Die Zeichen in Dellmensingen und Staig stehen auf Protest. Auslöser ist eine von der Bundesnetzagentur verbreitete Mitteilung. Und die vom Übertragungsnetzbetreiber Amprion geplante Aufrüstung seiner Stromtrasse von Wullenstetten bis Dellmensingen um ein weiteres 380 Kilovolt-Kabel – und die Fortsetzung der Leitung bis nach Niederwangen im Allgäu. Dieses Vorhaben hält die Agentur in ihrem Netzentwicklungsplan bis 2030 für unverzichtbar.
Als „bestätigte Maßnahme“ ist das Projekt M95 in dem neuen Bestätigungsbericht aufgeführt. Demnach soll zunächst bei Wullenstetten über eine von derzeit 220 auf 380 Kilovolt aufgerüstete Leitung das Umspannwerk Dellmensingen mit der Trasse Gundelfingen–Vöhringen verbunden werden.
Von Dellmensingen aus wird dann – ebenfalls auf einer bestehenden 220-Kilovolt-Trasse und wiederum mit einem zweiten 380-Kilovolt-Seil – eine Verknüpfung bis nach Niederwangen gebaut. Und von dort aus – das ist dann die Maßnahme M94b – geht es weiter bis zum Umspannberg Dornbirn-Werben in Vorarlberg. Laut Amprion-Projektleiter Carsten Stiens ist diese so genannte „Zu- oder Umbeseilung“ auf einer Länge von 88 Kilometern eine „relativ einfache Maßnahme“.
Ohne den Ausbau – der im kommenden Jahr starten und frühestens im Jahr 2020 abgeschlossen sein soll – wird laut Bundesnetzagentur in einem bestimmten Szenario die Leitung von Vöhringen nach Dellmensingen überlastet, wenn einer der parallelen Stromkreise ausfällt.
Sorge um den Fluss Argen
Die Bundesnetzagentur verhehlt nicht, dass die Aufrüstung – im Fachjargon: „Umbeseilung und Spannungserhöhung in bestehender Trasse“ – erhebliche Auswirkungen auf die Umwelt hat. Jedoch sind damit nicht die in Dellmensingen und Staig laut gewordenen Ängste vor Magnetfeldern gemeint. Vielmehr sorgt man sich in der Behörde um die Fauna-Flora-Habitat-Gebiete „entlang der Argen und ihrer Nebenflüsse“.
Dabei sind es in Staig an einer Stelle nur zehn Meter von der Leitung bis zum ersten Wohnhaus. Die Gemeinde hat daher ein Gutachten zum Ausbau in Auftrag gegeben. Darin soll zusammen mit den betroffenen Grundstücksbesitzern geklärt werden, ob der geltende Vertrag mit dem Netzbetreiber die Aufrüstung zulässt. Darin ist nämlich nur von „einer Stromleitung“ die Rede. Ein 380-Kilovolt-Seil aber liegt bereits auf den Masten.
Eine zweite Stromleitung mit dieser höheren Spannung, so die Hoffnung, wäre mit dieser Maßnahme nicht abgedeckt. Staig und Dellmensingen haben auch gemeinsam einen Anwalt engagiert. Wenn sich der Ausbau nicht verhindern lässt, so soll die Leitung zumindest vom Ort abgerückt oder unter die Erde verlegt werden. Letzteres hat ein Amprion-Sprecher bei einem Info-Tag im September bereits als zu teuer abgelehnt.
Projekt offen kommunizieren
Die Verantwortlichen des Netzbetreibers betonen aber, dass sie mit den Anliegern in Kontakt bleiben wollen. „Durch eine offene Projektkommunikation“ wolle das Unternehmen „von Beginn an die Menschen in der Region mitnehmen“, heißt es in einer Pressemitteilung. Bevor die Antragsunterlagen bei der Bundesnetzagentur eingereicht werden, finden nach den vier Bürgersprechstunden entlang der Trasse im vergangenen Jahr nun weitere Veranstaltungen statt.
Mit einem Infomobil fahren die Amprion-Leute durch die Region. Los geht die Tour am Montag, 15. Januar, in Haidgau (Bad Wurzach). Am Dienstag, 16. Januar, macht das Infomobil von 9 bis 11 Uhr in Laupheim auf dem Marktplatz Station, dann von 13 bis 14.30 Uhr in Mittelbuch auf dem Dorfplatz und zum Ende von 15.30 bis 17 Uhr in Maselheim vor dem Rathaus in der Wennedacher Straße. Die fünfte und letzte Station ist am kommenden Mittwoch, 17. Januar, von 9 bis 11 Uhr in Senden auf dem alten Marktplatz in der Harderstraße.
Info Als direkten Draht für alle Fragen zum Netzausbau hat Amprion eine kostenlose Bürger-Hotline geschaltet, Tel. (0800) 58 95 24 74. Diese ist werktags erreichbar. Informationen zum Projekt gibt es auch unter www.amprion.net
Keine Aufrüstung bis Niederstotzingen?
Verbindungen Die Bundesnetzagentur hat 96 der 165 von den Netzbetreibern vorgeschlagenen Maßnahmen bestätigt. Der Entwicklungsplan Strom 2017-2030 umfasst damit im Vergleich zum geltenden Bundesbedarfsplan knapp 1000 zusätzliche Trassenkilometer. Meist sollen Verbindungen gestärkt werden.
Ablehnung Nicht bestätigt hat die Netzagentur die Maßnahme M515. Das ist die von Transnet BW für notwendig erachtete Aufrüstung der Leitung Niederstotzingen–Dellmensingen. „Ohne die Netzverstärkung“, hieß es im Frühjahr 2017 veröffentlichten Entwurf, „kommt es bei Ausfall eines Stromkreises zur Überlastung des parallelen Systems“. Vorgesehen war, die beiden aufliegenden 380-Kilovolt-Stromkreise mit stärkeren, dickeren Seilen oder mit Hochtemperaturleiterseilen zu versehen. Dafür hätten bei der gerade erst ausgebauten Trasse wohl auch neue Masten erstellt werden müssen.
Entscheidung Welche Maßnahme kommt und welche nicht, entscheidet der Gesetzgeber. Das Parlament beschließt die Vorhaben im Bundesbedarfsplan – der Ausbau Wullenstetten–Dellmensingen ist bereits in der ersten Fassung enthalten. Amprion hat bisher keinen Antrag auf Bundesfachplanung gestellt. Die Netzagentur erwartet diesen Antrag im ersten Quartal 2018.