Kleinere Geständnisse hat der Vorsitzende Richter den Angeklagten mittlerweile aus dem Kreuz geleiert. Schutzbehauptungen, offenkundige Lügen geben sie zu. Eine Schlägerei mit „Faschos“ beispielsweise, auf die sich ein Chat beziehen sollte, hat es nicht gegeben. Wenn Roland Kleinschroth aber nachhakt und nach den Gründen für diese Lügen fragt, herrscht achselzuckendes Schweigen – die Angeklagten können sich nicht erklären.
Waffen und wüste Bilder werden gezeigt
Dabei steht außer Zweifel, was sie taten: Sie fuhren am Abend des 19. Januar zu sechst zum Kieselberg bei Gaildorf, und als sie dort wegfuhren, blieb einer liegen, lebensgefährlich verletzt, blutend aus acht Stichwunden und Schnitten am Mund. „Manieren beibringen“ nannten sie das, aber sie sagen es nicht vor der 1. Großen Jugendkammer am Landgericht Heilbronn. Dort sagen sie, das sei alles „Gelaber“ gewesen, Geschwätz, Angeberei, nicht so gemeint.
Am Tag vor der Tat bei einem Treffen auf dem Dachboden einer Haller Wohngemeinschaft, und auch in einem Chat ist vom „Manieren beibringen“ die Rede, es werden Waffen und wüste Bilder rumgezeigt, das Opfer soll verschleppt, „zur Not“ abgestochen werden. Und in der „Szene“ wurde gemunkelt, der 21-Jährige habe Drogengeschäfte verraten und solle bestraft werden. So kamen weitere Namen ans Licht, das Treffen auf dem Dachboden wurde aktenkundig und die Polizei lud die anderen Teilnehmer, die auch Mitwisser sein können, zur Einvernahme.
Am Mittwoch, dem siebten Verhandlungstag, glänzen sie zunächst durch Abwesenheit. Der erste Zeuge fehlt unentschuldigt. Oberstaatsanwalt Harald Freier verhängt ein Ordnungsgeld, Kleinschroth schaltet die Polizei ein. Eineinhalb Stunden später sitzt der 25-Jährige auf dem Zeugenstuhl und entschuldigt sich. Ein 26-Jähriger, der nach ihm aussagen soll, sitzt draußen. Die Polizei hat ihn gleich mitgebracht.
Eine 22-Jährige übermittelt dem Richter die Nachricht, sie könne ohne Betreuerin nicht fahren. Die Abholung durch die Polizei bleibt ihr erspart. Ihre Betreuerin, die nichts von der Ladung wusste, schmeißt ihre Termine über den Haufen und fährt die junge Frau nach Heilbronn.
Ein 21-Jähriger erscheint von selbst – um zuerst seine ehemalige Freundin zu entschuldigen, die ebenfalls geladen ist, sie leide unter Erbrechen und Durchfall. „Sind wir im Zirkus“, fragt Kleinschroth, „sehen Sie hier Clowns?“ Es ist bereits Nachmittag, eine Vertagung kommt wegen des „Aufklärungsrisikos“ aber nicht in Frage: die 19-Jährige könnte sich zwischenzeitlich mit den anderen abstimmen. Der polizeiliche Hol- und Bringdienst wird erneut in Bewegung gesetzt. Das Gerichtspersonal, die Sachverständigen und Anwälte müssen Überstunden machen. Freier verhängt ein weiteres Ordnungsgeld.
Rechnung von der Polizei für die Fahrt zum Gericht
Fahrtkosten werden in solchen Fällen übrigens nicht erstattet, im Gegenteil: die Zeugen erhalten für die Fahrt eine Rechnung von der Polizei und müssen gegebenenfalls auch noch für die Prozesskosten aufkommen, die sie verursacht haben. Wie sie nach Hause kommen, ist ihre Sache.
Es wird auch bei diesen Zeugenvernehmungen viel geschwiegen und ratlos geguckt, es zucken die Achseln und einer wird gar pampig. Wesentliches kann man nicht erinnern oder nicht erklären. Es ergibt sich aber, vor allem nach der Vernehmung der letzten Zeugin, ein Bild, eine zentrale Frage, die drückend über der Anklagebank hängen bleibt, als Kleinschroth die Verhandlung gegen 19 Uhr schließlich unterbricht: Haben die Angeklagten ihr Opfer absichtlich beruhigt und eingelullt, um es ins Auto zu locken und zur Bestrafung auf den Kieselberg zu fahren? Und auch die Zeugen verlassen den Saal mit einer schwer lastenden Hypothek: War ihnen das bewusst? Haben sie es gebilligt? Und: Warum haben sie nichts unternommen, um die Tat zu verhindern?
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22-Jähriger im Besitz von Kinderpornographie
Gewichtung Ein Verfahren wegen Kinderpornographie, das sich im Zusammenhang mit dem versuchten Mord am Kieselberg ergeben hat, ist von der Staatsanwaltschaft eingestellt worden. Das hat der Vorsitzende Richter Roland Kleinschroth am Mittwoch bekannt gegeben. Die kinder- und jugendpornographischen Bilder und Filme waren auf dem Handy des 22-Jährigen entdeckt worden, der zugestochen haben soll. Die Strafprozessordnung erlaubt eine Einstellung dann, wenn die zu erwartende Strafe nicht mehr ins Gewicht fällt. Und in diesem Fall, erklärt Oberstaatsanwalt Harald Freyer, der die Einstellung selbst nicht verfügt hat, „reden wir von lebenslänglich“. rif