Wer Godehard Joppich als Vortragenden, Singenden oder Lehrenden erleben kann, der spürt, dass hier einer die wichtigsten Quellen der geistlichen Musik angezapft und für uns alle erschlossen hat. So gesehen hat die Würdigung, die ihm heute widerfährt, kaum einen Geeigneteren finden können. Denn sein jahrzehntelanges Wirken betrifft die Kirchenmusik in ihrem Kern“, brachte es Kirchenmusikdirektor Professor Dr. Stefan Klöckner (kleines Foto) in seiner Laudatio vergangene Woche in der Augustinerkirche von Schwäbisch Gmünd auf den Punkt. Denn dort erhielt Godehard Joppich nun den Preis der Europäischen Kirchenmusik.
Professor Dr. Godehard Joppich hatte die erste hauptamtliche Professur für Gregorianik und Liturgik in Deutschland inne und wirkte außerdem 20 Jahre lang als Kantor in der Benediktinerabtei Münsterschwarzach. Der 85-Jährige konnte wegen seines Gesundheitszustandes und dem Tod seiner Ehefrau wenige Tage zuvor der Ehrung nicht beiwohnen. Den Preis nahm sein ehemals engster Mitarbeiter Pater Rhabanus Erbacher aus Münsterschwarzach aus den Händen von Bürgermeister Julius Mihm entgegen.
Was Joppich entging, war das Festkonzert des estnischen Kammerchores „Vox clamantis“ unter der Leitung von Jaan-Eik Tulve. Vielleicht wäre einem, der laut Klöckner ganz im Sinne des zweiten Vatikanischen Konzils „die Tradition von innen her reformierte und revolutionierte“, das Zusammenwirken von Frauen- und Männerstimmen mit Elektronik ein wenig zu revolutionär erschienen. Doch es lenkte nicht von der meditativen, verinnerlichten Grundhaltung des gregorianischen Chorals ab. Ungewohnt waren natürlich die Wechsel zwischen Frauen- und Männerstimmen – da sonst in der Gregorianik entweder nur Frauen oder nur Männer zu hören sind – in den Antiphonen und Psalmen zu Beginn des Konzerts. Zunächst wurde hinter dem Publikum gesungen, während die Zuhörer von vorn mit elektronischen Zuspielungen konfrontiert wurden.
Aus dem Klangwabern, bisweilen leicht am Esoterischen kratzend, schälten sich mehr und mehr Klaviertöne heraus, die stark als Kontrast zu den schweifenden Gesangsphrasen wirkten. Versöhnlicher wirkten später Marimbafon-Klänge. Nach dem Singen des 110. und 111. Psalms kamen „Vox clamantis“ zu „Archangele Michael“ singend nach vorn in den Chorraum der Kirche.
Wunderbares Aufleuchten
Dort erklangen weitere gregorianische Gesänge wie das Alleluia „Laetatus sum“, mit Hingabe gesungen, oder der Tractus „Domine, exaudi“. Letzterer wurde von drei Männerstimmen intoniert, wieder mit elektronischen, von Eliann, Jakob und Nathan Tulve gesteuerten Zuspielungen zwischen Psaltertönen und Plattengeknister. Dieselben drei Männerstimmen waren zuvor in John Dunstables Motette „Quam pulchra es“ zu hören, die, innig gesungen, ebenfalls ins Meditative zu reichen schien.
Dunstables „Descendi in ortum meum“ klang leicht euphorisiert, mit wunderbarem Aufleuchten zu „et inspicerem si floruissent vineae“ (zu schauen, ob der Weinstock blühte), gefolgt von stimmlichem Aufblühen am Ende der Motette.
Vorausgegangen war Gilles Binchois’ „Amours mercy“: sinnlich, hingebungsvoll und ausdrucksstark gesungen. Neben den im Verlauf der Komposition zunehmend süßlich-verzückten Tönen von Helena Tulves erstmals in Deutschland aufgeführtem „You and I“ auf Worte des Sufis Rumi und Arvo Pärts mit großer Intensität wiedergegebenem „Da pacem, Domine“ gehörte dies zu den Höhepunkten des Konzerts.
Dagegen erschienen die Heiligenlitanei, zu der der Chor das Publikum umkreiste, oder das gregorianische Alleluia „In omnem terra“ als neutralisierende Momente des In-sich-Gehens. Am Ende gab es für den wundervollen gesanglichen Vortrag vom Publikum sehr lang anhaltenden Beifall.
Info Der Mitschnitt des Konzerts wird am Samstag, 4. August, auf SWR 2 in der Sendung „Geistliche Musik“ ausgestrahlt. Diese beginnt um 19.05 Uhr.