Das Aufgebot war schon beachtlich: drei Staatssekretäre, vier Abgeordnete sowie mit Sven Hantel, der Konzernbevollmächtigte der Deutschen Bahn AG für das Land Baden-Württemberg. Dazu eine Reihe von Mitarbeitern aus dem Landesverkehrsministerium und der Nahverkehrsgesellschaft Baden-Württemberg – alle waren nach Oberrot zur Sitzung des Murrtal-Verkehrsverbandes gekommen. Um die Aufnahme der Murrbahn in den vordringlichen Bedarf des Bundesverkehrswegeplan (BVWP) sollte es gehen. Und die Erwartungen waren groß. Doch am Ende dürften sich die Vertreter der Kommunen entlang der Strecke von Stuttgart nach Crailsheim wohl an das auf den römischen Dichter Horaz zurückgehende Zitat erinnert haben: „Es kreißen die Berge, zur Welt kommt nur ein lächerliches Mäuschen.“
Zwar dürfte auch der Verkehrsverbandsvorsitzende, Landrat Gerhard Bauer, kaum mit einer verbindlichen Aussage zum BVWP gerechnet haben, mit einer deutlichen Unterstützung bei diesem Vorhaben aber wohl schon. Zumal von Fachleuten stets angeführt werde, dass der „zweigleisige Ausbau der Murrbahn unerlässlich ist.“ Doch auch die Unterstützung blieb aus. Ebenso blieb weiter im Dunkeln, auf welcher Basis das externe Planungsbüro in seinem Gutachten zu der Erkenntnis kam: Die Murrbahn ist nicht überbelastet. Es braucht keinen zweigleisigen Ausbau. Allerdings lasse sich die kürzeste Fahrtzeit zwischen Stuttgart und Nürnberg mit dem Einsatz von Neigetechnikzügen über die Murrbahn erzielen.
Steffen Bilger, Parlamentarischer Staatssekretär im Bundesverkehrsministerium, wollte das Gutachten nicht kommentieren. Ein Ausbau für Neigetechnikzüge stehe unter dem Aspekt der Wirtschaftlichkeit. Diese Frage soll bis Herbst geklärt sein. Da werde das Ministerium eine Empfehlung an den Verkehrsausschuss des Bundestages abgeben.
Kein Interesse an Neigetechnik
Sven Hantel von der DB machte aber deutlich, dass sein Unternehmen an dieser Art von Zügen kein Interesse hat, ebenso die Schweizer Bundesbahnen. Grund dafür dürfte der Cisalpino sein. Nach vielen Pannen wurde dieser zwischen Stuttgart und Singen verkehrende Zug mit Neigetechnik (Cisalpino Pendolino) 2006 von der Schiene genommen. Von der DB ist demnach kein Fernverkehrsangebot mit Neigetechnikzügen zu erwarten.
Auch das Land winkte ab: Beate Schuler vom Verkehrsministerium machte deutlich, dass es „nicht Sache des Landes ist, den Fernverkehr zu forcieren“. Es sei der Bund, der die Neigetechnik mit der Murrbahn im BVWP verknüpft habe. „Und der Bund hält daran fest.“ Staatssekretär Bilger merkte an, dass es dazu Gespräche mit Verkehrsminister Winfried Hermann gebe. Davon zeigte sich Schuler wenig beeindruckt: „Nahverkehr braucht keine Neigetechnik.“
Die Bahn will die Neigetechnik nicht, ebenso wenig das Land – eine Diskussion um Kaisers Bart? Norbert Barthle, Bilgers Vorgänger, rückte das Thema Neigetechnik in ein anderes Licht: Es sei nicht selbstverständlich, dass die Murrbahn im BVWP sei. „Die Neigetechnik ist der Hebel dazu.“ Wenn diese Technik nicht komme, bleibe nur der konventionelle Ausbau.
