Seit Montag dieser Woche gilt die bundesweite Regel: Die Türen der Friseursalons bleiben vorerst geschlossen. Diese Entscheidung ist ganz klar richtig und wichtig und kam manch einem Haarkünstler dennoch viel zu spät. „Ist Schönheit wirklich wichtiger als Leben?“, diese Frage stellte sich unter anderem auch Melly Sass, die seit zwei Jahren den Kleinbetrieb „föniXx frisöre“ in Pfronstetten führt. Gemeinsam mit ihrem fünfköpfigen Team sorgt sie nicht nur für das Wohlbefinden der vielen Stammkunden, sondern begleitet diese durch vielfältige Lebensumstände – stets mit einem offenen Ohr, Verständnis und einer ordentlichen Portion Menschlichkeit. „Diese Werte gepaart mit fachlichem Wissen, das ist echte Kompetenz“, erläutert die 33-Jährige. Schließlich sei es nicht das Materielle, das im Leben zählt: „Solidarität und Gesundheit bilden das Fundament.“
Aus eigener schmerzhafter Erfahrung weiß die Friseurmeisterin, wie schnell es mit der strotzenden Gesundheit vorbei sein kann und man quasi von heute auf morgen an ein Krankenhausbett gefesselt ist. Zu Beginn ihrer Selbstständigkeit, damals noch als Ein-Frau-Unternehmen im mobilen Einsatz bei ihren Kunden vor Ort, setzte sie ein akuter Morbus Crohn-Schub außer Gefecht. „Zu lange hatte ich die Anzeichen ignoriert und meine Gesundheit missachtet – getrieben aus purer Angst, kein Geld mehr zu verdienen und meine Existenz aufs Spiel zu setzen“, berichtet Melly Sass. „Tja, der Krankenhausaufenthalt war dann die Quittung dafür und öffnete mir die Augen. Von da an hatte ich nämlich keine Wahl mehr, an meiner Situation etwas zu ändern“, weiß sie heute.
Aus der Erfahrung lernen
Und eben deshalb wollte die junge Frau, die aufgrund der noch immer notwendigen Medikamente noch heute ein sehr geschwächtes Immunsystem hat, weder für sich, noch für ihre Mitarbeiterinnen oder Kunden ein weiteres beziehungsweise neues großes Risiko eingehen. Somit war der nächste Schritt für Sass bereits am vergangenen Donnerstag klar, Existenzängste hin oder her, der Laden musste sofort geschlossen werden. „Am Freitag ging ich in den Laden und verschob alle Termine. Am Abend kam dann die offizielle Information, dass ab der folgenden Woche alle Friseure schließen müssen“, berichtet sie und ist dennoch stolz, diesen Entschluss vorab selbstständig getroffen zu haben.
Klar wurde diese Entscheidung nicht leichtfertig und unüberlegt getroffen. Zwar befindet sich der Laden im Eigenheim, dennoch gilt es, die Raten für den damit verbundenen Kredit pünktlich zu überweisen und auch die Gehälter der Angestellten regelmäßig auf den Weg zu bringen. „Ich schwankte zwischen Bauchgefühl und Vernunft, finanzieller und körperlicher Sicherheit“, so die Ladenchefin.
Auch wenn man die Messlatte in Sachen Hygiene ohnehin seit Beginn an sehr hoch angesetzt habe – und diese seit dem Auftreten des Virus deutlich verschärft habe – bereitete ihr die Situation Kopfzerbrechen. Über Verschwörungstheorien und Panikmache redeten die einen, über Risiko und Verantwortung die anderen. So wagte Sass etwas Neues: „Ich stellte bewusst das Internet aus und begann damit, mir meine ganz eigenen, unbeeinflussten Gedanken zur uns völlig unbekannten Corona-Welt zu machen.“ Und da gab es viele: Ist es richtig, meine Oma nicht mehr zu besuchen, aber Dienstleistungen im Seniorenheim anzubieten? Was ist Geld im Vergleich zur Gesundheit? Was habe ich von meinem Garten, wenn ich ihn nicht umgraben kann oder von meinem Motorrad, wenn ich es nicht mehr fahren kann? Wollen wir echt abwarten, selbst betroffen zu sein, bevor wir handeln?
Miteinander verzichten
„Als Friseur konnten wir den notwendigen Mindestabstand definitiv nicht einhalten“, vor diesem Hintergrund trommelte Melly Sass ihr kleines Team bereits am 16. März zu einer Sitzung zusammen und bot allen die Möglichkeit, Stellung zu nehmen. In der kleinen Runde kam man schnell auf einen gemeinsamen Nenner: zwei Wochen Solidaritätsurlaub einzulegen. Obwohl zu diesem Zeitpunkt noch nicht klar war, ob und in welcher Art und Weise der Staat den einzelnen Unternehmen unter die Arme greifen wird, stand es für die verantwortungsbewusste Friseurin nie zur Debatte, sich von ihren liebgewonnenen Kolleginnen zu trennen: „Ich schlug damals vor, miteinander zu verzichten – meine Mädels auf volle Bezahlung und ich auf Einnahmen – und nach der Krise zusammen mit unseren treuen Stammkunden wieder voll durchzustarten.“ Und die warten sicher auf „IHR“ Team, denn Solidarität und Empathie zählen hier zum gelebten Alltag und sind nicht erst seit der Corna-Krise ein Thema.
Bis dahin verfolgt Melly Sass ihre Lebens- und Unternehmensphilosophie: „Wir wollen mit gutem Vorbild vorangehen. Solidarität, Menschlichkeit und Wertschätzung zählen. Keiner soll erst an diesen Punkt kommen müssen, an dem ich bereits war. “