Von Integration will Elise Macev erst mal gar nicht reden. Integration, dieses Wort ist ihr zu groß. Sie möchte den Boden dafür bereiten, denn sie ist überzeugt: Integration kann nur gelingen, wenn das Ankommen gelingt. Und das ist schwer genug. Geflüchtete Menschen kommen nach Deutschland, kennen weder Sprache noch Gepflogenheiten oder Kultur, und das heißt auch: Alltagskultur.
Wenn die gebürtige Mazedonierin im Auftrag der Familienbildungsstätte geflüchtete Frauen und Kinder besucht, geht es deshalb häufig um scheinbare Banalitäten. Elise Macev erklärt die deutsche Mülltrennung, spricht über Pünktlichkeit, über Geschäfte, in denen man rituell geschlachtetes Fleisch kaufen kann oder über Impfungen, die für einen Platz im Kindergarten nötig sind. Vor allem aber: Sie fragt, was die Menschen wissen wollen. „Die Leute sind am Anfang ängstlich und skeptisch“, erzählt Elise Macev. „Sie wissen nicht, was sie in Deutschland erwartet.“
Migrationsgrund hilft
Deshalb ging es anfangs, als Elise Macev 2015 mit ihrer Arbeit begann, erst einmal darum, das Vertrauen der Menschen zu gewinnen. Dass sie selbst einen Migrationshintergrund hat, half ihr. Ebenso, dass sie mehrere Sprachen spricht und extra noch Arabisch lernte. Sie passte sich an, trug beispielsweise bei ihren Besuchen keine enge, ausgeschnittene Kleidung, bedeckte ihr Haar. Aber sie setzte Grenzen und erklärte deutlich, wie das Leben in Deutschland läuft.
„Elise Macev hat eine sehr klare Haltung“, sagt Andrea Bartels. „Das hilft sehr und gibt Orientierung.“ Die Leiterin der Familienbildungsstätte war vor ein paar Jahren auf ihre Mitarbeiterin zugegangen und fragte sie, ob sie zusätzlich zu ihrer Tätigkeit als Musikpädagogin in das Flüchtlingsprojekt für Frauen und Kinder einsteigen möchte. Macev sagte Ja. „Ein Glücksfall“, sagt Bartels.
Der Anfang war jedoch nicht leicht. Elise Macev versuchte, mit den Bewohnerinnen in der Unterkunft in der Römerstraße ins Gespräch zu kommen. Manchmal wartete sie eine halbe Stunde, eine dreiviertel Stunde, ohne dass jemand zu den vereinbarten Terminen erschien – eine Frage der Pünktlichkeit. Dann ging sie dazu über, die Frauen abzuholen, auch später noch, wenn sie schon in Wohnungen lebten. Und wenn sie dann mit mehreren Frauen zusammensaß, drückten sich die Männer vor dem Raum herum. „Sie waren misstrauisch. Sie wollten hören, was ich sage.“ Ohne das Vertrauen der Männer geht nichts, das merkte Elise Macev schnell. Auch Akademikerinnen fragten sie: „Erlaubt Dir Dein Mann das?“
Mit der Zeit war sie akzeptiert, „ich habe nicht locker gelassen“. Sie begleitete Frauen zum Arzt, übersetzte für sie im Gespräch mit Lehrerinnen oder Erzieherinnen, erklärte das deutsche Schul- und Gesundheitssystem. Immer getrieben vom Wunsch, den Familien einen möglichst guten Start zu ermöglichen.
Ihr Einsatz sei sehr beeindruckend, „ihr ist nichts zu viel“, sagt Sabine Gum, die Vorsitzende des Benefiz-Vereins „4 Clubs – eine Initiative“, der das Projekt von Anfang an finanziert und bisher knapp 30 000 Euro aus Spenden aufgebracht hat, vor allem über den Stand mit Weihnachtskarten auf dem Weihnachtsmarkt.
Starthilfe notwendig
Anfangs habe der Club an ein Bildungsprojekt gedacht, nicht an eine derart niedrigschwellige Starthilfe im Alltag, erzählt Sabine Gum. Schnell hätten die Frauen des Clubs aber gemerkt, wie wertvoll Elise Macevs Arbeit ist. Die Vereinsvorsitzende beschreibt es so: „Es ist wie eine Saat, die man im Boden ausbringt.“
Elise Macev selbst lebt seit 27 Jahren in Deutschland. Die sprachlich begabte Musikerin, die im jetzigen Nord-Mazedonien nahe der griechischen Grenze geboren wurde, hatte Musikpädagogik studiert und wollte in Deutschland noch ein Psychologiestudium draufsatteln. In Deutschland lernte sie schließlich ihren jetzigen Mann, einen Ulmer, kennen und blieb.
Andrea Bartels bewertet Elise Macevs Arbeit mit geflüchteten Frauen und Kindern uneingeschränkt positiv: „Wenn man sieht, was dabei herauskommt, ist das sehr befriedigend.“ Die Menschen finden sich ein bisschen besser zurecht, lernen mehr von ihrer neuen Umgebung und deren Gepflogenheiten kennen.
Ihr schönstes Erlebnis bisher war ein Tadel, den sie einstecken musste. „Ich hatte die Straßenbahn verpasst und kam zehn Minuten zu spät zu einem Treffen“, erzählt Elise Macev. „Eine Frau sagte zu mir: Elise, Du kommst zu spät. Dieser Satz hat mich riesig gefreut.“
Wie Flüchtlinge Ulm kennen lernen
Aktivitäten Elise Macev hat mit Geflüchteten schon häufig Ulmer Einrichtungen besucht. Darunter:
Münster Die größte christliche Kirche in Ulm zu besuchen, war für viele eine große Sache, besonders für Muslime, sagt Elise Macev. „Sie waren ganz still und respektvoll und wollten als erstes die Schuhe ausziehen.“ Dass das nicht nötig ist, führte zur nächsten Frage: „Wer macht hier sauber?“
Weihnachtsmarkt Anfangs wollte keiner der von ihr betreuten Flüchtlinge über den Weihnachtsmarkt gehen: „Sie kannten so etwas nicht.“ Elise Macev ermunterte sie: Man müsse nichts kaufen, nichts essen oder trinken, könne einfach durch die Gassen laufen und die Schafe anschauen. „Das fanden dann doch alle gut. Vor allem die Kinder hatten viel Spaß“, berichtet Macev.
Stadtbibliothek In die Bücherei zu gehen, wäre vielen Geflüchteten nicht von allein eingefallen: „Sie sind gewöhnt an die arabische Schrift.“ Umso überraschter waren sie dann, dass die Stadtbibliothek am Marktplatz beispielsweise Kinderbücher auch auf Arabisch vorrätig hat.