Bergen-Belsen. Eines Tages beobachtete Eva Franz wie ihre Mutter bei der Arbeit einfach umfiel. „Ich sagte zu ihr: ‚Mama, mach deine Augen auf, lass mich nicht alleine’.“ Doch die Wachsoldaten trugen ihre tote Mutter fort und eine Vertraute kümmerte sich fortan um Eva Franz. Erst nach der Befreiung 1945 wurde das junge Mädchen wieder mit dem Vater vereint und ging nach Fulda.
Eine andere Perspektive
„Ich hatte nicht erwartet, dass es so emotional wird. Mir sind die Tränen gekommen“, gesteht die 22-jährige Schülerin Annalena Wilhelm. „Wir haben damit ja nicht mehr so viel zu tun, aber wir sollten das Geschehene nicht vergessen.“ Das sieht auch die 20-jährige Katharina Haas so: „Es bringt einem zum Nachdenken, wie gut es uns heute geht.“
Es war bereits das 17. Mal, dass Eva Franz vor Schülern über ihr Leben sprach, obwohl sie die Erinnerungen lieber für immer verdrängen möchte. „Warum machen Sie diese Vorträge?“, fragte eine Schülerin. Eva Franz: „Ich bekomme eine kleine Rente.“ Wie viele andere Sinti und Roma erhielt sie nie eine finanzielle Entschädigung für ihre Leiden. Erst 1982 sprach der damalige Bundeskanzler Helmut Schmidt offiziell von einem „Völkermord“. Aber Eva Franz will die Schüler auch warnen: „Ich möchte, dass diese Zeit nie wieder kommt. Dass ihr das nie miterleben müsst und schlauer seid, als wir es waren.“
500.000 Sinti und Roma von den Nazis ermordet
Verfolgung Die Sinti leben seit mehr als 600 Jahren im deutschsprachigen Raum. Im Dritten Reich wurden Sinti und Roma wie die Juden als „minderwertige Rasse“ angesehen. Zwei Drittel der etwa neun Millionen in Europa lebenden Juden und die Hälfte der eine Million Sinti und Roma wurde damals von den Nazis ermordet.
Veranstaltung Das Zeitzeugengespräch mit Eva Franz wurde von der Georg-von-Vollmar-Akademie gemeinsam mit dem Institut für Sozialwissenschaftliche Forschung und Bildung finanziell gefördert. Moderatorin war Diplom-Sozialwirtin Birgit Mair.