Fast wie aus einer anderen Zeit: Die kleine Stadt Vellberg, elf Kilometer südöstlich von Schwäbisch Hall gelegen, thront stolz wie eine Festung über dem grünen Bühlertal. Umgeben von einer imposanten Stadtmauer mit Wehrgang befinden sich die liebevoll erhaltenen Fachwerkhäuser des „Städtles“, wie die Einheimischen ihre Altstadt gerne nennen.
Auf den ersten Blick wirkt der Ort wie eine mittelalterliche Kulisse aus Hollywood, so perfekt ist alles restauriert. Bei genauerem Hinsehen erkennt man jedoch schnell, dass hier das wahre Leben pulsiert. Denn Vellberg hat sich in den vergangenen 18 Jahren zu einem Geheimtipp der regionalen Kunstszene entwickelt.
Unter dem Motto „Kunst & Kulisse“ vereint die Stadt historisches Fachwerk mit modernen Freiluft-Ausstellungen. So können Besucher bei einem Spaziergang auf dem „Skulpturenweg“ zwölf verschiedene Bronzefiguren, Plastiken und monumentale Skulpturen rund um die Altstadt entdecken und genießen.
Straßengalerie in Vellberg von Juli bis Oktober
Ergänzt wird das Angebot durch eine temporäre, jährlich wechselnde Straßengalerie, welche von Juli bis Oktober stattfindet. Dafür kreieren regional ansässige Künstlerinnen und Künstler aus und um Vellberg wechselnde Kunstobjekte, jeweils zu einem bestimmten Thema.
Einer, der fast von Anfang an dabei ist, ist Werner Steinle. Seit 17 Jahren engagiert sich der pensionierte Realschullehrer sowohl als Künstler als auch als Kunstführer für die Straßengalerie. „Ursprünglich war die Aktion als einmalige Ausstellung zum Thema ‚Region im Wandel‘ geplant“, erzählt er, „aber die Resonanz war so schön, dass daraus Folge-Ausstellungen entstanden sind“. Eine der ersten Straßengalerien stand zum Beispiel unter dem Motto „Farbe im Wind“, wofür unter anderem viele bunte Fahnen im „Städtle“ aufgehängt wurden. „Das hat wunderbar duftig-luftig ausgesehen“, erinnert sich Werner.
Heute ist die Straßengalerie nicht mehr wegzudenken und fester Bestandteil des Vellberger Kulturprogramms. Eine bunte Gruppe an Künstlern wählt dafür jedes Jahr ein neues Thema, unter dem die Ausstellung stattfinden soll. „Überwiegend kommen unsere Künstler aus der Region, aber wir haben auch Teilnehmende aus Mannheim oder sogar aus der Schweiz“, erzählt Werner. Rund 70 unterschiedliche Kunstobjekte wurden im vergangenen Jahr für das Outdoor Event geschaffen – von Objekten, Skulpturen und Plastiken bis hin zu Malerei und Fotografie war alles dabei. Diese Vielfalt beeindruckt auch das Publikum, und so hat sich die Straßengalerie zu einem wichtigen Anziehungspunkt über die Stadtgrenzen hinaus entwickelt. Mehr als 20 Führungen hat Werner Steinle allein im vergangenen Jahr gegeben, insgesamt konnte die Straßengalerie über 18 000 Besucher anlocken.
In diesem Jahr steht die Freiluft-Ausstellung unter dem Motto „Im Fokus“, welche zum ersten Mal nach der Pandemie wieder mit einer großen Vernissage am 16. Juli eröffnet wird. Werner Steinle rechnet mit einem großen Besucherandrang: „Vor Corona hatten wir bis zu 400 Gäste bei unseren Eröffnungsfeiern.“
Das historische Vellberger Weinbrunnenfest
Dass die Vellberger gerne feiern, wird auch zu einem anderen Anlass deutlich: dem historischen Weinbrunnenfest. Immer am ersten Juli-Wochenende im Jahr wird dafür der alte Marktbrunnen aus dem Jahr 1720 zu einem „Weinbrunnen“ umfunktioniert: Statt Wasser fließt dann Württembergischer Rotwein durch die Schläuche und zieht Tausende Besucher aus der Region an. Ergänzend dazu bieten regionale Weingüter ihre Weine sowie deftig-herzhafte Speisen an.
