In der von Streuobstwiesen geprägten Region kommen den Baumwarten eine besonders wichtige Funktion zu, organisiert sind diese Fachleute im Arbeitskreis Obstbau und Baumwarte im Landkreis Reutlingen. Deren großes Interesse an Fortbildung in Theorie und Praxis und an Erfahrungsaustausch zeigte sich einmal mehr bei der diesjährigen Hauptversammlung: Von den derzeit 218 Mitgliedern waren rund 130 ins Gasthaus „Rebstöckle“ nach Neuhausen gekommen. Mit ein Grund fürs außerordentlich große Interesse ist nach Ansicht von Rolf Schäfer sicher auch der Fachvortrag: „Wir müssen nur die richtigen Referenten suchen, dann kommen auch die Mitglieder“, meinte der Vorsitzende bei der Begrüßung. Mit Hans-Thomas Bosch hatte der Arbeitskreis einen unter Baumwarten geschätzten Fachmann eingeladen, der in seiner Tätigkeit am Kompetenzzentrum Obstbau Bavendorf und der freiberuflichen Baumpflege wegweisend die Baumansprache weiterentwickelt hat. Bosch hat sich seit vielen Jahren vor allem intensiv mit der Kronenpflege am Hochstamm beschäftigt – dem Thema seines Referats.
Wie in seiner neu aufgelegten Publikation auch, veranschaulichte er beim Vortrag mit vielen Vorher-Nachher-Aufnahmen was Gegenstand vieler Diskussionen unter Fachleuten ist und war: Die Reaktion der Obstbäume auf den Schnitt und ihre Entwicklung über einen Zeitraum von etwa sieben Jahren. „So erhalten wir zur Schnittsaison praktisch umsetzbares Wissen“, hatte der Vorsitzende in seiner Einladung zur Hauptversammlung geschrieben.
Referent Bosch ging indes über praktische Tipps hinaus und gab einen Einblick in die Geschichte der Schnitttechniken von der einst gepflegten Pyramidenform mit auf Etagen ausgebildeten Ästen – „ein Erbe dieser Zeit sind die Spalierobstbäume als eine Kunstform“, so Bosch. Ziel aller Schnittmaßnahmen an alten Bäumen müsse sein, einen vitalen und stabilen Baum zu erhalten – das sei möglich und lohne sich, wie anhand der Bilder deutlich wurde.
Man müsse bei Pflegemaßnahmen einschätzen, was dem Baum zumutbar sei und sich intensiv Gedanken um baumverträgliches Arbeiten machen. Letztlich habe man auch den Aspekt der Nutzbarkeit im Auge zu behalten, gab der Referent den Baumwarten aus dem Landkreis mit auf den Weg.
Die waren begeistert von den Gedanken und Anregungen des Fachmanns: „Es fällt einem dabei auf, dass es immer wieder etwas gibt, das man verbessern kann“, meinte Vorsitzender Schäfer. „Der Vitalisierungsschnitt überalterter Bestände lohnt sich“, hieß die Bilanz eines Zuhörers.
Bilanz des vergangenen Jahres zog in der sich an den Vortrag eigentlichen Hauptversammlung auch Thilo Tschersich von der Grünflächenberatung des Landratsamtes, seit einem Jahr hat er die Geschäftsführung des Arbeitskreises Obstbau und Baumwarte inne. Er fasste den lokalen Witterungsverlauf im vergangenen, extrem niederschlagsarmen Jahr zusammen: „Man kann sich auf nichts mehr verlassen, es gibt beim Wetter keine Regelmäßigkeiten mehr.“ Durch den Klimawandel würden sich für den gewerblichen und privaten Obstbau neue Handlungsfelder ergeben, wie den Schutz wertvoller Kulturen vor Hagel und Starkregen unter anderem mit Netzen. Anderseits würde es immer längere Trockenperioden geben: „Eventuell muss man eine Bewässerung aufbauen.“
Als ein Mittel der Zukunftssicherung und nicht der Einschränkung sei das Sortenkartierungsprojekt des Landkreises zu verstehen: „Das in Generationen gewachsene und miteinander geteilte Wissen um die Sorten geht gerade verloren“, machte Tschersich deutlich. Mit dieser Aktion wolle man sich um dieses Erbe kümmern und es bewahren, Ziel sei auf diesem Weg alte Sorten retten zu können. Und dazu brauche man die Unterstützung derer, die die Region und ihre Bäume kennen – die Baumwarte.