Eine Frau rekelt sich lasziv auf einer glänzenden Motorhaube, eine andere posiert auf High Heels vor dem geöffneten Kofferraum. Autokalender mit Erotik-Motiven sind hinreichend bekannt. Szenen wie diese wird man im Kalender von Justyna Koeke und Marie Lienhard nicht finden. Zwar legen auch die Künstlerinnen ihren Fokus auf Menschen und ihr Heiligs Blechle, dabei soll aber weder die Person noch das Auto ein Objekt der Begierde darstellen. Antisexistisch soll er sein, der mittlerweile dritte Nacktkalender für Stuttgart. „Nacktheit hat nicht unbedingt mit Erotik und Sex zu tun“, sagt Koeke, „man kann sie auch in ihrer Natürlichkeit zeigen.“
Konkret heißt das: Hier springen unbekleidete Menschen jeden Alters zwischen im Stau stehenden Autos herum, mitten auf der Heilbronner Straße. Da ziehen Frauen und Männer am Rotebühlplatz blank, während die Fahrrad-Demo Critical Mass vorbeistrampelt. Binnen weniger Minuten seien die Aufnahmen in der Regel im Kasten, erklärt Koeke, die an der Stuttgarter Kunstakademie lehrt und von etlichen Studenten und Dozenten unterstützt wird. Retuschiert werde am Ende nichts, sagt sie.
Als Protestaktion will die 42-Jährige ihr Projekt nicht verstanden wissen. Kritisieren wolle man, ja, mit sehr viel Ironie aufmerksam machen auf „die Autostadt Stuttgart, in der es für die Menschen immer enger wird“. Es sei höchste Zeit, öffentlichen Raum zurückerobern, sich gegen schlechte Luft, Dauer-Staus und Baustellen zu wehren. Nackt für Freiraum und Freiheit. Fast redet sie sich in Rage. Sie weiß: Mit ihren Motiven bekommt sie die Aufmerksamkeit, die sie sich wünscht.
Doch wie reagieren Autofahrer und Passanten auf die plötzlich auftauchenden Unverhüllten? „Die meisten sind amüsiert“, sagt Koeke. Aggressiv sei noch keiner geworden. Dennoch bewegen sich die Künstlerinnen gesetzlich auf dünnem Eis. Bei der jüngsten Aktion in der Innenstadt nahm die Polizei die Personalien aller Beteiligten auf. Im vergangenen Jahr wurde Anzeige erstattet, erzählt Koeke, jedoch ohne Folgen. „Wir sind keine Exhibitionisten“, stellt sie klar, „Wir wollen die Leute nicht ärgern, sondern Bilder erschaffen.“ Nacktsein in der Öffentlichkeit ist übrigens keine Straftat – außer, es hat einen sexuellen Hintergrund, wie ein Polizeisprecher auf Nachfrage erklärt. Fühle sich jemand gestört durch zu viele Einblicke, drohten Platzverweise oder Bußgelder.
Es ist nicht das erste Mal, dass nackte Künstler die Stadt erobern, zwei Kalender sind bereits erschienen. 2016 setzten die Models an S-21-Baustellen ihre Allerwertesten in Szene, 2017 gingen sie oben und unten ohne als Tiere auf Kesselsafari. Auch in den kommenden Wochen wird es in der Stadt nackte Tatsachen geben. Wo sie das nächste Mal auftauchen werden, will Koeke nicht verraten. Nur so viel: „Wir sind dort, wo die Luft am schlimmsten ist.“

Info Der Kalender soll ab November für 17 Euro im Stuttgarter Buchhandel und in ausgewählten Galerien erhältlich sein.