Sattgelb, mit roten Bäckchen oder so sauer-grün, dass Kenner schon vor dem ersten Bissen unwillkürlich das Gesicht verziehen müssen. Mit der Sonne des Spätsommers reifen auf den Streuobstwiesen die Äpfel der unterschiedlichsten Sorten heran. Gemeinsam mit Birnen, Quitten und Zwetschgen bringen sie die bunten Farbtupfer des Herbsts in die Baumkronen. Und nach der Ernte auch in unsere Gläser: Saft oder Most aus dem eigenen Streuobst steht bei vielen hoch im Kurs. „Wobei der Most oft einen ganz eigenen, sauer-bitteren Geschmack hat“, erklärt Manuel Betz. „Das schmeckt nicht jedem.“
Vor einigen Jahren hatten er und seine beiden älteren Brüder Wolfgang und Andreas die Idee, den eigenen Apfelsaft zu veredeln, um Cider herzustellen. „Cidre, wie der schaumige Apfelwein in Frankreich heißt, habe ich bei einem Urlaub mit meinen Eltern in der Bretagne zum ersten Mal getrunken. Da hab ich mich gefragt: Warum ist so etwas Gutes und Elegantes aus Äpfeln eigentlich in Deutschland so unbekannt? Wir haben ja immerhin Unmengen an Streuobstwiesen!“ Die Lektüre eines Sachbuchs über die Weinherstellung später, setzte Manuel den Saft von den eigenen Apfelbäumen an, um einige Wochen später den eigenen Cider kosten zu können. „Der war auf Anhieb gut. Wenn dem nicht so gewesen wäre, hätten wir vermutlich nicht so passioniert weitergemacht“, sagt Manuel und lacht. Denn aus der anfänglichen Idee, das besondere Getränk nur für den Eigenverzehr herzustellen, ist inzwischen etwas Größeres geworden.
Cider mitten aus Crailsheim
Unter dem Namen „Betzi Cidergeil“ vertreiben die Crailsheimer Brüder, deren Eltern selbst immer im Nahrungsmittelbereich tätig waren, das Trend-Getränk. „Der Bezug in die Branche war also schon da – auch wenn wir beruflich alle drei weit davon entfernt sind“, berichtet der 30-Jährige. Und der Name? „Damit wollen wir auffallen und unser junges, modernes Produkt unterstreichen – und vielleicht auch ein bisschen auf den deutschen Most anspielen, der leider nicht immer so geil ist“, erläutert Manuel schmunzelnd.
Der Profitgedanke treibt Manuel und das Betzi-Team bei der Herstellung aber nach wie vor nicht an. Vielmehr die Lust darauf, durch verschiedene Komponenten „etwas Tolles aus dem heimischen Streuobstsaft zu produzieren, das ohne Aromen auskommt, natürlich und sogar vegan ist“. Mit der Veredelung experimentiere er obendrein stetig weiter. „Spezielle Hefen, verschiedene Mikroorganismen oder eine andere Temperaturführung machen jeweils einen großen Unterschied.“ Die Fassreife ist dementsprechend auch immer unterschiedlich lang und reicht von drei Wochen bis hin zu vier Monaten. 1000 Liter werden üblicherweise gleichzeitig angesetzt. „Das ist von der Menge her gut händelbar für uns, da wir ja auch alle Flaschen von Hand abfüllen und mitten in der Crailsheimer Innenstadt produzieren und lagern.“
Doch woher bekommen die Betz-Brüder den ganzen Saft? „Die Äpfel kommen aus der Region und werden von uns und unseren Helfern größtenteils handgesammelt. Danach bringen wir sie zur Mosterei nach Frankenhardt-Sandhof, um den Saft zu pressen und zu pasteurisieren.“ Der Erhalt der Streuobstwiesen liegt Manuel sehr am Herzen. „Das war auch ein weiterer Grund für ‚Cidergeil‘ – wir wollen zeigen, was mit Streuobst möglich ist. Vielleicht gibt es ja Hohenloher, die selbst mal ihren eigenen Cider ansetzen wollen. Denjenigen stehen wir jederzeit mit Rat zur Seite“, macht er neugierig. Denn: „Bäume, die wegen fehlender Pflege vergreisen und Obst, das am Boden verfault, ist leider viel zu oft der Fall, vor allem auf städtischen Flächen“, so Manuel. „Warum also nicht mal Neues mit dem Streuobstsaft ausprobieren?“
