Drei, zwei, eins, Absprung! 4000 Meter über der Erdoberfläche stürzen sich sechs Menschen aus einem kleinen gelben Propeller-Flugzeug. Rund zwei Sekunden hält das flaue Gefühl im Magen an. Nach nur zehn Sekunden ist die „Reisegeschwindigkeit“ erreicht. Mit mehr als 220 Kilometern pro Stunde nähern sich die Fallschirmspringer dem Boden. Etwa 50 Sekunden lang dauert der freie Fall an. „Näher kommt man dem Gefühl nicht, wie ein Vogel fliegen zu können“, ist sich Christian Scheuermann, zweiter Vorstand des Para-Clubs Hall, sicher. „Ich freue mich jedes Mal, wenn ich aus dem Flieger rausfallen darf und bin genauso traurig, dass das Fliegen vorbei ist, wenn der Schirm aufgeht.“
1000 Meter über der Erde ziehen die Extremsportler dann die Reißleine. Der Fallschirm öffnet sich und sie gleiten gemächlich hinab. Gegen den Wind landen sie mal sachter, mal weniger gefühlvoll auf der Landewiese in Schwäbisch Hall. Nur um – sofern Wetter und vor allem Windstärke es zulassen – am selben Tag noch zwei, drei weitere Male aus dem Flugzeug zu springen. Von Ostern bis Oktober geht die aktive Saison des Vereins, der sein gesamtes Equipment sowie die Maschine, eine Cessna TU 206, in einem Hangar am Flugplatz Weckrieden untergebracht hat. Dorthin kommen auch diejenigen, die sich für die Accelerated-Freefall-Ausbildung (AFF) entschieden haben, also quasi eine Lizenz erwerben wollen, um den Extremsport ausüben zu dürfen.
Fünf Jahre ist es her, seit Steffi Zott genau diese Ausbildung begonnen hat. Die „Einstiegsdroge“ in den Sport war bei ihr, wie auch bei Vereinskollege Alexander Tietz, ein Tandem-Sprung. „Mein Adrenalin-Spiegel ging durch die Decke, als ich in dem kleinen Flieger saß. Aber bei so einem Tandem hat man noch keine Ahnung, wie das Ganze funktioniert und verlässt sich voll und ganz auf den Tandem-Partner“, erklärt Steffi. „Ich hatte den Spaß meines Lebens – trotz Höhenangst.“ Die 35-Jährige wusste nach diesem ersten Sprung genau: „Das will ich öfter erleben!“ Mehr als 150 Mal hat sie inzwischen dieses Erlebnis wiederholt. Zwischen dem Entschluss, die Skydiver-Lizenz zu erwerben, und dem ersten freien Fall ohne ausgebildeten Tandem-Partner liegt vor allem eines: anderthalb Tage Theorie pauken.
Das primäre Lernziel: „Wenn man nachts geweckt wird, muss man die einzelnen Schritte runterrattern können“, macht Steffi deutlich. Denn sobald der erste Ausbildungssprung ansteht, müsse das perfekt sitzen, selbst wenn Adrenalin und Endorphin übersprudeln. „Man ist dann für sich und sein Leben selbst verantwortlich und muss quasi alles eigenständig ausführen können – vom Auslösen des Fallschirms bis hin zur Landung.“
Doch einfach so alleine aus dem Flugzeug hüpfen, dürfen die „Lehrlinge“ natürlich nicht. „Bei den ersten drei Ausbildungssprüngen sind zwei Lehrer pro Schüler dabei. Ab dem vierten dann nur noch einer“, erklärt Christian, der ebenfalls ausbilden darf. Sie helfen dabei, die vorgegebene Körperhaltung einzunehmen, stabilisieren also den Körper so in der Luft, dass die Hüfte den Schwerpunkt bildet und der Schüler nicht ins Straucheln gerät. Außerdem können sie über einen Knopf im Ohr Anweisungen geben. „Wir Lehrer steuern sie dann an den Boden, geben Hilfestellungen beim Bremsen und sorgen dafür, dass sie meistens im abgesteckten Bereich auf der Landewiese sicher landen“, so Christian.
Sechs Einsteigerlevel-Sprünge sind zunächst zu absolvieren. Der Siebte ist dann ein Prüfungssprung. Wer den Test besteht, erreicht den „Free-Solo-Status“. „Doch damit ist die AFF-Ausbildung noch nicht abgeschlossen. Insgesamt beinhaltet sie 25 Sprünge.“ Ab dem Achten erhalten die Einsteiger jedes Mal einen Auftrag, den sie in der Luft ausführen müssen. „Die sind komplett individuell und richten sich immer danach, was dem Schüler schwerfällt, wie etwa die Höhenabschätzung beim Landen oder das Stabilisieren des Körpers“, erläutert Christian. Manch einer habe sich schon ständig um sämtliche Achsen gedreht. „Aber auch das haben wir ihm in den 16 Sprüngen bis zur Lizenzreife ausgetrieben. Wir müssen bis dahin sicherstellen, dass er oder sie sich nicht umbringt.“
Zwei Prüfungssprünge und eine schriftliche Abfrage trennen die Fallschirm­springer in Ausbildung noch von der weltweit gültigen Skydiver-Lizenz. Dabei müssen sie einmal aus großer Höhe, also rund 4000 Metern, abspringen und einmal in niederer Höhe bei nur 1200 Metern über Grund. „Das ist für Freifall-Springer ungewohnt, da eigentlich kein freier Fall möglich ist. Nach wenigen Sekunden muss der Schirm schon geöffnet werden“, erklärt der Routinier, der schon knapp 30 Jahre in diesem Sport aktiv ist.
Ein Jahr hat die Ausbildung bei Steffi gedauert. Je nachdem, wann man in der Saison startet und wie auch die Wetterverhältnisse sind, kann es auch etwas länger dauern. Alex brauchte deshalb circa eineinhalb Jahre. Seit 2016 stürzt er sich nun aus Flugzeugen auf der ganzen Welt. Etwa 560 Sprünge sind es inzwischen insgesamt. Neben dem Erlebnis, über dem Lake Taupo in Neuseeland zu fallen, war ein Fallschirmsprung in San Diego, USA, sein Highlight. „Das war direkt an der Grenze zu Tijuana, Mexiko. Wir haben bereits auf 3000 Metern die Reißleine gezogen und sind dann eine gefühlte Ewigkeit in Richtung Boden geglitten, während jemand mit einem Wingsuit unseren Weg gekreuzt hat“, erzählt der 31-Jährige. Gefährlich war es vor allem aus diesen Gründen: „In unmittelbarer Nähe zur Landezone befand sich ein Hochsicherheitsgefängnis, in dem wir auf keinen Fall landen durften, sowie der mexikanische Luftraum.“ Beim Eindringen in diese Gebiete hätte es brenzlig werden können.
Wer als Außenstehender ans Fallschirmspringen denkt, hat meist noch ganz andere Gefahren im Kopf: einen Fallschirm, der sich nicht öffnet zum Beispiel. „Das ist aber nahezu unmöglich, da die Ausrüstung akribisch gecheckt wird – es hängt ja im wahrsten Sinne des Wortes unser Leben daran“, so Christian. Und Jonathan Sing, erster Vorstand vom Para-Club Hall, ergänzt: „Es gibt natürlich Situationen, die nicht unbedingt nach Plan laufen. Manchmal springt man etwa nicht am optimalen Punkt ab, weil der Pilot nicht die ideale Route fliegen konnte. Dann muss man schon schauen, dass man überhaupt den Landepunkt erwischt.“ Einmal sei er deshalb auch schon ungewollt im Wasser gelandet. „Trocken war das Equipment aber wieder schnell: Ich bin einfach noch zweimal abgesprungen“, berichtet Jonathan schmunzelnd.
Ganz genau 1243 Sprünge hat der 28-Jährige Anfang Juli auf dem Tacho. Gepackt hat ihn die Leidenschaft zum Extremsport, noch bevor er überhaupt das erste Mal gesprungen ist. „Ich hab die Haller Skydiver von meiner Terrasse aus in Steinbach beob­achtet.“ Ihm sei nicht bewusst gewesen, dass man diesen Sport vor seiner Haustüre ausüben könne. „Ich habe mich gleich zur Ausbildung angemeldet – das ist zwar unüblich, aber geht natürlich auch.“

