Es freut Karin Käppel, dass das Arbeitslosengeld II – besser bekannt als Hartz IV – und damit auch die Arbeit der Jobcenter derzeit im Fokus der Öffentlichkeit steht. Doch die Art und Weise, wie die aktuelle Diskussion geführt wird, missfällt der Chefin der Arbeitsagentur Schwäbisch Hall-Tauberbischofsheim: „Es geht nur um den Regelsatz und die Sanktionen. Das tut uns schon weh.“ Denn die Arbeit der vier Jobcenter im Agenturbezirk umfasse so vieles mehr – etwa intensive Beratung, Vermittlung nicht nur in Arbeitsverhältnisse, sondern auch in Weiterbildungsmaßnahmen, sowie Netzwerkarbeit mit verschiedenen Partnern. Angestoßen hat die Diskussion SPD-Partei- und Fraktionschefin Andrea Nahles. Sie hatte im November gefordert, Hartz IV durch ein Bürgergeld mit auskömmlichen Leistungen und weitgehend ohne Sanktionen zu ersetzen. Seit letzter Woche befasst sich sogar das Bundesverfassungsgericht mit der Frage, ob die Sanktionen verfassungskonform sind.

„Es geht nicht ganz ohne Sanktionen“

Das Thema schlägt also hohe Wellen. Ob die Sanktionen in ihrer derzeitigen Form gegen die Verfassung verstoßen, kann Karin Käppel natürlich nicht beantworten. Dass Kürzungen bei Leistungsempfängern, die mit ihrem Berater im Jobcenter unzureichend zusammenarbeiten, jedoch generell notwendig seien, ist für sie klar: „Ohne Möglichkeiten der Sanktionierung wird’s schwierig.“
Auch Edgar Oettig, Geschäftsführer des Jobcenters Hohenlohekreis, sagt: „Es wird nicht ganz ohne gehen“, fügt aber hinzu: „Sanktionen sind für uns immer das letzte, nicht das erste Mittel.“ Sanktionen würden nur gegen Leistungsempfänger verhängt, die aus mangelnder Motivation und trotz mehrmaliger Aufforderung nicht ausreichend mitwirkten. Zahlen für den Agenturbezirk geben Oettig Recht: 11.384 erwerbsfähige Menschen bezogen im August 2018 Hartz-IV-Leistungen. Im gleichen Monat wurden gerade einmal 370 Sanktionen verhängt – also nur bei 3,2 Prozent.
Drei Viertel aller Sanktionen entstehen durch Terminversäumnisse – trotz SMS-Erinnerung. Und so sieht Käppel beim Thema Sanktionen nur wenige Verbesserungsmöglichkeiten. Sie findet es etwa unangemessen, dass unter 25-Jährige härter bestraft werden als ältere Leistungsempfänger, und dass im Extremfall Unterkunftskosten gekürzt werden können: „Dann droht Wohnungslosigkeit, und die ist nicht unser Ziel.“
Zum Hartz-System an sich sagt sie: „Eine Abschaffung ohne vernünftige Alternative weckt aus unserer Sicht falsche Hoffnungen.“ Gleichwohl gebe es an einigen Stellen Reformbedarf – etwa bei der Bürokratie. So sei es sehr aufwendig, die Einkünfte der Leistungsempfänger monatlich neu zu berechnen, findet Oettig. Doch könnten die Leistungen inzwischen auf Basis einer Einkommensprognose für ein halbes Jahr vorläufig berechnet werden.
Bei 424 Euro zuzüglich Unterkunftskosten, Krankenversicherung, Mehrbedarf, etwa für Allein­erziehende, sowie Bedarf für Bildung und Teilhabe von Kindern und Jugendlichen liegt der Regelsatz für Alleinstehende seit 1. Januar. Ob diese Höhe angemessen ist, möchten Käppel und Oettig nicht bewerten. Käppel sagt nur: „Es gilt der Grundsatz: Arbeit muss sich lohnen. Aber die Höhe der Leistungen ist eine politische Frage.“ Oettig berichtet aus seiner Erfahrung als Jobcenter-Leiter: „Es gibt Menschen, die sagen: Das Geld reicht nicht. Für manche geht es um jeden Euro.“ Andererseits sei die Höhe der Leistungen nicht willkürlich festgelegt worden, sondern auf Basis von sozialwissenschaftlichen Erkenntnissen. Wichtig sei, den Regelsatz stetig an die Inflationsrate anzupassen. Doch das mache der Gesetzgeber bereits.
Reformbereit, ohne ein aus ihrer Sicht bewährtes System grundsätzlich in Frage zu stellen, zurückhaltend bei konkreten Vorschlägen – so präsentieren sich Käppel und Oettig. Käppel fasst zusammen: „Es geht nicht darum, das System umzukrempeln, aber Reformbedarf ist da.“