Die Mostpresse in der Scheune
„Wer einmal den Saft aus dem eigenen Streuobst getrunken hat oder bei der Herstellung dabei war, der wird es meist wieder machen“, ist sich auch Christian Rauscher sicher. Auf dem eigenen Hof in Wolpertshausen-Reinsberg betreibt er mit seiner Familie nebenher die Mosterei „Hofsaft“. „Ich stamme ursprünglich aus Lörrach. Dort war ich als Kind immer bei meinen Großeltern dabei, wenn sie in einer kleinen Mosterei Saft und Most haben pressen lassen. Das war ein Highlight für mich“, erzählt Christian. Daran erinnerte er sich auch, als er mit seiner Frau die Althofstelle der Schwiegereltern übernahm: „Der Platz war da, also besorgten wir uns eine eigene Presse und legten los.“ Zunächst nur für den Eigenverzehr gedacht, also rund 300 Liter pro Jahr, kamen bald immer mehr Nachbarn vorbei, um das selbst geerntete Streuobst in Saft verarbeiten zu lassen. „Die Mundpropaganda führte dazu, dass wir irgendwann erst unsere bestehende Presse erweiterten und später einen größeren Pasteur kauften“, berichtet der 46-Jährige. Fast jedes Jahr läuft nun die Hofsaft-Produktion. „Freitags bringen die Leute ihr Obst vorbei, sonntags holen sie den fertigen Saft ab.“ Live dabei zu sein, ist bei Rauschers eher unüblich. „Wir machen alles in Eigenleistung am Wochenende. Damit das Pressen in unseren Familienalltag mit unseren zwei Kindern passt, organisieren wir das so“, erklärt Christian, der Agrarwirtschaft studiert hat.
Neben Äpfeln aller Sorten landen immer häufiger auch Birnen in der Mostpresse. „Die sorgen später im Saft für die nötige Säure und einen besseren Geschmack – das haben viele wieder für sich entdeckt.“ Besonders Hartgesottene, zumindest was die Säure betrifft, lassen zudem ihre Quitten zum reinen Saft verarbeiten. „Daraus machen sie dann teilweise literweise Gelee“, berichtet Christian. „Eine Dame schwört außerdem darauf, jeden Morgen auf nüchternen Magen ein Schnapsglas Quittensaft zu trinken“, sagt er und muss sich beim Gedanken daran prompt schütteln.
Mit jedem Jahr, welches Rauschers die Mosterei betreiben, kommt auch Erfahrung dazu. Inzwischen gibt Christian schon mal Hinweise, wie der Saft besser werden könnte oder sortiert, wenn nötig Birnen und Co. aus, sobald sie nicht die richtige Qualität aufweisen. „Die Hygiene ist uns besonders wichtig, denn die Leute sollen den Streuobstsaft ja später auch genießen können.“ Und er fügt schmunzelnd an: „Der Ursprung von gescheitem Saft ist halt einfach gescheites Obst.“
Und damit das Obst „gescheit“ wachsen und gedeihen kann, dafür sorgt Marlene Schönbein mit ihrem Fachwissen. Die 33-Jährige ist Fachwartin beim Obst- und Gartenbauverein Kocher/Jagst (OGV) und gibt regelmäßig Baumschnittkurse. Doch wie kam sie dazu? „Meine Liebe zum Streuobst habe ich vor sechs oder sieben Jahren entdeckt. Da habe ich angefangen, mich um die Bäume meiner Familie zu kümmern und stand erstmal vor der Frage: Was muss ich eigentlich beachten?“ Daraufhin habe sie selbst einen Schnittkurs besucht. „Und schwupps bin ich reingerutscht beim OGV – und will auch nicht mehr raus“, sagt Marlene lächelnd. Zehn bis fünfzehn Kurse bietet der Verein jährlich im gesamten Hohenlohekreis an. Nachdem Corona das Angebot für zwei Jahre ausgebremst hatte, soll es künftig wieder richtig losgehen. „Die Kurse sind immer gut besucht. Das freut mich, denn wenn ich durch die Region fahre, sehe ich viele Bäume, die beruhigt werden müssten.“
