Als Witz sagt man das manchmal so flapsig: „Das Ding ist so schmutzig, das läuft bald von selbst davon.“ Was Wolfgang Hugel erlebt hat, war allerdings kein Witz. Als der Rentner den Deckel der gelben Tonne hob, bewegten sich Tetrapacks und Plastikhüllen. So schien es zumindest, „es waren aber junge Ratten“. Der 70-Jährige sieht die Tiere fast täglich in einem Innenhof in seiner Nachbarschaft, in den er vom Balkon seines Hauses am unteren Kuhberg einen guten Einblick hat. „Das sind richtig viele.“
Er übertreibt nicht. Hugel sitzt vor seinem PC, zeigt zig Fotos und lässt ein Video abspielen: Sechs Ratten laufen am hellen Tag herum und verschwinden hinter Mülltonnen, in der Fassade des Hauses, in abgestellten Möbeln. Sie bleiben nicht dort. Er sieht sie in seinem Garten, auf dem Balkon im zweiten Stock, die Nachbarn drum herum haben sie ebenso wie die auf der anderen Straßenseite.
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Wie oft er bei der Stadt und beim Hauseigentümer angerufen hat, weiß er nicht mehr. Der Erfolg war bescheiden: „Städtische Angestellte kamen, sahen nichts und gingen – als ob die Ratten auf sie warten würden.“ Und der Eigentümer halte einen hin.
Kanal verstopft: „Es stinkt mitunter entsetzlich“
Die Rattenplage kommt nicht von ungefähr: Ein Kanal vor dem Haus dort sei verstopft, die Kloake laufe über den Hof – „es stinkt mitunter entsetzlich“. Die Abfalltonnen würden öfters nicht geleert, weil die Bewohner des Hauses den Müll nicht trennten – und dann das Schlimmste – es lägen überall Nahrungsmittel herum: „Ein Paradies für die Nager“.
Der 70-Jährige ärgert sich auch über den Zustand des Hauses und unter welchen Umständen die Leute dort wohnten. „Manche haben nicht einmal Wasser und manchmal auch keinen Strom.“
In dem Haus, von dem Hugel spricht, wohnen im Erdgeschoss mehrere Familien, die sich zum Teil jeweils ein Zimmer teilen. Es sind Menschen aus Bulgarien, darunter welche, die zuvor im ehemaligen Eichamt ebenfalls unter miesen Bedingungen gelebt hatten. Das Haus, das nach Schätzung Hugels aus den 50er Jahren stammt, sei früher mal ein Lager der Dachdeckerfirma Einsiedel gewesen. Bis es verkauft worden sei. „Heute kümmert sich der Sohn des Käufers darum“, weiß er. Er kassiere Miete, alles andere sei ihm wohl egal.
Die Bewohner verlieren die Geduld
Aus dem linken Eingang des Hauses mit den Stufen kommt eine große Frau mit langem Zopf heraus. Auf die Frage, wie sie dort wohnt, antwortet sie in gebrochenem Deutsch: „Mein Mann, meine Kinder und ich teilen uns ein Zimmer. Wasser haben wir nicht.“ Sie zahle dem Vermieter dafür 500 Euro bar auf die Hand – „immer am 15. jeden Monats“. Strom müsse sie natürlich extra bezahlen. „Viel, weil wir im Winter mit einem Heizlüfter heizen.“
Am liebsten würde sie ausziehen, sagt die 48-Jährige, die im Krankenhaus putzt. Ihr Sohn sitze im Rollstuhl, allein die Treppen vor dem Eingang seien ein großes Problem. „Im Winter ist er da hinunter gefallen und musste in die Klinik.“ Eine andere Frau mit zwei kleinen Kindern kommt aus dem Haus. Ja, sie wisse um die Ratten sagt sie achselzuckend und auch die 48-Jährige nickt.
Hugel und die Nachbarn verlieren die Geduld: „Es muss endlich was passieren.“ Auch weil die bröckelnde Fassade und das Dach aus Asbest seien. Das sei gefährlich für deren Kinder, die der Nachbarn und für seine Enkel. „Es reicht, da muss endlich was passieren.“ Das meint auch seine Nachbarin, die das Gewerbeaufsichtsamt informieren will: „Die abgebrochenen Platten setzen Fasern frei.“ Auch die Dämmung sei gesundheitsgefährdend.
Ordnungsamt hat Maßnahmen ergriffen
Man habe Maßnahmen ergriffen, sagt Reiner Türke, Leiter des Ordnungsamtes. „Der Eigentümer hat eine Anordnung zugestellt bekommen.“ Demnach muss er innerhalb einer zweiwöchigen Frist – bis 7. Juni – dafür sorgen, dass der Abfall abtransportiert wird und er „muss einen Schädlingsbekämpfer wegen der Ratten beauftragen“. Tue er das nicht, beauftrage die Stadt das jeweils und der Eigentümer müsse für die Kosten aufkommen. Türke sagt, die Verwaltung sei keineswegs untätig gewesen: „Wir waren immer wieder vor Ort, haben die überfüllten Müllgefäße moniert.“ Mitte Mai habe man dann auch Ratten festgestellt.
In Bezug auf die schlechten Wohnbedingungen sagt Türke, Vertreter von Jugendamt, Baurechtsamt, Feuerwehr und Polizei hätten etwa vor einem Jahr alles in Augenschein genommen: „Es war aber alles soweit in Ordnung.“ Auch Mietwucher liege nicht vor. Insgesamt habe man im Stadtgebiet etwa sechs solcher Häuser. Brennpunkte, die unter Beobachtung seien.
Ihr Mann kontrolliere das Haus regelmäßig, sagt die Schwiegertochter des Eigentümers – und: „Wir haben den Abfall schon sehr oft auf eigene Kosten weg gefahren, aber die Mieter schleppen immer wieder etwas an.“ Mülltrennung finde nicht statt, Drohungen, die Kosten der Müllabfuhr umzulegen, würden nur kurzfristig helfen: „Einen Monat lang ist es sauber, dann sieht es wieder so aus.“
Dass sie kein Wasser hätten, stimme nicht. Viel mehr sei es so, dass vieles kaputt gemacht werde und die Reparaturkosten hoch seien. Ihre Familie habe genug und wolle das Haus verkaufen, sagt sie. Es gebe einen Interessenten. Im Übrigen aber habe man jetzt alles in die Wege geleitet: Die EBU spülen den verstopften Kanal, der Schädlingsbekämpfer sei für Mittwoch bestellt gewesen und wegen der Fassade sei ein Termin mit einem Experten ausgemacht.
Rentner Hugel kann sich trotzdem nicht freuen. Gerade habe er wieder vier Ratten gefangen: „Ich traue dem Frieden nicht.“ Kurzzeitig bleibe es sauber, dann seien die Mülleimer voll und der Abfall lande wieder auf dem Hof.
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EBU zeigen, wie man Müll trennt
Beratung In Einzelfällen schulen Mitarbeiter der Entsorgungsbetriebe Ulm Bürger, die nicht wissen, wie man Müll ordnungsgemäß trennt, sagt Abfallberaterin Julia Dolizil. Der Vermieter könne auf die EBU zugehen, dann werde ein Termin zur Beratung der Mieter ausgemacht. Natürlich sei das Sprachverständnis manchmal eine Hürde, aber man könne auch Dolmetscher organisieren. Nicht immer reiche nur eine Schulung, um Verbesserungen zu erzielen. Es komme auch darauf an, dass die Mülltonnen in einem geschlossenen Raum stehen.