2,6

Prozent betrug die Arbeitslosenquote im Dezember 2018 im Agenturbezirk. Von den 8671 Arbeitslosen bezogen 4659 Arbeitslosengeld I und 4012 Arbeitslosengeld II.

Stark voneinander abweichende Positionen

Weit auseinander gehen die Meinungen zu Hartz IV und den verbundenen Sanktionen zwischen Arbeitgebern und Gewerkschaften in der Re­gion. Die Hartz-Reformen hätten sich bewährt, Hartz IV habe „zur Erhöhung der Beschäftigung auch von Langzeitarbeitslosen beigetragen“, ist Rolf Blaettner, Geschäftsführer der Südwestmetall-Bezirksgruppe Heilbronn/Region Franken, überzeugt.  DGB-Landesvorsitzender Martin Kunzmann, der die Anfrage unserer Zeitung stellvertretend für die Regionalvertretung beantwortet hat, spricht dagegen von einem „System, das Ängste auslöst und auf Repressionen aufgebaut ist“. Er sieht den Bedarf einer „Neugestaltung des Systems der sozialen Sicherung – hin zu einer ,Grundsicherung für Arbeitssuchende’“.
Auch Blaettner sieht „an der ein oder anderen Stelle Nachbesserungsbedarf“: Er wünscht sich weniger Bürokratie und die „Bündelung  von  sachbearbeitenden  Aufgaben  mehrerer  Jobcenter  in zentral bearbeitenden Einheiten“. Dann hätten die Mitarbeiter mehr Kapazitäten, ihre Kunden zu betreuen. Vor allem ist Blaettner gegen Abschläge oder Zuschläge an Eingliederungsmitteln nach dem sogenannten Problemdruckindikator: Dadurch würden gerade Jobcentern die Mittel gekürzt, welche die Zahl ihrer Leistungsempfänger verringert hätten. Kunzmann beklagt vor allem, dass die Hartz-IV-Sätze zu niedrig seien und 81 000 Beschäftigte im Land damit ihren Lebensunterhalt aufstocken müssten. Er fordert etwa einen höheren Mindestlohn sowie mehr tarifliche Bezahlung und Tarifbindung.
Die bestehenden Sanktionen – auch die härteren Strafen für unter 25-Jährige – findet Blaettner notwendig, um die Eigenverantwortung der Hartz-IV-Empfänger zu stärken. Für Kunzmann untergraben die bestehenden Sanktionen „das Recht auf ein menschenwürdiges Existenzminimum.“ Die Kürzungsschritte und die verschärften Strafen für unter 25-Jährige seien „nicht zu akzeptieren“.

Wie das Sanktionssystem bisher funktioniert

Drei Schritte sieht das bisherige System bei Pflichtverletzungen vor, also wenn ein Leistungsempfänger trotz vorheriger Rechtsfolgenbelehrung gegen Regelungen aus einer Eingliederungsvereinbarung verstößt und eine zumutbare Arbeit, Ausbildung oder Arbeitsgelegenheit ablehnt oder eine zumutbare Maßnahme nicht antritt oder abbricht.
Zunächst wird das
Arbeitslosengeld II um 30 Prozent des Regelbedarfs gekürzt. Bei wiederholter Pflichtverletzung innerhalb eines Jahres wird es um 60 Prozent des Regelbedarfs gemindert, beim dritten Mal entfällt es ganz, einschließlich Unterkunftskosten. Bei unter 25-Jährigen  entfällt bereits bei der ersten Pflichtverletzung der komplette Regelbedarf.