Für drei Jahre hat Michael Skibbe bei Borussia Dortmund als U-19-Trainer unterschrieben. Der ehemalige Bundestrainer unter Teamchef Rudi Völler und Bundesliga-Coach spricht über den Stand des deutschen Jugendfußballs und warum ihn ein Engagement in der Bundesliga nicht mehr reizt.

Herr Skibbe, Sie sind in Gelsenkirchen geboren und trainieren jetzt wieder Dortmund. Ist das nicht gesetzlich verboten im Ruhrpott?

Michael Skibbe: Nein, das geht schon (lächelt). Aber es ist nicht frei von einer kleinen Belastung. Ich habe das als Profi-Trainer des BVB gemerkt. Da waren die Fans anfangs gar nicht so freundlich zu mir, weil ich ja ein „Schalker“ war. Sie wollten von mir hören, dass ich nur Borusse bin, aber meine Herkunft ist eben Schalke. Ich habe beide Vereine im Herzen. Das hilft natürlich nicht, wenn man das einem Borussen-Fan sagt, andersherum wäre es aber unehrlich.

Sind Sie zum ersten Mal in Schwäbisch Hall?

Ja, nicht nur beim Bundesliga-Cup, sondern auch generell in der Stadt. Und ich bin beeindruckt, wie schön es hier ist.

Mit Sicherheit haben Sie sich über den Bundesliga-Cup im Vorfeld erkundigt ...

Ja, meine Assistenztrainer und Physios waren vor zwei Jahren schon hier. Sie haben sich auch alle sehr wohlgefühlt und mir positiv darüber berichtet. Sie haben mir gesagt, dass das Turnier sehr gut organisiert ist und wir in einem schönen, kleinen Stadion spielen. Und die sportliche Konkurrenz ist groß, das sieht man ja schon an den Namen der Teilnehmer.

Mit Giovanni Reyna und Immanuel Pherai sind gerade zwei Ihrer Spieler mit den Dortmunder Profis im Trainingslager in den USA unterwegs. Wie eng ist Ihr Kontakt zum Cheftrainer der Profis, Lucien Favre?

Unser Verhältnis ist schon deshalb gut, weil wir uns Jahrzehnte kennen. Als ich in der Bundesliga für Leverkusen gearbeitet habe, war er bei Hertha BSC und als ich in Frankfurt war, war er in Gladbach. Wir hatten schon immer ein sehr kollegiales Verhältnis und das hilft natürlich jetzt bei meiner neuen Tätigkeit. Vergangene Woche haben wir uns getroffen und zehn Minuten geplaudert. Das Gespräch ist dann ganz vorbehaltlos, wie wenn man sich eben schon lange kennt.

Mit Youssoufa Moukoko spielt jetzt ein noch 14-Jähriger in Ihrer U-19-Mannschaft. In der abgelaufenen B-Jugend-Saison hat er 50 Tore geschossen. Für viele gilt er jetzt schon als Wunderkind und kommender Superstar. Wie geht er mit dem Rummel um seine Person um?

Mit einer erstaunlichen Leichtigkeit. Er ist ein pfiffiger und lustiger Kerl, zudem ist er wissbegierig. Im Moment kann er den Rummel leicht verkraften, weil er sehr erfolgreich spielt. Dann wird man schnell gehypt. Wichtig wird es für ihn, damit umzugehen, wenn es mal nicht so läuft. Insbesondere die Medien schwenken dann auch schnell mal um. Das wird eine andere Herausforderung für ihn, aber auf die werden wir ihn auch vorbereiten.

Aus dem Jugendbereich kommen in der Bundesliga später nur ein paar Prozent an. Was macht da den Unterschied aus, um es ganz nach oben zu schaffen?

Das ist eine Kombination aus vielen Dingen. Talent ist natürlich eine wichtige Voraussetzung. Aber auch Durchsetzungsvermögen ist wahnsinnig wichtig. Die physische und psychische Stabilität muss gegeben sein. Außerdem muss man für die jeweilige Spielposition die treffenden Eigenschaften mitbringen. Wenn man diese Dinge miteinander verbinden kann, hat man gute Chancen, es vom Jugendbereich zu den Profis zu schaffen. Ich denke, dass es sogar sehr viele schaffen, mit Fußball dauerhaft ihr Geld zu verdienen, wenn man die erste, zweite und dritte Liga betrachtet. Es erfüllt sich natürlich nicht für jeden die große Profi-Karriere bei Borussia Dortmund, nicht jeder wird Marco Reus oder Mario Götze, aber der Weg lohnt sich für die Jungs trotzdem.

Sie bestreiten rund 30 Jugend-Bundesligaspiele, dazu kommt der DFB-Pokal und für den BVB noch die UEFA Youth League und die schulischen Verpflichtungen. Mutet man den Jungs da nicht zu viel zu?

