Acht Monate hat sich Claudia R. um das Kind gekümmert. In ihrem Schlafzimmern haben ihr Mann und sie das Bett für das Kleinkind liebevoll eingerichtet, Windeln und Kleider zum Wechseln liegen immer bereit. Dabei war das Kind nicht ihr leibliches. „Aber in der Zeit, in der das Pflegekind bei uns ist, ist es wie ein eigenes“, sagt Claudia R. „Man nimmt das Kind bei sich auf: im Haus, in der Familie, im Herzen.“
Claudia R., ihr Ehemann und ihre vier Töchter sind eine Bereitschaftspflegefamilie. Sie nehmen Kinder kurzfristig auf, wenn sich leibliche Familien nicht um diese kümmern können. Sind Mutter und/oder Vater psychisch krank oder erleiden einen Unfall, braucht es schnelle Hilfe. „Das Kinderbett bei uns ist immer gerichtet; Tag und Nacht“, sagt Claudia, die aus Erfahrung spricht. Vier Kleinkinder hat die Familie seit November 2021 in ihrem Leben aufgenommen. Im akutesten Fall mit gerade einmal zwei Stunden Vorlaufzeit.

Zeit, bis Vertrauen da ist

Dann kümmern sich Claudia R. und ihr Mann um ihr Pflegekind, als wäre es ihr leibliches. „Dieses Gefühl brauchen die Kinder unbedingt“, sagt Claudia im Reutlinger Stadtgarten. Drei Monate bleiben Pflegekinder im Durchschnitt in ihrem vorübergehenden, neuen Zuhause. Der Abschied fällt schwer. „Es schmerzt immer, wenn die Kinder einen wieder verlassen“, sagt Claudia R. „Aber es kann ein schöner Schmerz sein, wenn man weiß, dass für das Kind eine Familie gefunden wurde, bei der das Kind wohlbehütet aufwachsen kann.“
Etwa 120 Pflegefamilien gibt es im Landkreis Reutlingen. Unterschieden werden Bereitschaftspflege und Vollzeitpflege. Bei letzterer bleiben die Kinder bis zur eigenen Volljährigkeit in der Familie – und bereichern das Leben der Pflegefamilie ebenso, wie ihr eigenes schöner wird. „Natürlich braucht es am Anfang Zeit, bis diese neue Familie zusammenwächst“, sagt Lisa Rose. Sie arbeitet beim Kreisjugendamt im Zentralen Pflegekinderdienst. „Manche Kinder klammern sehr, andere benötigen mehr Vertrauen, bis sie sich von den neuen Eltern helfen, trösten oder kuscheln lassen.“ Einzelfälle, in denen das Zusammenleben nicht funktioniert, gibt es. „Aber das kommt sehr selten vor“, sagt Lisa Rose.

Pflegekinder brauchen Liebe – und Struktur

Doch klar: Jedes Pflegekind bringt sein Päckchen mit. Das muss potenziellen Pflegeeltern, die beim Landratsamt einen Qualifizierungskurs starten können (siehe Infokasten), bewusst sein. Auch Drogenkonsum spielt eine Rolle. Entweder, weil die Eltern abhängig und deshalb nicht in der Lage sind, sich um das Kind zu kümmern. Oder auch, weil in der Schwangerschaft Alkohol oder andere Drogen konsumiert wurden. „Die Kinder brauchen ein stabiles Umfeld, das zugleich liebevoll und konsequent ist“, sagt Lisa Rose. Konsequent dahingehend, dass man dem Kind nicht aus Wohlwollen alles erlaubt, aber auch nicht zu streng ist. „Je klarer die Regeln in der Familie sind, desto leichter gelingt es den Kindern, sich einzuleben.“

Ein Kind wirbelt die Familiendynamik auf

Struktur ist ebenso wichtig wie Zuneigung und Geborgenheit. Nicht nur von den Pflegeeltern, sondern von der gesamten Familie. Denn ein neues Mitglied, auch nur vorübergehend, wirbelt die Familiendynamik ganz schön auf. Bei Claudia R. gelingt das sehr harmonisch – weil ihre vier Töchter super mitziehen. „Sie verstehen, dass diese Kinder Hilfe benötigen und freuen sich darüber, dass sie bei uns sind“, erzählt Claudia. Und der Mutter ist wichtig: Wenn die Familie kein Pflegekind betreut, verbringen Claudia und ihr Mann sehr viel Zeit mit ihren Töchtern. „Kein Kind soll sich vernachlässigt fühlen.“
Bei ihnen entscheiden daher alle: Wird ein Pflegekind aufgenommen oder braucht die Familie Zeit für sich? „Wir berufen einen Familienrat ein“, sagt Claudia und lacht. „Und alle müssen dafür sein. Wenn einer gerade kein Pflegekind aufnehmen möchte, berücksichtigen wir das alle.“

Keine Vorurteile gegenüber den leiblichen Eltern

Ein Miteinander ist ohnehin unentbehrlich. In der Familie, in der Absprache mit dem Kreisjugendamt und mit den leiblichen Eltern. „Sie lieben ihre Kinder, können sich in der aktuellen Verfassung aber nicht um sie kümmern“, sagt Rose. Das betont auch Claudia R. „Man darf keine Vorurteile gegenüber den leiblichen Eltern haben.“ Denn Kinder spüren das, was zu einem Loyalitätskonflikt führen kann.
Die beiden Töchter kommen auf dem Spielplatz zu Claudia und umarmen ihre Mama. Die glückliche Familie ist bereit, wieder ein Pflegekind aufnehmen zu wollen. Auch, wenn der Abschied von den Pflegekindern wieder schmerzen wird. „Aber was ist mein Schmerz schon im Vergleich zu dem der Kinder in Not“, sagt Claudia. Sie und ihre Familie werden Kindern weiter einen geschützten und behüteten Raum geben.

Qualifizierungskurs startet am 21. Oktober

Das Kreisjugendamt sucht neue Pflegefamilien, sowohl für die Bereitschafts- als auch die Vollzeitpflege. Der nächste Qualifizierungskurs startet am 21. Oktober; Interessierte können sich unter (07121) 480 42 41 oder per Mail an [email protected] anmelden.
Melden können sich Familien, kinderlose Paare, Regenbogenfamilien und Alleinerziehende. Nach dem Qualifizierungskurs folgen weitere Gespräche mit dem Kreisjugendamt, das die potenziellen Pflegefamilien gut kennenlernen möchte. Für Pflegefamilien gibt es finanzielle Unterstützung. Windeln und Kinderkleidung sind teuer, daher erhalten sie ein Pflegegeld und Geld für die Erstausstattung.