Ein Skandal eigentlich, dass Friedrich Schillers „Wilhelm Tell“ nach seiner Weimarer Uraufführung 215 Jahre warten musste, um am Alten Schauspielhaus gezeigt zu werden. Nicht nur ist Schiller der Klassiker unter den dramatischen Dichtern des Landes, sondern hat obendrein auch genau dort, wo heute das Alte Schauspielhaus steht, als Regimentsarzt gedient, wenngleich unzufrieden und schlecht bezahlt.
Umso erstaunlicher die aktuelle Tell-Inszenierung durch Klaus Hemmerle an der Kleinen Königstraße: Trotz moderner, in hohe Versetzstücke zerlegbarer Kulisse – ein „Haus der Demokratie“, stilistisch irgendwo zwischen neuer Einfachheit und Amtspragmatismus – sowie zeitgenössischer Kleidung überführt das Ensemble den „Tell“ doch recht dezent ins dritte Jahrtausend.
Daran ändert auch die überarbeitete Besetzung, allen voran Gian Rupf als Baum von einem Mann in der Hauptrolle, nichts – das überzeugende Darstellerdutzend zeigt sich geschlechtlich ausgeglichen: Sechs Männer und sechs Frauen übernehmen, meist in Mehrfachrollen, die zahlreichen Figuren. Dass Tell hier auf eine Tochter statt auf einen Sohn schießen muss, sorgt für noch mehr Fallhöhe, lässt den perfiden Reichsvogt Geßler (so souverän wie böse von Peter Kaghanovitch) noch schlechter dastehen.  Am Rütlischwur nimmt Waltraud Fürst anstatt von Walther Fürst teil. Ein kleiner Vorgriff auf die Emanzipation als logische Folge demokratischen Handelns, gekonnt umgesetzt von Verena Buss. Dramaturgische Geschlechtsumwandlung findet auch in diversen Nebenrollen statt wie der Hirtin, der Jägerin, der Fischerin.
Dazu erfüllt Musik die Bühnenluft. Gleich zu Beginn schon schwingt sich aus einem erst unmerklich gesummten Ton ein strahlendes „Freude schöner Götterfunken“ empor. Dass am Ende der Landvogtmörder Tell als Held gefeiert, während der Kaisermörder geächtet wird, dient hier nur als moralischer Nebenschauplatz. 

Info Aufführungen bis zum 19. Oktober.

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