Equipment auf Reisen im Gepäck

Durch seinen Job als Servicemonteur im Außendienst ist Jonathan rund um den Globus im Einsatz. „Den Fallschirm habe ich immer dabei.“ So kam es auch, dass er 2019 in Rio de Janeiro, Brasilien, erstmals aus einem Helikopter springen konnte. „Über Kontakte in Social Media habe ich das irgendwie organisiert bekommen.“ Die Landezone war dabei nicht irgendwo, sondern genau an einem der berühmtesten Strände der Welt. „Pünktlich zum Sonnenaufgang sind wir auf der Copacabana gelandet.“ So eine Chance ergebe sich kein zweites Mal im Leben, sind sich alle vier Fallschirmspringer einig. „Kein Wunder, kennt jeder im Verein mittlerweile die Story“, sagt Steffi lachend. Und Christian fügt an: „Das ist auch ein Highlight. Aber ganz egal ob Hohenlohe, San Diego oder Rio, das Gefühl vom Fliegen, was für viele den eigentlichen Kick ausmacht, das ist überall gleich und macht definitiv süchtig.“
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Das Fallschirmspringen im Verein

1969 wurde der Para-Club Hall gegründet, um den Fallschirmsport zu fördern. Zunächst dem Militär vorbehalten, entwickelte sich in den 80er-Jahren eine extreme Freizeitbeschäftigung für Privatleute daraus. Aus den acht Idealisten in Hall – teilweise ehemalige Fallschirmjäger der Bundeswehr – ist heuer ein Verein mit etwa 70 Mitgliedern geworden.
Diese Ausrüstung braucht es
Wer regelmäßig aktiv ist, legt sich meist eigene Ausrüstung zu, also unter anderem Helm, Gurtzeug, Fallschirm, Reserveschirm und Messer. Sofern die Bedingungen passen, treffen sich die Mitglieder am Wochenende, um gemeinsam zu springen. Für jeden Sprung müssen die Skydiver eine Gebühr zahlen.
Immer wieder setzen sich die Extremsportler dabei neue Ziele, wie zum Beispiel bestimmte Formationen, die sie zuvor am Boden üben. Hat einer der Skydiver ein Jubiläum, etwa den 100. Sprung, bekommt er von den Kumpanen eine besondere Aufgabe gestellt. „Essen in der Luft, ist dafür sehr beliebt“, berichtet Jonathan Sing, Erster Vorstand, und lacht. gra