Begleitet wird das Spektakel von den ortsansässigen Musik- und Tanzvereinen, die an beiden Festtagen ein buntes Rahmenprogramm für Klein und Groß auf die Beine stellen. Ein fester Bestandteil sind dabei die Vellberger Schlossfunken – eine junge Tanzgarde, die unter der engagierten Leitung von Karin Schneider in den vergangenen 15 Jahren jedes Jahr zum Weinbrunnenfest aufgetreten ist.
Die Vellberger Schlossfunken
Dafür trainierten die Mädchen im Alter von sechs bis zwölf Jahren einmal pro Woche für drei Stunden, um für den großen Auftritt bereit zu sein. „Die Mädchen waren immer mit Feuereifer dabei“, erzählt Karin Schneider, die ihr Amt aus gesundheitlichen Gründen mittlerweile niederlegen musste. Jedes Jahr zum Ende des Sommers hat sie sich eine neue Choreografie überlegt, die die Tänzerinnen dann bis zum Weinbrunnenfest im Juli einstudiert haben. „Ich habe die Arbeit mit den Kindern geliebt – das war ein großer Teil meines Lebens“, erinnert sie sich mit etwas Wehmut in der Stimme. Denn neben dem Auftritt am Weinbrunnenfest standen auch Vorführungen beim Haller Frühling oder der Wirtschaftsmesse in Ilshofen auf dem Programm. Umso mehr hofft sie, dass bald eine neue Trainerin für die Tanzgarde gefunden wird, damit die Tradition der Vellberger Schlossfunken auch im Jahr 2023 weitergeführt werden kann.
Aus dem Brunnen fließt Rotwein
Apropos Tradition: Seinen Ursprung hat das Weinbrunnenfest, welches seit 1968 jährlich stattfindet, bereits im Mittelalter. Es erinnert an die Einbringung des Weinzehnten, den die Vellberger Ritter im 15. und 16. Jahrhundert im Hohenloher Unterland innehatten. Die Idee, den Marktbrunnen zu einem Weinbrunnen umzufunktionieren, entstand 1966 dabei eher aus Spaß und ist auf eine Wette zwischen dem damaligen Bürgermeister Hermann Frank und dem Schlossermeister Karl Bezler zurückzuführen. Bezler wettete, dass er durch eine extra verlegte Leitung Rotwein statt Wasser aus dem Brunnen fließen lassen könne. Gesagt, getan – und die Idee des Weinbrunnens war geboren.
Ob Fachwerkliebe, moderne Freiluft-Kunst, traditionelle Vereine oder ein guter Tropfen Wein: „Unser Städtle ist wirklich ein Kleinod“, schwärmt Werner Steinle. Das große Engagement der Vellberger Bürger für ihren Heimatort bekräftigt diese Verbundenheit und macht deutlich, dass alte und neue Bräuche sich wirklich wunderbar ergänzen können. Besonders in den Sommermonaten lohnt sich daher ein Besuch in Vellberg, um die Stadt einmal kennenzulernen.
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What the Fact
Landkreis: Schwäbisch Hall
Einwohner: rund 4600
Typisch Vellberg: Stadtmauer, Fachwerk, Freiluft-Kunst und Wein
Feiern? Ja, gern!
Eröffnung der Straßengalerie, Weinbrunnenfest, Christkindlesmarkt, Trödelmarkt, Mittelaltermarkt uvm.
Kurios!
Im Sommer 2015 wurde bei Ausgrabungen in Vellberg-Eschenau die älteste Schildkröte der Welt entdeckt.
Perfekter Selfie-Hotspot:
Der Landschaftsbilderrahmen an der Schönblickstraße.