Die Schulen sind zu. Und trotzdem sind Sie noch am Arbeiten.

Christa Lilienfein: Ja, es ist gerade ziemlich ruhig hier. Momentan sind nur noch unsere Sekretärin und unsere Bundesfreiwilligendienstleistende im Gebäude. Letztere schreibt momentan einen Zeitungsbericht über unsere Dorfputzete, damit auch mal wieder über was anderes zu lesen ist als über Corona. Die Kinder fehlen uns sehr. Präsenzpflicht habe ich weiterhin. Es gibt im Hintergrund viel zu organisieren in Sachen Notfallbetreuung, Absprachen oder für die Ausgabe von Materialien. Es ist außerdem eine gute Möglichkeit, liegen gebliebene Dinge zu erledigen und das Büro auszumisten. Alle anderen Lehrkräfte, wir sind ja nicht viele, arbeiten von zu Hause aus.

Viele nennen die Schließung der Schulen bis Mitte April „Corona-Ferien“. Sie auch?

Nein, auf gar keinen Fall. Als Ferien kann man dieses Schulexperiment nicht verkaufen. Es ist ja nicht so, dass die Kinder nichts machen müssten. Es gibt Wochenpläne für die Schüler. Allerdings löst jede Lehrerin diese Situation individuell. Da gibt es keine festen Vorgaben.

Kam denn der Beschluss für Sie überraschend?

Ja und nein. Wir haben ebenso wie alle anderen Menschen auf die Pressekonferenz vergangenen Freitag gewartet. Doch schon die ganze Woche überschlugen sich die Nachrichten. Deshalb haben wir den Kindern bereits vorab alle Bücher und Arbeitshefte mit nach Hause gegeben. Wir hatten sogar krankheitsbedingt – ganz normale Erkältungen – in Absprache mit dem Staatlichen Schulamt Künzelsau bereits am Montag zu.

Lilienfein betont: Schulschließungen sind keine „Corona-Ferien“

Wie war denn die letzte Schulwoche für Sie?

Vergangene Woche haben wir mit allen das Händewaschen geübt. Es hatte auch seine lustigen Seiten. Denn wir haben beigebracht, dass es zwei Durchläufe des Lieds „Happy Birthday“ dauern müsse. Da hat es überall im Haus geträllert, das war auch irgendwie nett. Doch in Gesprächskreisen kam heraus, dass die Kinder auch Ängste haben.

Wie würden Sie Kinder über das Virus und seine Folgen aufklären?

Wir haben in der vergangenen Woche gemerkt, dass manche Schüler total verunsichert waren. Sie können mit den Zahlen von Toten oder Erkrankten nichts anfangen. Sie haben keinen Weitblick, sondern eine hilflose Angst. Auch davor, dass Papa, Mama oder die Großeltern sterben. Ich würde einige Informationen eher von ihnen fernhalten und mit ihnen über die soziale Isolation und notwendige Hygiene sprechen. So halte ich es auch bei meinem neunjährigen Sohn, der gerne mal Zeitung liest. Ich nehme da durchaus einzelne Seiten heraus, um ihn nicht noch mehr zu beunruhigen.

„Happy Birthday to you“ singen währen des Händewaschens

Wieso nicht „noch mehr beunruhigen“?

Nun, die Kinder sind doch total aus ihrem Alltag gerissen. Sie können weder ihre sportlichen oder gesellschaftlichen Hobbys noch Musikstunden machen. Sollen keine Freunde mehr treffen, dürfen nicht zur Schule und müssen doch etwas tun. Die Eltern sind mit Sicherheit ebenfalls beunruhigt, vielleicht zusätzlich auch durch wirtschaftliche Sorgen. Sie arbeiten oft von daheim aus und sind eh in einem großen Zwiespalt als Bezugsperson, Arbeitskraft – sie müssen ja trotzdem etwas leisten – und zusätzlich sollen sie als Pädagogen einspringen für ihre Kindergarten- wie Schulkinder.

Notbetreuung für systemrelevante Berufsgruppen

Aber es gibt ja auch eine Notbetreuung, oder?

Ja, jedoch nur für bestimmte systemrelevante Berufsgruppen in Medizin, Pflege, Lebensmittelbranche oder so. Wir hatten in den Notfallgruppen eigentlich sogar mit viel mehr Kindern gerechnet. Momentan gibt es nur jeweils zwei in den Grundschulen Kreuzäcker und Breiteich. Es wird auch überlegt, an den Wochenenden Betreuungen anzubieten.

Was oder wie arbeiten Lehrer denn zurzeit?

Für die Notbetreuung werden zunächst nur diejenigen eingeteilt, die unter 60, nicht schwanger und nicht alleinerziehend sind, zudem keine kleinen Kinder oder Familienmitglieder im gleichen Haushalt über 70 haben. Sobald ein Coronafall auftritt, muss das Team ausgewechselt werden. Weiterhin betreuen alle ihre Schüler aus der Ferne und stellen die Wochenaufgaben.

Haben Sie gehört, wie andere Eltern die Kinderbetreuung in den Doppelrollen Verdiener und Lehrer lösen?

Sie teilen sich die Zeiten auf und arbeiten in Schichten oder nachts. Es ist für alle schwierig.

Wie halten Sie das momentan selbst als Eltern und Familie?