Man mutet ihnen viel zu, auf jeden Fall. Aber auch da sind wir als Trainer und Verein gefragt, eine gute Belastungssteuerung für die Spieler zu erreichen. Viele in dem jungen Jahrgang machen dann ihr Abitur oder Fachabitur. In meiner Mannschaft habe ich jetzt sechs Spieler, die nicht mehr zur Schule gehen und sich auf Fußball konzentrieren können. Alle anderen machen dieses oder nächstes Jahr ihren Schulabschluss. Gerade die Spiele in der Youth League sind kräftezehrend und zeitaufwendig. Bei einer Auswärtsreise fliegt man zum Teil Dienstagmorgen los und kommt Donnerstagabend heim. Da gehen dann wieder schnell drei Schultage flöten. Das ist schon eine große Doppelbelastung. Die sportliche Belastung lässt sich in den Nachwuchsleistungszentren der Bundesliga-­Clubs gut steuern. Im Schnitt ­sollte ein Jugendspieler bei der großen Anzahl an Partien dann nicht mehr als zwei Drittel machen.

Wie sehen Sie generell den Leistungsstand des deutschen Junioren-Fußballs?

Wir sind international gut aufgestellt, weil wir gute Strukturen haben. Ich habe drei Jahre als griechischer Nationaltrainer gearbeitet und dort versucht, Strukturen im Nachwuchsbereich zu verändern. Aber das ist enorm schwierig, wenn die Basis und die finanziellen Möglichkeiten nicht da sind, um Dinge dauerhaft umzusetzen. In Deutschland können wir uns mit den Besten in Europa und der Welt messen. Ich war kürzlich bei der U-21-EM, da hat die deutsche Mannschaft eine prima Leistung gezeigt, obwohl Spieler wie Leroy Sané, Kai Havertz, Serge Gnabry oder Timo Werner gar nicht dabei waren. Im Bereich zwischen 18 und 23 Jahren sind wir enorm gut aufgestellt. Andererseits ist es richtig, dass wir mit der U 19 und der U 17 keinen Erfolg hatten, aber das passiert anderen Nationen auch.

Wie kann der deutsche Jugendfußball weiter konkurrenzfähig bleiben?

Man muss offen für Neues sein und schauen, was andere Nationen so machen, zum Beispiel bei der Trainingsgestaltung. Was genau die Unterschiede im Moment sind, kann ich gar nicht sagen, weil ich zuletzt eine Weile lang nicht im Jugendbereich tätig war. Aber als ich mich von 2000 bis 2005 beim DFB als Nachwuchskoordinator damit beschäftigt habe, haben wir die Nachwuchsleistungszentren, die Jugend-Bundesligen und das deutschlandweite Stützpunkt-Projekt angeschoben. Das war unter anderem das Ergebnis davon, dass ich unsere Jugend-Nationaltrainer auf Reisen geschickt habe, um andere Nationen zu besuchen. Uli Stielike zum Beispiel war in Spanien und Portugal. Er sollte schauen: Wie wird dort ausgebildet? Wann holen sie die Spieler aus kleineren Vereinen zu den großen Clubs? Wie häufig wird trainiert? Wo sind die Trainingsschwerpunkte? Und ich spreche nicht von den 17-, 18-, 19-Jährigen, das ist europaweit Standard, das kann jeder. Aber was passiert im unteren Nachwuchsbereich? Ich meine, dass dies wieder gemacht werden sollte.

Was waren Ihre Beweggründe, mit Ihrem Renommee und Ihrer Vita wieder eine Jugendmannschaft zu übernehmen?

Es ist eine große Leidenschaft von mir. Ich habe früher wahnsinnig gerne Jugendmannschaften trainiert. Und ich hatte damals schon nie das Ziel, irgendwo hinkommen zu müssen. Nach 20 Jahren im Profi-Bereich war es jetzt sehr interessant, wieder das machen zu können, was mir damals viel Spaß gemacht hat.

Reizt Sie die Bundesliga der Herren gar nicht mehr?

Aktuell nicht. Ich habe vier Vereine in der Bundesliga trainiert. Ich habe Erfahrungen gemacht, die toll waren und in Berlin zum Beispiel war es ein totales Desaster. Ich habe alles erlebt und muss es jetzt nicht noch einmal haben. Das, was ich jetzt mache, habe ich mir immer gewünscht, noch einmal zu machen.

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Steckbrief Michael Skibbe

Geburtstag: 4. August 1965
Geburtsort: Gelsenkirchen
Wohnort: Düsseldorf
Familienstand: verheiratet
Beruf: Fußballtrainer
Hobbys: Sport allgemein, Reisen,
Politik
Bisherige Stationen: unter anderem Jugendtrainer FC Schalke und ­Borussia Dortmund, Bundesliga-Trainer bei Borussia Dortmund (1998–2000), Co-Trainer deutsche Nationalmannschaft (2000–2004), Nachwuchskoordinator beim DFB (2004–2005), Bayer Leverkusen (2005–2008), Galatasaray Istanbul (2008–2009) Eintracht Frankfurt (2009–2011), Hertha BSC (nur 5 Spiele), Grasshoppers Zürich (2013–2015), Nationaltrainer Griechenland (2015–2018), seit Juli 2019 U-19-Trainer bei Dortmund
Größte sportliche Erfolge: Vizeweltmeister 2002 als Co-Trainer, rund 500 Spiele im Profi-Bereich gecoacht