Anfang Februar haben sie zum ersten Mal ihre Schilder ausgepackt und sind bei der Gegendemonstration zum AfD-Neujahresempfang mitgelaufen: die ReutlingerOmas gegen rechts“. Da waren sie ein kleiner Hingucker, mit ihren weißen Schildern und den kleinen, weißen Buttons am Mantelkragen. Passanten und andere Demonstranten haben gefragt: Was macht ihr denn? Kann man bei euch mitmachen?

Keine Krawall-Demonstranten

Bei der Kundgebung am Weltfrauentag auf dem Marktplatz sind sie wieder aufgetaucht und haben ihre Schilder hoch gehalten. Auch ein „Opa gegen rechts“ war dabei. Sie sind keine Krawall-Demonstranten und keine, die großen Lärm machen. Sie stehen einfach da, lächeln freundlich, fallen auf – und hoffen, dass sie mit ihrem Handeln die Welt für ihre Nachfahren ein wenig besser machen können.
Barbara Kärn-Wilk (76), Heike Jung (71) und Sabine Buder (65) kennen sich schon lange. Bei einem ihrer „Weibertreffen“ sei zum Jahreswechsel die Idee entstanden, einen Reutlinger Ableger der österreichischen Bewegung zu gründen, sagen sie. Ihre Motivation: Für die Enkel (Kärn-Wilk hat sechs, Jung drei und Buder vier) eine gute Zukunft erkämpfen. Mit einem guten Klima, einem sicheren Sozialstaat, in einem funktionierenden Europa und ohne ausländerfeindliche Hetze.

Jetzt kippt alles um

„Unsere Generation hatte Glück, wir haben eine gute Zeit erwischt“, sagt Bader. „Als wir Kinder waren, da ging es nur bergauf.“ Das Wirtschaftswunder, die Nachkriegszeit mit ihrer Euphorie, das zusammenwachsende Europa, der Geist der 68er-Bewegung, das alles hat sie geprägt. „Aber jetzt, jetzt kippt alles um.“
An Kärn-Wilks Rucksack hängen ein „Omas gegen rechts“- und ein „Kein Hass im Ländle“-Button. Das Schild, das die Omas mitgebracht haben, ist an einem Teppichklopfer befestigt. „Der ist noch von meiner Oma“, sagt Kärn-Wilk. Als sie mit dem Teppichklopfer-Schild bei der AfD-Gegendemo mitgelaufen sind, hat man sie gefragt, ob sie die AfD verkloppen wollen.
Aber verkloppen wollen die Omas gewiss niemanden.  Allein ihr friedlicher Protest lässt sie polarisieren. Die deutsche „Omas gegen rechts“-Vereinsgründerin Anna Ohnweiler aus Nagold hat im Februar eine wüste Postkarte erhalten, mit Beschimpfungen und Drohungen in Fäkalsprache. Ohnweiler hat Anzeige erstattet, ein Polizeipsychologe hat die Karte aus Pforzheim grafologisch untersucht und ist zum Schluss gekommen, dass ein älterer Herr sie geschrieben hat. Es wird vermutet, dass es ein Reichsbürger war. Auch die Reutlinger Omas haben nach ihren ersten Auftritten eine Mail mit Beschimpfungen bekommen. Das bremst sie aber nicht im geringsten aus, sagt Kärn-Wilke: „Darauf reagieren wir gar nicht, das ist so unterirdisch.“
Ob ihr Protest was bewirkt? Die drei Frauen überlegen kurz. „Wir müssen noch viel lauter werden“, sagt Buder. Vielleicht sollten sie mal eine Großdemo mit tausenden Omas organisieren, so groß wie die Freitagsdemonstrationen der Schüler? Oder gar mal nach Straßburg fahren und sich mit ihren weißen Schildern vors Europaparlament stellen? Ganz nach dem Vorbild von Greta Thunberg, der jungen Schwedin, Begründerin der „Fridays for future“-Demos.
Barbara Kärn-Wilk hat in den späten 60er-Jahren gegen den Vietnamkrieg protestiert. Schon damals mussten sich die Demonstranten böse Beschimpfungen anhören, erzählt sie. „Geht halt rüber“, habe man ihnen nachgerufen. Heike Jung ist in Flensburg aufgewachsen, als Tochter eines Marineoffiziers und CDU-Stadtrates. Sie sagt, dass sie ihre politische Meinung erst im Alter gefestigt hat. Sabine Buder erinnert an die Menschenkette, die 1983 von Stuttgart nach Neu-Ulm gebildet wurde. Da haben die Drei auch schon mit protestiert.
Bei der großen „Fridays for future“-Demonstration vor eineinhalb Wochen sind die Omas ebenfalls mitgelaufen. Sie sind nämlich nicht nur „gegen rechts“, wie sie betonen, sondern auch für Klimaschutz, Menschenwürde und Gerechtigkeit. Nur „gegen“ – das hört sich ja so negativ an. Heike Jung packt ihr Handy aus und wischt über den Bildschirm. Dann zeigt sie ein Bild ihres Enkels, der von seinem Vater getragen wird und in die Kamera grinst. Beide tragen ein Stirnband für den Kohleausstieg, das war auf einer Demonstration in Berlin. „Wir haben ja die süßesten Enkel der Welt“, sagt Kärn-Wilk, „und die müssen alle noch 70 Jahre auf dieser Erde leben.“
Am 19. Mai fahren die Reutlinger Omas nach Stuttgart, auf eine Großdemonstration für ein geeintes Europa. Die Europawahl ist ihnen ganz wichtig, sagen sie. Besonders ältere Frauen wollen sie motivieren, unbedingt zur Wahl zu gehen. Eine der Omas hat nun eine Maschine zuhause stehen, mit der sie die kleinen, weißen Ansteck-Buttons herstellen kann. 22 Mitglieder zählt die Gruppe nun, das hat sich Sabine Buder in ihrem kleinen Notizbüchlein notiert. Die Sache nimmt Fahrt auf.
Info Wer Interesse hat, der kann sich unter folgender Mailadresse melden: [email protected].

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Die Ursprünge der Bewegung

Die „Omas gegen rechts“ wurden im November 2017 – direkt nach der Nationalratswahl und dem daraus resultierenden Rechtsruck der Regierung – in Österreich gegründet.
Die Gruppe erfuhr großen Zuspruch, mittlerweile sind die österreichischen Omas in einem Verein organisiert. Sie sind über Facebook gut vernetzt. Auch in Deutschland haben die fast 50 lokalen Gruppen beschlossen, sich in einem Verein zu organisieren. Dieser wurde Anfang März gegründet, Vorsitzende ist die Nagolderin Anna Ohnweiler. kam