Hänsle, wenn d‘aufhörsch, dann kriagsch a Fünferle.“ So stellt man sich den Start einer Musikerkarriere nicht vor. Aber diese Fünferle waren die ersten Gagen, die sich der damals fünfjährige Hans Grözinger mit seiner Blechtrommel verdiente. Bezahlt wurden sie von der Bäckersfrau in der Küfergasse. Jetzt ist Hans Grözinger 82 Jahre alt, hat sich nach Jahrzehnten als Musiker, in denen er fast jedes Wochenende als Schlagzeuger und Oboist aufgetreten ist, zurückgezogen.
Als Schlagzeuger hat er mit diversen Tanzcombos gearbeitet, aber auch im Orchester des Ulmer Theaters. Als Oboist war er ein gesuchter Solist – nicht nur in Liebhaberensembles, sondern auch im Theaterorchester, in dem er Ende der 50er Jahre als Aushilfe begann und bis in die die 80er Jahre hinein immer wieder spielte. „Als Friedrich Pleyer 1984 aufhörte, bin ich auch gegangen,“ sagt Grözinger, der den Wiener für den besten Operndirigenten hält, den das Ulmer Haus jemals hatte.
„Ich bin wahrscheinlich der einzige lebende Musiker, der noch im Orchestergraben des Alten Theaters saß“, vermutet Grözinger. Dabei hatte eigentlich nichts auf seine Orchesterlaufbahn hingedeutet. Als Kind lernte Grözinger Akkordeon, trat auch schon im Saalbau auf. Der wurde 1944 zerbombt, wie auch das Haus der Grözingers – samt Akkordeon. „Damals herrschte die pure Not, wir hatten gar nichts mehr“, erzählt der Musiker. An ein neues Akkordeon war also nicht zu denken. Hans orientierte sich um, buk kleinere Brötchen, kaufte sich eine Mundharmonika und gründete schon bald ein Trio, mit dem er auftrat. Die Hohner Chromonika von damals hat er heute noch, darauf gespielt hat er seit Jahrzehnten nicht mehr.
Mitte der 50er Jahre lernte seine Schwester ihren späteren Mann Paul Wörz kennen. Der spielte im Musikverein Söflingen Tuba und fragte seinen Schwager in spe, ob er auch ein Instrument könne. „Ich hab gesagt: Mundharmonika. Er hat gesagt: Das ist doch kein Instrument. Komm zu uns und lern‘ was G‘scheits.“ Das G‘scheite war erst mal das Schlagzeug. Erst danach kam noch die Oboe dazu.
Grözingers Lehrer war Fried Grabert, der Solo-Oboist des Theaterorchesters. Und der war es auch, der den jungen Musiker nach gerade mal drei Jahren Unterricht beim Theaterorchester einführte. „Für Carl Orffs ,Die Kluge‘ brauchten sie Ersatz für einen erkrankten Musiker. Fried Grabert traute mir das zu und empfahl mich.“ Und die Premiere der Oper war eine dreifache. Denn Grözinger saß nicht nur das erste Mal im Graben, es war auch seine erste Oper überhaupt, bei der er gleich mitspielte. „Orffs ,Die Kluge’ ist ja nicht so schwer, sonst hätte ich das auch gar nicht geschafft“, erinnert sich Grözinger. Nach der Premiere klopfte Dirigent Harald Görtz seiner 22-jährigen Aushilfe schmunzelnd auf die Schulter und sagte: „Das tun mir noch ein bisschen üben.“
Grözinger übte und wurde zur festen Aushilfe im Orchester – nicht nur als Oboist, sondern auch als Schlagzeuger mit teilweise hartem Körpereinsatz. Bei der Premiere von Puccinis „Turandot“ unter Dirigent Paul Angerer im Juni 1968 etwa brach Grözinger beim ersten Schlag aufs Tamtam der Schlägel ab. „Das war halt ein alter Gruscht“, schimpft der Musiker noch heute über das schadhafte Handwerkszeug des Theaters. Grözinger reagierte prompt, nahm die Faust und hämmerte damit weitere zwei Mal auf das riesige und schwere Becken. Danach gab’s viel Lob für seine Geistesgegenwart. „Die Hand hat mir aber ein paar Tage lang weh getan.“ Nicht die einzige Unbill im Alten Theater an der Wagnerschule: „Der Orchestergraben war viel zu klein. Wir Musiker passten da eigentlich gar nicht alle rein. Und die Luft war zum Schneiden.“
1969 zog Grözinger mit ins neue Haus am heutigen Karajanplatz und blieb ein Exot: „Ich konnte auch ein komplettes Drumset als Notist spielen, die anderen Schlagwerker nicht. Das war damals in der klassischen Ausbildung einfach nicht enthalten.“ Und in noch einem Ensemble nahm Grözinger eine Sonderstellung ein: in der Ulmer Knabenmusik, der heutigen Jungen Bläserphilharmonie. Da Oboisten anfänglich Mangelware waren, sprang Grözinger auch im Jugendorchester ein – als Erwachsener. „Ich bin also für alle Zeiten der älteste Knabenmusiker“, sagt er schmunzelnd.
Obwohl er immer auf professionellem Niveau spielte, dachte Grözinger nie daran, Berufsmusiker zu werden – auch weil ihm sein Lehrer Fried Grabert davon abgeraten hatte: „Bleib, was du bist, du verdienst in deinem Beruf gut. Da hast du deine Ruhe. Als Musiker bist du ständig auf dem Präsentierteller.“ Ein Rat, den Grözinger nur halb beherzigte. Er machte Karriere als Fachmann für Auto-Elektrik. Das mit der Ruhe nahm er dagegen nicht so ernst. Denn mehr als 50 Jahre lang war der älteste Knabenmusiker fast jedes Wochenende als Instrumentalist unterwegs.
Auch der Sohn ist als Musiker erfolgreich
Vererbung So viel musikalisches Talent vererbt sich: Hans Grözingers Sohn ist Jürgen Grözinger (54). Er ist ebenfalls Schlagzeuger, Initiator und künstlerischer Leiter des Festivals Neue Musik im Stadthaus und auch als Komponist erfolgreich: Beim jüngsten Schwörkonzert wurde etwa seine Komposition „Nacht und Morgen“ für zwei Chöre, Orchester, Percussion und Orgel uraufgeführt.