Ein Streifzug durch die Supermärkte offenbart dieser Tage unsere heimliche Prioritätenliste. Darauf vermerkt: Pasta, Reis und Linsen, Mehl, Zucker, Konserven, Klopapier. Worauf wir getrost verzichten: Zahnpasta und Duschgel. Bei Seife wiederum ist die Lage undurchsichtig, obwohl regelmäßiges Händewaschen gegen die Ausbreitung des Coronavirus die wohl wirksamste Maßnahme ist. Während im Kaufland von Metzingen oder in den Bad Uracher Rewe-Märkten die Regale nach wie vor üppig bestückt sind, war Seife in vielen regionalen Drogeriemärkten schon am Wochenende bald ausverkauft – von Desinfektionsmittel ganz zu schweigen.
Eingesetzt haben die Hamsterkäufe nach Auskunft mehrerer Supermärkte am Freitag vergangener Woche, als im Landkreis Reutlingen am Vormittag der erste Verdachtsfall bekannt wurde. Aktuell sind in Baden-Württemberg 98 Fälle einer Covid-19-Erkrankung gemeldet, in Reutlingen wurde nach Laboruntersuchungen von insgesamt 36 Verdachtsfällen vorerst Entwarnung gegeben. Anstelle des Virus wabert latente Verunsicherung in der Luft, die sich durch den Anblick leergefegter Regale nur festigt.
„Eine pauschale Aussage kann man nicht machen, jeder reagiert unterschiedlich. Aber die Leute wollen sich in jedem Fall informieren“, schätzt Matthias Bauer, Sprecher des Landratsamts, die Besorgnis in der Bevölkerung ein. Durchschnittlich 100 Anrufe gehen täglich bei der speziell eingerichteten Hotline des Reutlinger Gesundheitsamtes ein. Dabei handelt es sich überwiegend um Urlaubsrückkehrer, die nicht wissen, wie sie sich verhalten sollen.
Nach dem Landkreis reagieren nun vereinzelt auch Kommunen: „Nervosität aus der Bevölkerung ist im Rathaus nicht angekommen“, so Bad Urachs Pressesprecher Bernd Mall. Präventiv aber hat die Stadt auf ihrer Homepage eine Seite mit Hinweisen über das richtige Verhalten und relevante Anlaufstellen eingerichtet. In Metzingen geht die Verwaltung noch einen Schritt weiter. Ein siebenköpfiger Krisenstab aus Feuerwehr, Ordnungsamt und den Bürgermeistern aller Ortsteile will im Ernstfall auf die Schnelle notwendige Entscheidungen treffen können.
Besonderes Augenmerk liegt bei allen umliegenden Gemeinden auf Kindereinrichtungen. Wer in den vergangenen 14 Tagen aus einem Risikogebiet zurückgekehrt ist, wird seit Freitag vom Kultusministerium aufgefordert, unabhängig etwaiger Symptome zwei Wochen nach der Rückkehr Schulen und Kindergärten fernzubleiben.
In Münsingen sind daraufhin noch am selben Tag Lehrer und Schüler, die sich zuletzt in Südtirol aufgehalten haben, nicht mehr zum Unterricht erschienen – dabei liegt zwischen dem Ende der vergangenen Ferien und der Bekanntgabe des neuen Risikogebiets bereits eine Woche, während der sich die betreffenden Personen im öffentlichen Raum bewegten.
Die Allgegenwart von Corona in Gesprächen, den sozialen Netzwerken und in den Medien wirft immer wieder die Frage um den Ernst der Lage auf. „In 85 Prozent der Fälle ist der Verlauf harmlos und es genügt, 14 Tage zu Hause zu bleiben“, erklärt der Sprecher der Kreiskliniken Reutlingen, Eckhard Zieker. Weil Ärzte derzeit gebetsmühlenartig predigen, bei einem Verdacht auf keinen Fall die Warteräume in Praxen und Kliniken aufzusuchen, sei der befürchtete Ansturm in den Notfallaufnahmen glücklicherweise ausgeblieben: „Verdächtige müssen deshalb fern gehalten werden, weil sich gerade in den Kliniken Menschen mit einem geschwächten Immunsystem aufhalten, zum Beispiel nach einer Operation oder aufgrund ihres Alters“, sagt Zieker.
Gerade um der Risikogruppen Willen gilt es, die Verbreitung einzudämmen. Laut WHO führt eine Erkrankung im schlimmsten Fall zu einem septischen Schock, Atemstillstand oder Multiorganversagen. Wer sich dagegen einer robusten Verfassung erfreut, erfährt gerade einmal Symptome wie bei einer einfachen Erkältung – und verteilt im Supermarkt beim Griff zum Toilettenpapier unbeschwert den Erreger.
Für die Lebensmittelbranche indes bedeutet die Nervosität derzeit ein einträgliches Geschäft. Bei Rewe etwa frohlockt man, dass trotz hoher Nachfrage keine Engpässe entstehen sollten, weil die Belieferung auch für den Uracher Markt angepasst werden konnte. Das sei gelernte Praxis, „wenngleich es für unsere Mitarbeiter in den Märkten und in der Logistik natürlich einen hohen Aufwand bedeutet. Die Kapazitäten sind begrenzt“, heißt es aus der zentralen Pressestelle.

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Abstriche wurden im Landkreis bislang untersucht, bei keiner Person konnte der Virus nachgewiesen werden. In Baden-Württemberg sind aktuell 98 Patienten bekannt.