Phil ist fast ein Jahr alt und von einem seltenen Gendefekt betroffen. Ob er einmal alleine sitzen kann, ist unklar, an Laufen ist nicht zu denken. Er hat eine Krankheit, die vererbt wird: spinale Muskelatrophie (SMA). Nervenimpulse kommen nicht mehr an Muskeln an. Das führt zu Muskelschwund, Lähmung und verminderter Muskelspannung.
Die ersten zwei Wochen seines Lebens habe sich Phil normal bewegt, dann gar nicht mehr, erzählt Caroline Popp. „Mit der Behandlung ist es besser geworden.“ Seit er drei Wochen alt ist, bekommt Phil Medikamente. Er ist noch kein Jahr alt, hat aber schon zahlreiche Aufenthalte im Krankenhaus, Untersuchungen und Physiotherapie hinter sich. Einiges übernehme zwar die Krankenkasse, die Familie müsse aber zuzahlen. Deswegen und weil sie auf SMA aufmerksam machen wollen, haben Caroline und Peter Popp eine Gofundme-Kampagne gestartet. Aufgefallen ist Phils Erkrankung beim Neugeborenenscreening.

„Die Ärztin hat selbst fast geweint“

Caroline Popp ist gefasst, wenn sie spricht und lacht viel. Das war nicht immer so. Den Moment, in dem sie und ihr Mann informiert wurden, beschreibt sie heute als „katastrophal“. „Die Ärztin am Telefon hat selbst fast geweint“, sagt die Mutter. Sie habe im Schock gar nicht richtig erfassen können, was die Ärztin sagt. „Und dann haben wir erst mal drei Tage durchgeheult.“
Im Internet hatten die Eltern gelesen, dass die Krankheit tödlich verlaufen kann. Heute wissen sie, dass sie durchaus behandelt werden kann. Phil etwa hat Probleme mit den Schultern. „Aus der Bauchlage kann er sich nicht hochdrücken“, erklärt Popp. Liegt der Junge auf dem Rücken, kann er die Beine nicht gegen die Schwerkraft anheben. „Aber er hat gemerkt, dass er seine Beine mit den Armen hochziehen kann“, erzählt die Mutter. Allerdings: „Aufstehen ist gar kein Thema, das wird nicht funktionieren.“

Physiotherapie bringt Fortschritte

Umso schöner sei es, dass ihr Sohn Fortschritte in der Physiotherapie mache. „Es geht in Richtung Sitzen“, sagt die Mutter stolz. Diese Fortschritte habe sie zunächst gar nicht gesehen. „Irgendwann war ich bei der Physiotherapie und habe geweint, weil nichts vorwärtsgeht“, erinnert sie sich. Die Therapeutin habe ihr widersprochen, und Popp begann, Videos aufzunehmen. Jetzt sagt sie: „Es geht definitiv vorwärts.“
Die Eltern haben inzwischen einige Strategien entwickelt, um mit der Diagnose umzugehen. „Wir witzeln unheimlich viel“, sagt die 30-Jährige. „Da ist dann auch echt schwarzer Humor dabei.“ Anders gehe es nicht. Geholfen habe auch das Wissen, dass die Erkrankung nur vererbt wird, wenn beide Eltern den Defekt in sich tragen. „So sind wir quasi beide schuld, damit geht’s“, sagt sie und lacht – da ist er, der schwarze Humor.
Abgesehen davon haben die Eltern eine Art Aufgabenteilung. „Ich will immer alles ganz genau wissen“, sagt die 30-Jährige. „Mein Mann lieber nicht. Ich filter’ für ihn, was die Ärzte sagen.“

Wer Fragen hat, soll sie stellen

Inzwischen versteht sich die Familie auch als eine Art Botschafterin für SMA. Wer Fragen hat, soll sie stellen. Und eines ist Caroline Popp ganz wichtig: „Wenn ein Kind im Rollstuhl sitzt, ist das kein Weltuntergang.“ Problematisch sei eher der Stand der Inklusion. Dabei denkt sie beispielsweise an die Ausstattung von Kindergärten und Schulen. Ihr ist keine barrierefreie Schule in ihrer Nähe bekannt. „Warum kann man das Problem nicht beheben?“, ärgert sie sich. „Es kann doch nicht sein, dass der Schulbesuch meines Kindes im Ort daran scheitert, dass es keinen Aufzug gibt.“
Die Diagnose hat auch Auswirkungen auf die Familienplanung des Paares. „Direkt danach haben wir gesagt, wir kriegen auf keinen Fall noch ein Kind“, schildert Popp. Dabei sei der Traum von Anfang an eine Familie mit mindestens zwei Kindern gewesen. „Aber Phil ist so ein Goldkind“, sagt sie. Er lache den ganzen Tag, sei ein glückliches, waches Kind. Deswegen sei das kategorische Nein zu einem weiteren Kind aus der Zeit direkt nach der Diagnose mittlerweile gar nicht mehr so kategorisch. „Wir sagen inzwischen, warum eigentlich nicht?“

Intellektuelle Fähigkeiten sind nicht beeinträchtigt

Spinale Muskelatrophie ist eine seltene Muskelerkrankung. Laut der Deutschen Gesellschaft für Muskelkranke ist eines von etwa 6000 bis 10 000 Neugeborenen davon betroffen.
Normalerweise werden Nervenimpulse vom Gehirn ans Rückenmark weitergeleitet und erreichen darüber den Muskel. Bei SMA gehen die Nervenzellen im Rückenmark laut der Gesellschaft für Muskelkranke unter. Sie können demnach die Impulse aus dem Hirn nicht mehr an den Muskel weiterleiten. Die Folgen sind  Muskelschwund, Lähmungen und verminderte Muskelspannung. Sinneswahrnehmungen und intellektuelle Fähigkeiten sind davon nicht beeinträchtigt. Seit 2021 gehört der Test auf SMA zum Neugeborenenscreening.