Wir haben einerseits mehr Zeit, weil alle Freizeitgestaltungen von uns und den Kindern wegfallen. Aber es gibt auch mehr Isolation, eine Enge daheim und neue Pflichten wie das Unterrichten und Arbeiten zu Hause. Ich selbst gehe werktags weiterhin um 7.30 Uhr aus dem Haus und bin wenigstens bis 13 Uhr in der Schule. Da mein Mann selbstständig von zu Hause aus arbeitet, kann er unseren jüngsten Sohn vormittags betreuen.

Schulaufgaben sind so gestellt, dass Kinder selbstständig arbeiten können

Obwohl er gleichzeitig arbeitet, klappt das?

Die Aufgaben, die von der Schule mitgegeben wurden, sind idealerweise so gestellt, dass die Kinder sie selbstständig bearbeiten. Unser Sohn hat zwar ein reichhaltiges Lernpaket, doch da stehen auch längerfristige Sachen drin wie Häkeln lernen, Kresse säen oder Nudeln kochen.

Worauf verzichten Sie derzeit?

Unsere große Familienmischpoke wollte sich eigentlich über Ostern treffen. Darauf hatten wir uns alle gefreut. Daraus wird natürlich nichts.

Wie kommt man am besten über den Tag mit Schulkindern daheim?

Man kann basteln, da gibt es tolle Ideen, für die man nichts kaufen muss. Im Frühling ruft auch der Garten, wenn man einen hat. Etwas Handwerkliches macht die Kinder stolz. Viele Bücher miteinander zu lesen ist gut. Selbst wenn die Büchereien und Läden momentan zu haben, sind doch sicher die Regale gefüllt. Weiterhin könnte man gemeinsam Musik machen. Schön ist, wenn die Kinder in Aktion kommen, eigene Spiele erfinden. Machen Sie was, zu dem man sonst nicht so kommt – wie in die Natur gehen oder Brett- und Kartenspiele.

Coronakrise: Basteln und Gartenarbeit als Zeitvertreib

Wie wird man als Eltern überhaupt zu Lehrern?

Das ist echt schwierig, weil man ja zu den Kindern eine andere Beziehung hat. Deshalb wäre es am besten, wenn die Kinder alles alleine lösen könnten. Hausaufgaben sind ja auch sonst schon ein eher schwieriges Thema daheim, das zu Frust und Streit führt. Beim Homeschooling sollten die Eltern sich möglichst herausnehmen. Wir Lehrer sind weiterhin erreichbar, auch bei Problemen.

Was ist das Ziel der Aufgaben daheim?

Zumindest für die Grundschulkinder kann ich sagen: Wir wollen, dass alle in Übung bleiben. Sie müssen nicht eigenständig im Lernstoff weiterkommen. Ich unterrichte ja Mathematik und habe mir schon ausgerechnet, dass wir trotz der Schulschließung bis 19. April gut durchkommen. Eltern sollten die Aufgaben korrigieren und auch das Loben nicht vergessen. Feedback braucht jeder.

Könnte es sein, dass nach dem Home­schooling die Schüler schlauer sind als vorher?

(lacht) Ich hoffe doch! Man kann uns Lehrer vielleicht nicht ganz daheim ersetzen, dafür aber andere wertvolle Dinge lehren. Gerade im Haushalt und Garten gibt es viel, was man als Kind neu lernen kann.

Was sollte man tun, bevor das Zuhause zur Schulhölle wird?

Am besten, Sie wandeln die negative Energie in Bewegung um. Gehen Sie raus, powern Sie die Kinder aus, solange es geht. Nehmen Sie Kontakt zu den Lehrern auf, gern telefonisch. Geben Sie uns Rückmeldung, wenn es nicht läuft, und nehmen Sie sich zunächst zurück. Wir kennen jedes Kind und wissen, wie es arbeitet. Sicher kann man da auch aus der Ferne „eingreifen“.

Homeschooling: Lilienfein rät, den normalen Schul-Rhythmus beizubehalten

Wie sollte man die Tage gestalten?

Am besten behält man den alten Rhythmus weitgehend bei. Die Kinder sind momentan echt anders drauf, das haben wir schon in der letzten Schulwoche bemerkt. Sie sind angespannt, streiten mehr und lachen weniger. Nun sind ihre sozialen Kontakte total eingeschränkt. Planen Sie jeden Tag grob durch. Nach dem Aufstehen gibt es Schularbeiten, dann Pause, wieder Schularbeiten, Mittagessen, Pause, Spielzeit, Instrument oder so. Später geht es ganz normal ins Bett. Das gibt allen Halt, Sicherheit und Struktur. Haben Sie Verständnis, wenn es mal nicht so klappt.

Sollte man auch Pausen einplanen?

Ja unbedingt. Idealerweise ähnlich wie zu Schulzeiten. Dann gibt es ein gesundes Vesper.

Wird es später Tests geben?

Nein! Zwar wurde die Zahl der Klassenarbeiten bisher noch nicht reduziert, doch wir haben noch genügend Zeit, um zu Noten zu kommen.

Geht es wirklich nach Ostern weiter?

Ich glaube das schon, aber ich kann ja auch nicht in die Zukunft schauen.

Patchworkfamilie mit sechs Kindern

Christa Lilienfein wurde 1969 in Böblingen geboren. Sie ist verheiratet, wohnt in Schwäbisch Hall und hat durch die Patchworkehe sechs Kinder zwischen neun und 31 Jahren. Nach dem Referendariat in Oberschwaben unterrichtete sie 15 Jahre in Sulzdorf. Seit Ende 2016 ist Lilienfein Leiterin der Grundschule Bibersfeld. may