Beruhigend für Mensch und Baum
Den Baum beruhigen, das sei das Ziel jedes Beschnitt, erklärt die Klepsauerin. „Beim Schnitt gibt es nie ein total richtig, aber dafür ein ganz falsch! Der größte Fehler etwa ist ein Radikalschnitt. Viele denken, es wäre gut für den Baum, wenn man ihn richtig ‚saubermache‘, aber das stimmt nicht.“ Dies führe nur zu sehr vielen Wasserschossen, also Ästen, die anfangs keine Früchte tragen und den Baum nur Energie kosten. „Besser ist es, weniger zu schneiden, um das Gleichgewicht zwischen Wurzel und Baumkrone zu erhalten. Die sollten nämlich größentechnisch immer ähnlich sein.“ Regelmäßig, aber zurückhaltend – so werden Bäume ideal gepflegt. „Dann reicht es auch, nur alle zwei bis drei Jahre Messer oder Säge anzusetzen.“
Mit diesem Wissen hat es Marlene geschafft, die rund 80 eigenen Obstbäume auf Vordermann zu bringen. Mittlerweile macht ihr die Streuobstwiese, die sie neben ihrem Bürojob und dem eigenen landwirtschaftlichen Betrieb mit ihrem Mann beackert, deshalb nicht mehr so viel Arbeit: „Einmal im Jahr mähe ich – das dann erst recht spät, da so eine Wiese mit ihren Blumen und Gräsern auch ein toller und wichtiger Lebensraum für Insekten aber auch Hasen, Greifvögel oder Rebhühner ist.“ Den Schnitt fährt sie weg, damit die Artenvielfalt auch im darauffolgenden Jahr Platz zum Sprießen hat. Für die Ernte im September und Oktober benötigen Schönbeins rund zwei Wochen. „Da ist dann schon mal kurzzeitig mehr zu tun, aber wir bekommen dadurch ja auch super Erzeugnisse“, so Marlene. Den Großteil ihrer Äpfel und Birnen, die sogar Bio-zertifiziert sind, gibt sie bei den Lagerhäusern vor Ort ab. In der Mosterei in Dörzbach-Messbach lässt die junge Familie manchmal auch Saft pressen. „Und ganz hoch im Kurs steht aktuell bei uns der Trockenautomat – unser zweijähriger Sohn liebt selbstgemachte Apfelchips.“
So schön die Arbeit auf der Streuobstwiese für Marlene sein mag, kann sie dennoch nachvollziehen, dass viele dafür keine Zeit und Muße mehr haben. „Aber kümmern heißt eben nicht nur ernten, sondern auch pflegen“, betont die Fachwartin. Der Trend gehe ihr zufolge aber besonders auch seit der Pandemie in die andere Richtung: „Wir vom OGV beobachten, dass sich immer mehr Menschen für die Streuobsternte und alles was dazugehört interessieren – es meldeten sich zum Beispiel auch viele junge Leute mit Anfang zwanzig zum aktuellen Fachwart-Lehrgang an. Das ist eine schöne Entwicklung. Hoffentlich hält sie lange an!“
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Mehr über die vielfältigen Apfelsorten
Boskop, Goldparmäne oder doch der Öhringer Blutstreifling? Bei den Streuobsttagen am 29. und 30. Oktober in Kupferzell, die vom OGV Kocher/Jagst mitgestaltet werden, sind zwei Experten vor Ort, die Apfel- und Birnensorten bestimmen. Jeder, der möchte, darf mit seinen Prachtexemplaren vorbeikommen. Die Sorten werden anschließend in einer regionalen Datenbank für alte Obstsorten katalogisiert. Abgerundet wird das Event unter anderem mit einer Sortenausstellung und viel Fachwissen rund um die Obstbaumwiesen. Mehr zum Verein unter
www.ogv-kocher-jagst.de.