Am Grab von Boris Mönnichs Vater tat der Sänger und Ex-Pur-Drummer Roland Bless der Familie einen Freundschaftsdienst. Er sang „Sternenstaub“ für den Verstorbenen. „Ist dein Herzschlag irgendwo dort verborgen? Du fehlst“, heißt es in dem Lied.
Dass der Vater fehlt, das empfindet der 43-jährige Ludwigsburger Journalist auch jetzt, mehr als ein halbes Jahr nach dessen Tod, noch Tag für Tag schmerzlich. Dass der Abschied von den Eltern irgendwann bevorstehe, so Mönnich, wisse man. Doch wie abrupt die Diagnose Bauchspeicheldrüsenkrebs den bis dato aktiven, gesunden Vater aus dem Leben gerissen habe, und unter welchen Umständen: Damit einigermaßen klarzukommen, sei der Familie nur mit Hilfe des Selbsthilfevereins TEB gelungen. TEB steht für Tumore und Erkrankungen der Bauchspeicheldrüse.
Boris Mönnich kann von Glück sagen, dass der Verein ausgerechnet in Ludwigsburg ansässig ist. Vorsitzende und Geschäftsführerin Katharina Stang stand der Familie nicht nur mit Rat, Tat und Tipps zur Seite. „Sie war auch die Einzige, die ehrlich zu mir war, was die Perspektiven für meinen Vater anging“, erzählt Boris Mönnich. „Das hätte ich mir von den Ärzten im Krankenhaus gewünscht, wie so vieles andere auch.“
Seinem Vater, dessen Tumor mit einem Blutgefäß verwachsen war und schon gestreut hatte, wären auch so nur noch wenige Monate Lebenszeit geblieben. Was sein Vater nach der Operation im November 2018, nach der er überdies wegen eines Krankenhauskeims isoliert werden musste, habe erdulden müssen, sei „ein Alptraum“ gewesen.
Wer sich einmal als Zuhörer in ein TEB-Gruppentreffen in der Ludwigsburger Ruhrstraße setzt, bekommt von ihren Nöten eine vage Ahnung. Nur zu oft kommen sich die Betroffenen als Kostenfaktoren und als Bittsteller vor. Als nutzlos und lästig für die Gesellschaft. Eine Frau um die 60, neu in der Gruppe, die kämpferisch von sich sagt: „Im Internet stehen zwar grausliche Sachen, aber ich hoffe, dass ich ein medizinisches Wunder bin“, erfuhr zufällig von dem Selbsthilfeverein. „Als ich eine Ärztin gefragt habe, warum sie mir keinen Hinweis gegeben hat, sagte sie: Sie sind doch noch nicht im Endstadium.“
Eine andere Frau berichtet, keiner habe ihr in der Klinik gesagt, wie sie die Enzyme – sie sind notwendig, damit nach der Operation die Verdauung noch funktioniert – richtig einnehme. Neben ihr sitzt ein Ehepaar. Der Mann sagt kopfschüttelnd: „Als wir zum ersten Treffen hierher kamen, war meine Frau total unterernährt, sie wog noch 45 Kilo.“ Erst mit der Expertise von TEB habe sie etwas zugenommen. Ein weiterer Erkrankter meint über die Zeit, bevor er zur Gruppe kam: „Wenn man Informationen sucht und nach dem geht, was man im Internet alles liest, wäre man eigentlich schon tot.“
Für die 67-jährige Katharina Stang ist der Selbsthilfeverein längst eine Mission. Sie gründete 1999 – nachdem sie selbst eine nekrotisierende Pankreatitis überstanden hatte, bei der ihr 80 Prozent der Bauchspeicheldrüse entfernt wurden – die erste Selbsthilfegruppe in Ludwigsburg, damals noch unter dem Dach des Arbeitskreises der Pankreatektomierten. 2006 rief sie dann den Verein TEB ins Leben. „Als ich auf dem Weg in den OP hörte, dass ich wahrscheinlich nicht überleben werde, gab ich ein Versprechen nach oben ab: Wenn ich das überstehe, werde ich mich engagieren“, berichtet sie. „Ich weiß, wie alleingelassen und desinformiert die Betroffenen oft sind.“
Alleingelassen fühlt allerdings auch sie sich oft. Von der Politik und der Gesellschaft, „die nicht erkennen, dass die Selbsthilfe auf dem besten Weg ist, zu kapitulieren, weil uns planbare Gelder und Nachwuchs fehlen“. Solche Aufgaben aus dem Ehrenamt heraus auf Basis von Mitgliedsbeiträgen und Spenden zu bewältigen, sei fast nicht machbar.
Katharina Stang und ihr Mann ordnen dem Verein nahezu ihr komplettes Privatleben unter. Sie leitet Gruppen im ganzen Land, unterhält Kooperationen mit Kliniken, reist zu Fortbildungen und Kongressen, bietet Expertentelefone, Sprechzeiten in Kliniken, Hilfe am Krankenbett, Workshops und mehr an. Von Haus aus Meisterin der Städtischen Hauswirtschaft, betont sie aber auch: „Natürlich bin ich keine Medizinerin. Der Verein kann fachlich unterstützen, aber niemals eine persönliche Beratung und medizinische Betreuung durch Ärzte ersetzen.“
Die Mediziner sehen das Engagement von TEB mit Wertschätzung: „Die Arbeit dieser Selbsthilfegruppe ist mir sehr wichtig. Hier finden sich überaus kompetente Ansprechpartner für Betroffene und Angehörige“, sagt etwa Karel Caca. Der Professor ist Ärztlicher Direktor der Klinik für Innere Medizin, Gastroenterologie, Hämato-Onkologie, Pneumologie, Diabetologie und Infektiologie im Klinikum Ludwigsburg, das zur regionalen Holding gehört. „Frau Stang bildet eine wichtige Verbindung zwischen Patienten, Ärzten und Kliniken“, sagt Caca. „Wir arbeiten seit Jahren erfolgreich und vertrauensvoll zusammen.“
Wie lange diese Hilfe für die Erkrankten noch währen wird? Katharina Stang wagt keine Prognose. Gruppenleiter zu finden, ist extrem schwierig, Betroffene und Angehörige selbst sind oft am Limit ihrer Kräfte. Katharina Stang ist es auch manchmal. Und sie macht sich Sorgen, was werden wird, wenn sie einmal nicht mehr kann.
Als am Freitag in der Ludwigsburger Musikhalle das 20-jährige Bestehen der Selbsthilfe gefeiert wurde, erklag mancher Moll-ton, weil so viele Weggefährten den Kampf gegen den Bauchspeicheldrüsenkrebs verloren haben. Es ging aber auch um Zuversicht, Gemeinschaft und Lebensmut. Auch Roland Bless sang wieder.
Vierthäufigste Krebstodesursache
Der Selbsthilfeverein TEB, der deutschlandweit mit Schwerpunkt im Süden aktiv ist, ist Anlaufstelle für Menschen mit Bauchspeicheldrüsenerkrankung, vor allem mit dem besonders bösartigen Bauchspeicheldrüsenkrebs. Jährlich erkranken laut Robert-Koch-Institut in Deutschland rund 17 000 Menschen daran; er ist die vierthäufigste Krebstodesursache. Weil er zunächst keine Schmerzen bereitet und oft zu spät entdeckt wird, gibt es meist keine Aussicht auf Heilung. Die Informationen über den Verein und sein Angebot finden sich auf der Webseite.
www.teb-selbsthilfe.de