Eberhard Müller wohnt am nördlichen Ortsrand von Staig-Altheim. Von seiner Terrasse aus könnte er den Waldrand sehen, wären da nicht die hohen Büsche. Über den Büschen baumeln die Kabel mehrerer Höchstspannungsleitungen, bündelweise hängen sie an Stahlgittermasten. Knapp 100 Meter sind es von Müllers Haus bis zur 380.000-Volt-Leitung der ENBW, nur 35 Meter bis zur Trasse des Netzbetreibers Amprion. An den Masten hängt, zu Müllers Haus hin, eine 220.000-Volt-Leitung, die Traversen auf der anderen Mastseite sind noch frei. Dort möchte Amprion einen Stromkreis mit 380.000 Volt installieren.
Der Abschnitt bei Altheim gehört zur 13 Kilometer langen Stromtrasse zwischen Senden-Wullenstetten und dem Umspannwerk in Dellmensingen. In dem Erbacher Teilort hat die Absicht des Übertragungsnetzbetreibers bereits zu Protesten und der Forderung nach Erdverkabelung geführt. Letzteres ist auch das Ziel von Erberhard und seinem Nachbarn Ludwig Ott, die deshalb eine Interessengemeinschaft gegründet haben.
Trasse soll weiter vom Ort weg
Die Stromkabel auf etwa eineinhalb Kilometern im Boden zu vergraben, würde reichen, schätzen die Initiatoren. „Wir alle brauchen Strom. Wir sind auch nicht gegen die Aufrüstung. Aber in einer solchen Nähe zu einer Wohnbebauung hat eine Höchstspannungsleitung nichts zu suchen“, sagt Müller. Daher auch die zweite Forderung: Die Amprion-Trasse weiter vom Ort abzurücken.
Die beiden Initiatoren sind überzeugt, die stärkeren Argumente zu haben. Ludwig Ott zitiert namhafte, vor allem englische Wissenschaftler. Demnach werden die Schwebeteilchen in der Luft durch den Elektrosmog aufgeladen, wodurch sie ins Lungengewebe eindringen können. Diese Gefahr bestehe nicht nur in unmittelbarer Nähe zur Stromtrasse, sondern in bis zu zwei Kilometern Entfernung. Es seien also nicht nur die Anwohner im Norden von Altheim betroffen, sondern ein Großteil der Gemeinde, mahnt Ott.
Ott ärgert sich
Was ihn ärgert, ist die Trägheit der Politik. Namhafte Wissenschaftler warnten seit Jahrzehnten vor Elektrosmog, doch die Politiker machten einen großen Bogen um das Thema. Ott nennt als Vergleich die Warnungen vor Asbest. Jahrelang sei die Gefahr abgewiegelt worden, bis der Beweis geliefert wurde. Wie viele Menschen deshalb sterben mussten, lasse sich nur vermuten. Eine solche Tragik dürfe sich nicht wiederholen, betont er: „Da tut man ewig dran rum. Dabei gibt es doch genügend Studien.“
Müller ärgert es, in einem Land mit einem grünen Ministerpräsidenten zu leben. In Bayern etwa würden größere Abstände zur Wohnbebauung gelten und würden regelmäßig Stromtrassen in die Erde verlegt. Zudem würden im Nachbarbundesland Leitungen des Übertragungsnetzes von den Orten weggerückt – nicht nur neue Trassen, sondern auch bei Nachrüstungen. So wie vor einigen Jahren die ENBW-Trasse bei Senden. „Wir werden Grün regiert, aber sind wohl Menschen zweiter Klasse“, schimpft Müller. Er hat an Ministerpräsident Winfried Kretschmann geschrieben, aber bis heute keine Antwort erhalten. Grünen-Landtagsabgeordneter Jürgen Filius habe jedoch einen Ortstermin versprochen.
Bei Bürgerinformation Stärke demonstrieren
Ott und Müller haben auf einem Flyer ihre Fragen und Argumente zusammengefasst und diesen an alle Staiger Haushalte verteilt. Sie hoffen auf viele Mitstreiter, um bei der Bürgerinformation von Amprion am kommenden Mittwoch Stärke zu demonstrieren und Antworten einzufordern. Müller gibt sich kämpferisch: „2008 waren wir bei der ENBW zu nachlässig. Diesmal wollen wir uns das nicht gefallen lassen.“
Auskunft im Gemeinderat und in Sprechstunden
Unterschriften: Seit Freitag liegen Listen der Interessengemeinschaft im Rathaus in Staig, im Supermarkt „Treff 3000“ sowie in der Bäckereifiliale und beim Metzger in Altheim aus. Ansprechpartner sind Eberhard Müller unter Tel. (0172) 737 01 01 und Ludwig Ott unter Tel. (0736) 2584.
Information Am Dienstag, 19. September, sind Vertreter des Netzbetreibers Amprion im Staiger Gemeinderat. Die öffentliche Sitzung beginnt um 19.30 Uhr. Am Mittwoch, 20. September, beantworten Vertreter des Unternehmens von 16 bis 20 Uhr im Bürgersaal in Staig Fragen. Am Donnerstag, 21. September, können in der Mehrzweckhalle in Dellmensingen ebenfalls von 16 bis 20 Uhr Fragen an Amprion gestellt werden.