Zugegeben, die Göbels sind nicht die typische Schausteller-Familie. Für ihn, Tobias Göbel, 31 Jahre alt, war lange nicht klar, ob er überhaupt in den in Worms beheimateten Familienbetrieb einsteigen wird. Abitur und Mechatronik-Studium, Bachelor-Abschluss. Er hätte sich auch einen anderen Job suchen können. Und die Eltern wären damit ausdrücklich einverstanden gewesen. „Meine Eltern hielten uns Kinder immer an der ganz langen Leine“, sagt er. Dann aber die Entscheidung zusammen mit seiner Ehefrau Patrica, die mit ihren Eltern ebenfalls in Worms einen Reiterhof mit 60 Pferden betreibt: Wir wagen es und ziehen mit einem Riesenrad von Stadt zu Stadt. Wir, das sind jetzt auch die beiden Töchter Johanna, drei Jahre alt, und Elisa, erst seit vier Monaten auf der Welt. Mit im Wohnwagen lebt auch noch Mops Freddy.
Um 1894 fing alles an, als Postbeamter Bernhard Göbel seine spätere Frau aus dem Schaustellergewerbe kennenlernte, er seinen Job an den Nagel hing und beide fortan mit einem Kinderkarussell und einer Zuckerbude durch die Lande tingelten. Mittlerweile in der fünften Generation ist daraus ein stattlicher mittelständischer Familienbetrieb entstanden mit fünf Riesenrädern und einer Achterbahn.
Tobias und Patrica Göbel sind im zweiten Jahr mit dem „Grand Soleil“ unterwegs. Die große Sonne hat eine Höhe von 48 Metern. Wer in eine von den 36 Gondeln steigt, sich nach oben tragen lässt, der hat einen herrlichen und ruhigen Blick über die Doppelstadt Ulm und Neu-Ulm, während unten in den spektakulären Fahrgeschäften wie „Black out“ oder „V-Maxx“ laut und wummernd der Bär tanzt. Unterschiedlicher können Fahrgeschäfte kaum sein.

Fast das ganze Jahr Saison

Die Göbels sind mit ihren fünf Riesenrädern so etwas wie Experten auf diesem Gebiet. „Grand Soleil“ wurde nach der etwa einjährigen Bau- und Planungszeit im vergangenen Jahr in Betrieb genommen. Die Basis des Riesenrads ist auf insgesamt drei überlangen Sattelschlepper-Auflegern integriert. Die Kabinen und die restliche mediterrane Dekoration findet Platz auf drei weiteren Auflegern. Dazu kommen zwei große Wohnwägen für die Familie und fürs Personal. Mit diesem Fuhrpark touren die Göbels von der Faschingszeit bis nach Weihnachten durch Europa. Saisonstart war 2017 tatsächlich schon mit Beginn der Fassenacht in „Meenz“ im März, Schluss war am 15. Januar 2018 mit Ende des Weihnachtsmarkts im belgischen Gent.
Fahrgeschäfte nach dem Motto „Höher, schneller, weiter“ wären nicht sein Ding, sagt Tobias Göbel. „Da bin ich nicht der Typ dazu.“ Er glaubt auch, dass die Technik dieser spektakulären Teile ausgereizt sei. Riesenräder seien ums Jahr 2000 herum etwas aus der Mode gekommen. Was am neuartigen Fahrgeschäft wie dem „Breakdance“ lag, der in den 90er-Jahren die Volksfeste revolutionierte und aufmischte. „Mittlerweile läuft es besser“, blickt er zuversichtlich in die Zukunft. Riesenräder sei eben zeitlos, „und das gefällt unserer Familie“.

Hohe Investitionen

Vier Millionen Euro teuer ist „Grand Soleil“. Was an der Größe und an der kompakten Bauweise liegt. Mit einer Breite von 23 Metern und einer Tiefe von 15 Metern ist die Stellfläche recht klein. Der Aufbau dauert nur zwei Tage, an einem Tag ist abgebaut. Bei einem Fahrpreis von sechs Euro braucht es mehr als 666 666 Fahrten, bis der Anschaffungspreis verdient ist. Doch damit allein ist das Riesenrad noch längst nicht finanziert, denn dazu kommen Ausgaben für die Wartung, für einen neuen Anstrich alle fünf Jahre, fürs Personal. An Schwörmontag-Abend ist für die Göbels in Ulm Schluss. Dann wird abgebaut und am anderen Tag gleich nach Fulda gefahren, denn: „The Show must go on.“­

Kleine Geschichte der riesigen Räder

1620 Ein Reisender aus England will im bulgarischen Plowdiw das erste Riesenrad gesehen haben.

1893  Zur Weltausstellung im amerikanischen Chicago wurde „Ferris Wheel“ gebaut, das erste moderne Riesenrad der Welt. Es war 80,5 Meter hoch.

1999 ging zu den Millenniumsfeierlichkeiten das „Londen Eye“ in Betrieb. Es war damals mit einer Höhe von 135 Metern das größte Riesenrad der Welt.

2006 Der „Singapore Flyer“ holte sich mit 165 Metern den Weltrekord sieben Jahre später.

2014 Aktuell steht das höchste Riesenrad der Welt, „The High Roller“ im amerikanischen Las Vegas. Höhe: 168 Meter.

2018 Noch in diesem Jahr soll mit dem Wheel in New York City mit 192 Metern Höhe der Weltrekord wieder gebrochen werden