Dabei sei bei der Beurteilung aber nicht der aus dem Nahverkehr heraus entstehende Bedarf entscheidend, so Hantel von der DB. Vielmehr rücke der Fernverkehr in den Blick. Und da geht auf der Murrbahn, abgesehen von umgeleiteten Intercityzügen, nichts. Eine Änderung ist auch nicht zu erwarten. Die Verlängerung der IC-Linie von Zürich nach Stuttgart über die Murrbahn nach Nürnberg ist vom Tisch. Diese sollte im Zwei-Stundentakt auch Haltestellen des Regionalverkehrs bedienen – wie es jetzt auf der Gäubahn Stuttgart-Singen praktiziert wird. Mit der Vergabe des Regionalverkehrs Stuttgart-Nürnberg an die Go-Ahead Verkehrsgesellschaft bis 2032 sei ein Fernverkehr über die Murrbahn kein Thema mehr, machte der DB-Konzernbevollmächtigte deutlich. Zwischen Stuttgart und Nürnberg gebe es ein IC-Angebot über die Remsbahn, das für die DB durch die großen Städte wie Aalen und Schwäbisch Gmünd zusätzliche Anreize bietet. Ein ausreichendes Fahrgastpotential für ein Fernverkehrsangebot über die Murrbahn sieht Hantel nicht.
Harald Ebner, Bundestagsabgeordneter der Grünen, hätte gerne das angesprochene Gutachten gesehen. Doch trotz der hochkarätigen Besetzung dieser Versammlung konnte oder wollte niemand detaillierte Auskünfte geben. „Es kursiert die Behauptung, dass der Bau eines zweiten Gleises gar nicht Gegenstand der Untersuchung war.“ Fraglich sei zudem, ob der Güterverkehr eingeflossen sei. Laut Ebner würde ein zweigleisiger Ausbau der Murrbahn eine Fahrzeitverkürzung von bis zu 20 Minuten bringen.
Der Haller OB Hermann-Josef Pelgrim hob ebenfalls darauf ab. Eine ausgebaute Murrbahn, die zudem 13 Kilometer kürzer ist als die Remsbahn, würde die Reisezeit auf der Relation Stuttgart-Berlin/Prag deutlich verkürzen.
Doch Bilger ging auf diese Punkte gar nicht ein – was auch ein Signal war. Es gebe eine Prüfung, ob ein Ausbau des Schienenkorridors Stuttgart-Nürnberg aus wirtschaftlichen Gründen sinnvoll ist. Dann werde die Entscheidung getroffen, ob die Murrbahn oder die Remsbahn im BVWP steht. Ohne den „Hebel“ Neigetechnik und ohne für den BVWP förderlichen Fernverkehr verbreitete die Aussage nicht unbedingt Optimismus.
Stufenplan als Alternative
Angesichts dieser bestenfalls verfahrenen Situation gewinnt der Vorschlag des Stuttgarter Staatssekretärs Wilfried Klenk an Bedeutung, für die Murrbahn einen Stufenplan aufzustellen – als eine Alternative zur drohenden Ausbootung aus dem BVWP. Zu diesem Plan gehört für Klenk auch der abschnittsweise Bau eines zweiten Gleises. Er erinnerte daran, dass die Planungen für einen zweiten Schienenstrang zwischen Oppenweiler und Sulzbach/Murr schon weit vorgeschritten waren. Zur Finanzierung schlug er das GVFG-Bundesprogramm vor. Womit der Schlüssel für das zweite Gleis dann nicht mehr beim Bund liegen würde, sondern bei der Landesregierung in Stuttgart.
Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz Bund
Das GVFG-Bundesprogramm fördert den Bau von Verkehrswegen sowie Eisenbahnen des öffentlichen Personennahverkehrs in Verdichtungsräumen, deren Kosten bei mehr als 50 Millionen Euro liegen. Das Programm wurde im September 2015 um mindestens weitere 15 Jahre verlängert.
Von Jahr zu Jahr entscheidet das Bundesverkehrsministerium nach den Meldungen der Länder (entsprechend des jeweiligen Baufortschritts) über die Verteilung.
60 Prozent der Kosten übernimmt der Bund, Land und Vorhabenträger je 20 Prozent.
Rund 333 Millionen Euro stellt der Bund im Rahmen dieses Programms für alle Länder pro Jahr zur Verfügung. Eine Länderquote gibt es nicht. Festgelegt ist lediglich, dass 75,8 Prozent der Mittel für die alten und 24,2 Prozent für die neuen Länder verwendet werden müssen. Quelle: NVBW