Es ist früh am Morgen, als sich drei Ehrenamtliche auf den Weg machen. Ihr Ziel ist eine große Wiese auf einer Gemarkung im Hohenlohekreis. Bis das Equipment startbereit ist, dauert es nicht lange: Korb, Markierungsfahne und Handschuhe werden bereitgelegt. Und natürlich das wichtigste Einsatzmittel: die Drohne mit Wärmebildkamera, die der Pilot umgehend nach einem genauen Plan über die Fläche fliegen lässt. Nach einiger Zeit bleibt sie in rund 40 Metern Höhe stehen. „Unter der Drohne liegt das Kitz“, macht der Pilot deutlich. Und die Helfer stapfen los, um das junge Reh vor dem Mähtod zu retten.
„Ein Rehkitz im hohen Gras zu finden, das ist sogar für die erfahrensten Helfer eine echte Herausforderung“, sagt Manfred Ültzhöfer. „Die Rehgeiß legt ihr Kind nicht nur in der Wiese ab, sie biegt die langen Grashalme sogar etwas darüber. Dadurch entsteht quasi ein kleines Dach“, erklärt er. Für einen Landwirt, der die Wiese mäht, ist das junge Wildtier nahezu unsichtbar. So fielen schon viele von ihnen den großen Maschinen zum Opfer. „Es gibt manche Dinge, die möchte man nicht gesehen haben“, berichtet Manfred Ültzhöfer. „Die Rettung der Rehkitze ist eine Herzensangelegenheit und wir möchten den Landwirten damit helfen, ihre Tierschutzpflichten zu erfüllen.“
Setzzeit der Rehe ist zwischen Mai und Juni
Seit vielen Jahren ist Manfred Ültzhöfer gemeinsam mit weiteren Ehrenamtlichen im Hohenlohekreis aktiv. Inzwischen hat das Kind einen Namen: Der Verein
Rehkitzrettung Hohenlohe wurde Mitte 2022 gegründet. Zwölf Drohnenpiloten und zahlreiche „Läufer“ des Vereins, dem Manfred Ültzhöfer vorsitzt, sind zwischen Mai und Juni im Einsatz. „Die Landwirte können uns bis 20 Uhr am Vortag Bescheid geben, dass sie mähen. Wir koordinieren dann die Personen und suchen die Wiese zwischen halb fünf und acht Uhr morgens ab“, erklärt Drohnenpilot und Schriftführer Stephan Czekay-Haasler.
Doch warum so früh? In dieser Zeit ist es noch kühl genug, um über die Wärmebildkamera einen Unterschied zu erkennen. „Das Rehkitz leuchtet regelrecht. Sobald sich der Boden erwärmt, können wir das Jungtier nicht mehr von einem kleinen Erdhügel unterscheiden.“ Und warum mit der Drohne? „Es ist die effizienteste Art – vorausgesetzt man hat die hochmoderne Technik inklusive Wärmebildkamera“, erläutert Stephan Czekay-Haasler. Rund 7000 Euro kostet so ein Gerät. Um das zu finanzieren, sind Sponsoren notwendig. Hinzu kommt, dass jeder Pilot einen Drohnenführerschein vorweisen muss.
Sobald bei der Vor-Ort-Suche ein Rehkitz entdeckt wird, lassen die Helfer es meist an Ort und Stelle und stülpen einen Korb darüber, den sie am Boden fixieren. „Das ist notwendig, damit die Mutter den Korb nicht umstößt und das Kitz womöglich woanders auf der Wiese ablegt“, erläutert Manfred Ültzhöfer. Außerdem markieren sie den Platz mit einer Fahne, damit der Landwirt Korb und Kitz vom Traktor aus bemerkt. Oder die Helfer nehmen das Rehkitz aus der Wiese heraus und fixieren es auf gleiche Weise an geeigneter Stelle. Das gehe aber nur in den ersten sieben bis acht Tagen nach der Geburt, so der Vereinsvorstand. Danach ist der Fluchtinstinkt schon so ausgeprägt, dass die Kleinen verschwinden, sobald Gefahr droht.
Die Suche nach einem zweiten Jungtier beginnt
„Ist ein kleines Kitz gesichert, schießt das Adrenalin erst richtig in die Höhe“, sagt Manfred Ültzhöfer und lacht. Denn Rehe haben häufig eine Mehrgeburt, sprich zwei Jungtiere. „Das liegt dann ebenfalls in 30 bis 40 Metern Umkreis ab und muss erstmal gefunden werden.“ Kein einfaches Unterfangen und der Drohnenpilot ergänzt: „Wir wollen hundertprozentig sicher sein, dass wir alle Kitze entdecken.“
Schließlich geht für einige Helfer nach der rund vierstündigen Suche am Morgen der Arbeitsalltag weiter. Stephan Czekay-Haasler ist froh, dass sein Arbeitgeber Verständnis für seinen Einsatz zeigt. „Es engagieren sich zudem viele Rentner bei uns, aber auch junge Menschen ab 16 Jahren. Und weitere Helfer sind jederzeit willkommen.“ Alleine 2022 ist die Rehkitzrettung Hohenlohe etwa 50 Mal angerufen worden. Tendenz steigend. „Das ist schön, weil wir so sehen, dass unsere Hilfe von den Landwirten angenommen wird und die Zusammenarbeit funktioniert.“
Die Informationsweitergabe gehört ebenfalls zu den Aufgaben der Rehkitzretter. „Viele besorgte Spaziergänger melden sich bei uns, wenn sie ein Kitz ganz alleine erspähen oder die Kiste mit unserem Logo darauf finden. Wir beruhigen dann und erklären: Die Rehgeiß ist immer in der Nähe. Wenn der Landwirt fertig ist mit der Mahd, entfernt er natürlich den Korb und die beiden können weiterziehen.“ Das Kitz einfach mitzunehmen oder unter der Kiste zu befreien, sei leider oftmals falsch verstandene Fürsorge. „Es läuft dann wieder schnurstracks an die Stelle, wo es die Mutter abgelegt hatte – und wird ziemlich sicher vom Mähwerk erwischt“, macht Stephan Czekay-Haasler deutlich.
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Mehr über die Rehkitzrettung
Bevor Wiesen und Felder mit der Drohne abgeflogen wurden, war folgendes Vorgehen üblich: Entweder haben zahlreiche Helfer den Abschnitt in einem Abstand von zwei Metern durchkämmt oder das Grundstück wurde bereits Tage im Voraus mit Lampen ausgeleuchtet, damit die Rehgeiß ihr Kitz dort nicht ablegen wollte. Wann gemäht wird, richtet sich aber nach dem Wetter und ist meist nicht lange planbar. Die hohe Flexibilität und Einsatzbereitschaft der ehrenamtlichen Rehkitzretter ist daher entscheidend, um so viele Rehkinder wie möglich zu schützen. Im gesamten Hohenlohe Trends-Verbreitungsgebiet gibt es einige Gruppen und Vereine, die sich darauf spezialisiert haben.