Mit gemischten Gefühlen blickte Irene Rey auf dem alten Siloturm auf dem ehemaligen BayWa-Gelände in der Ludwigsburger Weststadt. „Natürlich ist es schade, dass sich auf diesem Areal jetzt alles verändern wird. Es gibt in den umgebenden Straßen schon genug Verkehr und viel zu wenige Parkplätze. Wenn das Gebiet erst bebaut ist, wird sich die Situation noch verschärfen“, erklärte die Anwohnerin, deren Haus in den Muldenäckern steht. Sie war mit ihrer ganzen Familie auf Einladung des Wohnbauunternehmens Strenger Zuschauerin der Sprengung des rund 30 Meter hohen Turms, der früher der Getreidelagerung diente.
Zuschauer auf der Tribüne
Auf der eigens aufgebauten Zuschauertribüne an den Muldenäckern herrschte dichtes Gedränge, denn zahlreiche Anwohner nutzten am Samstagnachmittag die Gelegenheit, das ungewöhnliche Ereignis zu beobachten. Wer nicht auf der Tribüne Platz gefunden hatte, suchte sich die beste Sicht in den umliegenden Straßen und Feldern außerhalb des großräumigen Absperrgebiets. Seit rund einer Woche hatten Sprengmeister Martin Hopfe und sein siebenköpfiges Team von der Thüringer Sprenggesellschaft mbH aus Kaulsdorf an der Saale auf dem rund 1,7 Hektar großen Gelände gearbeitet. „Jede Sprengung ist eine besondere Herausforderung“, sagt Hopfe. Die Wohnhäuser liegen in unmittelbarer Nähe des Turms. Daher mussten die Fallrichtung des Turms umgeplant werden, um die Befürchtungen der Anwohner vor Beschädigungen ihrer Häuser zu zerstreuen. Das Bauwerk selbst ist aus Stahlbetonwänden zusammengesetzt. 200 Bohrlöcher wurden mit Sprengstoff gefüllt. „Damit zerstören wir den Stahlbeton im Keller und bringen den Turm zum Einsturz“, erklärte Hopfe.
Wasser soll Staub verhindern
Zunächst hatten die Mitglieder der Feuerwehr rund um den Turm eine Wasserstrecke aufgebaut, um die Ausmaße der Staubwolke bei der Sprengung zu reduzieren. Zwei Signale aus dem Sprenghorn kündigten an, dass es losgehen sollte. Flugdrohnen hoben ab, um die rund 100 Meter zwischen der Tribüne und dem Turm zu überbrücken. Die rund 2000 Besucher zückten ihre Handys, Fotoapparate und Kameras. Mit lautem Getöse explodierten unmittelbar vor der Tribüne Raketen mit Rauchschwaden in den Firmenfarben des Gastgebers. Schon gab es den nächsten Knall, und der gewaltige Turm kippte mit einer riesigen Staubwolke zur Seite weg.
Weniger Staub als erwartet
Sprengmeister Hopfe war mit seiner Arbeit zufrieden. „Alles hat, wie gewünscht funktioniert. Die Staubentwicklung war sogar verhältnismäßig gering“, sagte er. Zwar musste sich Anwohnerin Irene Rey auch auf der Zuschauertribüne den Staub von ihrer Jacke streichen, aber die Ludwigsburgerin war dennoch positiv überrascht. „Ich dachte vorher, dass die Sprengung noch lauter und mit noch mehr Staub verbunden sei. Wir haben an unserem Haus alle Fenster und Türen extra ganz fest verschlossen“, betonte Rey.
1300 Registrierte auf Wohnraumsuche
Auch Ludwigsburgs Baubürgermeister Michael Ilk zeigte sich zufrieden mit dem Ergebnis. „Natürlich brauchen wir in Ludwigsburg Gewerbeflächen, um die entsprechenden Steuereinnahmen generieren zu können. Andererseits haben wir in unserer Stadt aber auch 1300 Menschen registriert, die auf der Suche nach bezahlbarem Wohnraum sind. Wir haben jetzt einen Kompromiss erzielt, denn neben Gewerbeflächen entstehen auf dem ehemaligen BayWa-Gelände auch Wohnungen für Menschen, die sonst auf dem Wohnungsmarkt keine Chance haben“, unterstrich Ilk.
Info
Unter dem Namen „BayWa-Areal 2020“ will das Unternehmen Strenger ein neues Stadtquartier entstehen lassen, das auf rund 10 000 Quadratmetern Gewerbeflächen und auf 6800 Quadratmetern insgesamt 109 Wohneinheiten in fünf Baukörpern Platz bietet. In einem Mehrfamilienhaus sollen 18 Einheiten nach dem Modell „Fair Wohnen“ errichtet werden, die sozial schwachen Bürgern zugutekommen sollen. An den gesprengten Silo-Turm wird ein Hochhaus mit zehn Geschossen erinnern.