„Schreib uns bitte heute Abend eine halbe Stunde bevor du kommst eine WhatsApp-Nachricht, dann schicken wir dir den Standort.“ So lautet die Nachricht, die ich nach meiner Reservierung auf Facebook erhalte. Wie spannend! Zu viert werden wir an diesem Freitagabend Ulms angeblich erste Speakeasy-Bar besuchen. Auch Flüsterkneipe, Flüsterstube oder Mondscheinkneipe werden diese „verbotenen“ Locations in deutscher Übersetzung genannt.
Seit einigen Jahren liegen sie im Trend. Die Bars, die man suchen muss, deren Adresse nirgendwo steht, auch keine Telefonnummer, kein Mailkontakt, keine Homepage. In Ulm hat das „White Rabbit“ lediglich eine Facebook-Seite. Die Heimlichtuerei ist Absicht. Wer eine Speakeasy-Bar besucht, muss das wirklich wollen. Er soll nicht nur zufällig vorbeischauen.
Speakeasy-Konzept entstand während der Prohibition
Dieses Konzept entwickelte sich während der Prohibition in den USA. Zwischen 1919 und 1933 herrschte dort strenges Alkoholverbot. Da sich die Menschen aber trotzdem zum Trinken und Feiern treffen wollten, entstanden Flüsterkneipen oder auch „Blind pigs“. In den illegalen Treffpunkten mit den gut versteckten Eingängen floss der Whiskey in Strömen. Um nicht von der Polizei entdeckt zu werden, durfte an den meisten Orten nur leise gesprochen werden, daher der Name.
Einnahmequelle für Gangster wie Al Capone
In der Komödie „Manche mögen’s heiß“ mit Tony Curtis, Jack Lemmon und Marilyn Monroe arbeiten die beiden Hauptdarsteller am Anfang als Musiker in einer als Bestattungsinstitut getarnten Speakeasy-Bar, die dann von der Polizei geräumt wird. Die Geheimbars wurden im USA der goldenen Zwanzigern von kriminellen Banden geführt und waren lukrative Einnahmequelle für Gangster wie den berühmten Al Capone oder Dutch Schultz, den „Bierbaron der Bronx“. In New York City stieg die Zahl der Speakeasy-Bars von 1922 bis 1927 von rund 5000 auf 30.000. Um unentdeckt zu bleiben, hatten nur Mitglieder Zutritt. Neue Gäste wurden nur nach persönlicher Empfehlung akzeptiert.
White Rabbit in Ulm: Koordinaten werden verschickt
Zurück ins Heute: Von Berlin, Frankfurt und anderen Großstädten zog der Trend der Flüsterkneipen weiter nach Ulm. Bei der Reservierung wurde mir eine Handynummer mitgeteilt und der Hinweis: „Es ist wichtig, dass ihr euch an die vereinbarte Reservierungszeit haltet.“ Alles klar, wir werden uns von unserer pünktlichsten Seite zeigen! Um kurz vor acht starren wir erwartungsvoll aufs Handy. Werden wir gleich irgendwo weit weg vom Schuss hinfahren müssen? Haben alle ihr Rad da? Was ist das für eine Location – vielleicht ein Frisörsalon, eine Buchhandlung? Irgendein Geschäft, das abends umdekoriert wird? Punkt halb neun stehen wir dann vor dem GPS-Standort. Ums Eck. Leider gar nicht so ein außergewöhnlicher Ort wie erhofft. An dieser Stelle darf nicht verraten werden, wo. Sorry ...
Zwei weitere Besucher kommen gerade und wir grinsen uns verschwörerisch an. Die Scheiben sind mit schwarzen Tüchern von innen verhängt. Wir klopfen an der Tür. Jemand lugt heraus. „Kommt schnell rein!“ Wir sind kaum durch die Tür, da fällt sie hinter uns schon wieder ins Schloss. Das Ambiente ist ebenso ungewöhnlich wie die Umstände, unter denen wir hier gelandet sind. Die Einrichtung ist fantasievoll, wirkt fast surreal. Jazzmusik ertönt, ein paar Tische mit Kerzenständern auf dem Tisch. Der Gastgeber führt uns in den Abend ein, erklärt auf feierliche Art das Prozedere. Wir dürfen nur zwei Stunden bleiben, dann müssen wir wieder gehen. Und: Der Zufall wird gleich entscheiden, welche Art von Drink-Karte wir jeweils bekommen werden.
Cocktails und Drinks werden je nach Thema gemixt
Dann startet der Barkeeper damit, Kreationen zu mixen, die er thematisch passend für den Abend ausgetüftelt hat. Unter anderem mit einigen selbst hergestellten Essenzen. Die beiden neben uns scheinen ein Date zu haben. Gegenüber vier Freunde, wie es aussieht. Nochmal zwei Vierer-Tische – das war’s. Kein ständiges Kommen und Gehen, das ist angenehm. Darüber hinaus sind keine Fotos oder Videos erlaubt. Meine verheiratete Freundin hat den „Part-time-lover“ gewählt und muss sich nach der ersten Runde ein Wasser bestellen. Die andere versucht, zu erschmecken, was da in ihrem Glas ist. „Da muss Ingwer drin sein!“ Tatsächlich handelt es sich um Ingwerbier, Tequila und Zitronensaft. Die dritte Freundin und ich lernen vom Barkeeper, dass bei uns Kräuterlikör, Rosensirup und Cranberrysaft drin war. Wir bestellen uns eine zweite Runde und unterhalten uns versehentlich schon ein paar Dezibel lauter … Ups. Nach zwei Stunden müssen wir Platz machen. Vor der Tür stehen schon die nächsten Gäste. Sie mustern uns erwartungsvoll und irritiert. Wir kichern wissend – der Abend wird uns auf alle Fälle in Jahren noch als Gesprächsstoff dienen.
Dieser Artikel ist in Kooperation mit cityStories Ulm entstanden.